Jenseits von Gut und Böse: Zur Genealogie der Moral. Friedrich Nietzsche

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Jenseits von Gut und Böse: Zur Genealogie der Moral - Friedrich Nietzsche

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sondern mit irgend einem göttlichen Hammer in der Hand auf diese fast willkürliche Entartung und Verkümmerung des Menschen zuträte, wie sie der christliche Europäer ist (Pascal zum Beispiel), müsste er da nicht mit Grimm, mit Mitleid, mit Entsetzen schreien: »Oh ihr Tölpel, ihr anmaassenden mitleidigen Tölpel, was habt ihr da gemacht! War das eine Arbeit für eure Hände! Wie habt ihr mir meinen schönsten Stein verhauen und verhunzt! Was nahmt ihr euch heraus!« – Ich wollte sagen: das Christenthum war bisher die verhängnissvollste Art von Selbst-Überhebung. Menschen, nicht hoch und hart genug, um am Menschen als Künstler gestalten zu dürfen; Menschen, nicht stark und fernsichtig genug, um, mit einer erhabenen Selbst-Bezwingung, das Vordergrund-Gesetz des tausendfältigen Missrathens und Zugrundegehns walten zu lassen; Menschen, nicht vornehm genug, um die abgründlich verschiedene Rangordnung und Rangkluft zwischen Mensch und Mensch zu sehen: – solche Menschen haben, mit ihrem »Gleich vor Gott«, bisher über dem Schicksale Europa's gewaltet, bis endlich eine verkleinerte, fast lächerliche Art, ein Heerdenthier, etwas Gutwilliges, Kränkliches und Mittelmässiges, herangezüchtet ist, der heutige Europäer...

      Viertes Hauptstück: Sprüche und Zwischenspiele.

      63. Wer von Grund aus Lehrer ist, nimmt alle Dinge nur in Bezug auf seine Schüler ernst, – sogar sich selbst.

      64. »Die Erkenntniss um ihrer selbst willen« – das ist der letzte Fallstrick, den die Moral legt: damit verwickelt man sich noch einmal völlig in sie.

      65. Der Reiz der Erkenntniss wäre gering, wenn nicht auf dem Wege zu ihr so viel Scham zu überwinden wäre.

      65 a. Man ist am unehrlichsten gegen seinen Gott: er darf nicht sündigen!

      66. Die Neigung, sich herabzusetzen, sich bestehlen, belügen und ausbeuten zu lassen, könnte die Scham eines Gottes unter Menschen sein.

      67. Die Liebe zu Einem ist eine Barbarei: denn sie wird auf Unkosten aller Übrigen ausgeübt. Auch die Liebe zu Gott.

      68. »Das habe ich gethan« sagt mein Gedächtniss. Das kann ich nicht gethan haben – sagt mein Stolz und bleibt unerbittlich. Endlich – giebt das Gedächtniss nach.

      69. Man hat schlecht dem Leben zugeschaut, wenn man nicht auch die Hand gesehn hat, die auf eine schonende Weise – tödtet.

      70. Hat man Charakter, so hat man auch sein typisches Erlebniss, das immer wiederkommt.

      71. Der Weise als Astronom. – So lange du noch die Sterne fühlst als ein »Über-dir«, fehlt dir noch der Blick des Erkennenden.

      72. Nicht die Stärke, sondern die Dauer der hohen Empfindung macht die hohen Menschen.

      73. Wer sein Ideal erreicht, kommt eben damit über dasselbe hinaus.

      73a. Mancher Pfau verdeckt vor Aller Augen seinen Pfauenschweif – und heisst es seinen Stolz.

      74. Ein Mensch mit Genie ist unausstehlich, wenn er nicht mindestens noch zweierlei dazu besitzt: Dankbarkeit und Reinlichkeit.

      75. Grad und Art der Geschlechtlichkeit eines Menschen reicht bis in den letzten Gipfel seines Geistes hinauf.

      76. Unter friedlichen Umständen fällt der kriegerische Mensch über sich selber her.

      77. Mit seinen Grundsätzen will man seine Gewohnheiten tyrannisiren oder rechtfertigen oder ehren oder beschimpfen oder verbergen: – zwei Menschen mit gleichen Grundsätzen wollen damit wahrscheinlich noch etwas Grund-Verschiedenes.

      78. Wer sich selbst verachtet, achtet sich doch immer noch dabei als Verächter.

      79. Eine Seele, die sich geliebt weiss, aber selbst nicht liebt, verräth ihren Bodensatz: – ihr Unterstes kommt herauf.

      80. Eine Sache, die sich aufklärt, hört auf, uns etwas anzugehn. – Was meinte jener Gott, welcher anrieth: »erkenne dich selbst«! Hiess es vielleicht: »höre auf, dich etwas anzugehn! werde objektiv!« – Und Sokrates? – Und der »wissenschaftliche Mensch«?

      81. Es ist furchtbar, im Meere vor Durst zu sterben. Müsst ihr denn gleich eure Wahrheit so salzen, dass sie nicht einmal mehr – den Durst löscht?

      82. »Mitleiden mit Allen« – wäre Härte und Tyrannei mit dir, mein Herr Nachbar!

      83. Der Instinkt. – Wenn das Haus brennt, vergisst man sogar das Mittagsessen. – Ja: aber man holt es auf der Asche nach.

      84. Das Weib lernt hassen, in dem Maasse, in dem es zu bezaubern – verlernt.

      85. Die gleichen Affekte sind bei Mann und Weib doch im Tempo verschieden: deshalb hören Mann und Weib nicht auf, sich misszuverstehn.

      86. Die Weiber selber haben im Hintergrunde aller persönlichen Eitelkeit immer noch ihre unpersönliche Verachtung – für das Weib«.

      87. Gebunden Herz, freier Geist. – Wenn man sein Herz hart bindet und gefangen legt, kann man seinem Geist viele Freiheiten geben: ich sagte das schon Ein Mal. Aber man glaubt mir's nicht, gesetzt, dass man's nicht schon weiss...

      88. Sehr klugen Personen fängt man an zu misstrauen, wenn sie verlegen werden.

      89. Fürchterliche Erlebnisse geben zu rathen, ob Der, welcher sie erlebt, nicht etwas Fürchterliches ist.

      90. Schwere, Schwermüthige Menschen werden gerade durch das, was Andre schwer macht, durch Hass und Liebe, leichter und kommen zeitweilig an ihre Oberfläche.

      91. So kalt, so eisig, dass man sich an ihm die Finger verbrennt! Jede Hand erschrickt, die ihn anfasst! – Und gerade darum halten Manche ihn für glühend.

      92. Wer hat nicht für seinen guten Ruf schon einmal – sich selbst geopfert?

      93. In der Leutseligkeit ist Nichts von Menschenhass, aber eben darum allzuviel von Menschenverachtung.

      94. Reife des Mannes: das heisst den Ernst wiedergefunden haben, den man als Kind hatte, beim Spiel.

      95. Sich seiner Unmoralität schämen: das ist eine Stufe auf der Treppe, an deren Ende man sich auch seiner Moralität schämt.

      96. Man soll vom Leben scheiden wie Odysseus von Nausikaa schied, – mehr segnend als verliebt.

      97. Wie? Ein grosser Mann? Ich sehe immer nur den Schauspieler seines eignen Ideals.

      98. Wenn man sein Gewissen dressirt, so küsst es uns zugleich, indem es beisst.

      99. Der Enttäuschte spricht. – »Ich horchte auf Widerhall, und ich hörte nur Lob –«

      100. Vor uns selbst stellen wir uns Alle einfältiger als wir sind: wir ruhen uns so von unsern Mitmenschen aus.

      101. Heute möchte sich ein Erkennender leicht als Thierwerdung Gottes fühlen.

      102. Gegenliebe entdecken sollte eigentlich den Liebenden über das geliebte Wesen ernüchtern. »Wie? es ist bescheiden genug, sogar dich zu lieben? Oder dumm genug? Oder – oder –«

      103. Die Gefahr im Glücke. – »Nun gereicht mir Alles zum Besten, nunmehr liebe ich jedes Schicksal: – wer hat Lust, mein Schicksal zu sein?«

      104.

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