Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frisst – Band 185e in der gelben Buchreihe – bei Jürgen Ruszkowski. Ханс Фаллада
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Nun zeigt es sich, dass es dumm war, den Kübel zu leeren, anderthalb Stunden in dem Dreck auf dem Boden zu liegen, das hätte dem Hunderter nichts geschadet, das wäre wieder rauszukriegen gewesen, aber nun war der Kübel leer.
Unter den Tisch kleben?
Am besten unter dem Tisch mit Brotkrumen festkleben!
Er dreht schon an den Kügelchen, aber dann lässt er es wieder: es ist zu bekannt und ein Blick genügt. Lieber nicht.
Kufalt wird nervös. Es klingelt schon zum Schluss der letzten Freistunde, in einer Viertelstunde geht die Vorführung los. Ob er den Schein doch mit zum Arzt nimmt? Er könnte ihn ganz fest zusammenrollen und sich hinten reinstecken. Aber vielleicht gibt der Netzemeister dem Hauptbullen vom Lazarett einen Wink, und dann wird er so gefilzt – die sind imstande und untersuchten ihn auf Mastdarmkrebs!
Er ist ratlos. Es ist genau, wie wenn er rauskommen wird. Da sind auch so viele Möglichkeiten, und bei allen ist ein ‚Aber’ dabei. Man muss sich entscheiden können, aber das eben kann er nicht. Wie soll er auch? Die haben ihm doch hier fünf Jahre lang jede Entscheidung abgenommen. Die haben gesagt: ‚Friss!’ und da hat er gefressen. Die haben gesagt: ‚Geh durch die Tür!’ und da ist er durchgegangen, und ‚Schreib heute!’ und da hat er heute seinen Brief geschrieben.
Die Luftklappe ist auch nicht schlecht. Nur zu bekannt, viel zu bekannt. In dem einen Bettbrett ist ein Riss – aber wenn einer zufällig hinsieht, sieht er sofort den Schimmer vom Papier. Er könnte den Schemel auf den Tisch stellen und das Dings auf den Schirm der Deckenlampe legen, aber das machen alle, und außerdem kann gerade einer durch den Spion linsen, wenn er auf dem Tisch steht.
Kufalt dreht sich rasch um und sieht nach dem Spion. Richtig, er hat's gefühlt, da ist ein Glotzauge, das ist dem seines, das Fischauge!
Und in gespielter Wut springt er gegen die Tür, ballert daran und brüllt: „Willst du weg vom Spion, Kalfaktor, verdammter!“
Es geht knallbumms, die Tür fliegt auf, und in ihr steht der Hauptwachtmeister Rusch.
Nun heißt es theatern, denn Rusch liebt nur die eigenen Späße. Bei Hauptwachtmeister Rusch muss man demütig sein, und so ist Kufalt ganz hübsch betreten, als er stottert: „O Verzeihung, Herr Hauptwachtmeister! Herr Hauptwachtmeister verzeihen, ich dachte, es wäre das Biest von Kalfaktor, der kneistert immer, wo ich meinen Tabak lasse.“
„Wat denn? Wat denn! Krach gibt's nicht. Der Lack geht von der Türe.“
Kufalt schmeichelt: „Herr Hauptwachtmeister wissen doch, bei mir ist immer alles in Butter, kein Ratzer im Lack.“
Der Hauptwachtmeister, ein etwas stoppliger Napoleon, der wahre Herrscher über das Gefängnis, wortkarg, stets voller Überraschungen, erbitterter Feind jeder Neuerung, des Stufenstrafvollzugs, des Direktors, der Beamten, jedes Gefangenen – der Hauptwachtmeister Rusch antwortet nicht, sondern geht zum Schränkchen, an dem Personalien- und Vergünstigungstafel hängt.
„Was ist mit Vögeln?“ fragt er.
„Mit Vögeln?“ fragt Kufalt, halb verwirrt, halb grinsend.
„Vögeln! Vögeln!“ knarrt der Despot ärgerlich und tippt mit dem Finger auf die Vergünstigungstafel. „Hier steht: zwei Kanarienvögel. Wo sind die? Verschoben, was?“
„Aber Herr Hauptwachtmeister“, sagt Kufalt vorwurfsvoll und denkt dabei voll Angst an den Hunderter, der immer noch in seinem Halstuch steckt. „Die gelben Spatzen sind doch draufgegangen, als im Winter die Zentralheizung kaputt war. Ich hab's Ihnen doch noch gesagt!“
„Gelogen. Gelogen. Erstunken. Gelogen. Der Schuster, der Maaß, hat zweie zu viel. Das sind deine. Verschoben!“
„Aber, Herr Hauptwachtmeister, ich habe es Ihnen doch gesagt, dass sie krepiert sind! Ich bin im Glaskasten bei Ihnen gewesen und habe es Ihnen gemeldet.“
Der Hauptwachtmeister steht unterm Fenster. Er dreht dem Gefangenen den Rücken, der sieht nur die dicken weißen Hände, die mit den Schlüsseln spielen.
‚Wenn er doch ginge!’ fleht Kufalt. ‚Jeden Augenblick kommt die Vorführung zum Arzt, und ich mit dem Schein im Halstuch! Ich bin ja geplatzt! Ich komme gleich wieder in Untersuchungshaft!!’
„Die dritte Stufe!“ knurrt das Haupt. „Immer die dritte Stufe. Alle Unordnung im Bau. Ihr Geld, Ihre Arbeitsbelohnung...“
„Ja –?“ fragt Kufalt, als nichts mehr kommt.
„Aufs Wohlfahrtsamt. Da kannst du dir jede Woche fünf Mark holen.“
„Herr Hauptwachtmeister“, fleht Kufalt „das werden Sie doch nicht tun, wo ich meine Zelle immer so fein gewienert habe!“
„Wat denn! Tu' ich. Mach' ich. Mir ganz egal. Wienern –? Ordnung mit Vögeln – hahaha!“
„Haha“, lächelt auch Kufalt gehorsam.
„Was ist“, fragt der Hauptwachtmeister und kann plötzlich Deutsch, „mit dem Netzemeister und dem neuen Netzekalfaktor?“
„Neuer Netzekalfaktor?“ fragt Kufalt. „Ist denn ein neuer da? Den hab' ich noch gar nicht gesehen.“
„Viole! Scheiß die anderen an! Zehn Minuten warst du bei denen in der Zelle!“
„Aber nein, Herr Hauptwachtmeister, ich war heute überhaupt nur zur Freistunde aus meiner Zelle!“
Der Hauptwachtmeister streicht mit dem Finger nachdenklich über das Schrankdach. Er besieht den Finger, nicht unbefriedigt, dann beriecht er ihn. Nein: es hat auch nicht eine Spur von Staub auf dem Schrank gelegen. Er besinnt sich und geht gegen die Tür. „Also Arbeitsbelohnung durch Wohlfahrt.“
Kufalt überlegt fieberhaft: ‚Sag ich jetzt nichts, so geht er und ich kann den Hunderter verstecken, aber hänge ewig bei der Wohlfahrt. Hau' ich die aber in die Pfanne, bin ich zwar den Hunderter los, kriege aber übermorgen meine Arbeitsbelohnung hier bar ausbezahlt. Aber auch nur vielleicht.’
„Herr Hauptwachtmeister...“
„He –?“
„Ich war in der Zelle – bei denen.“
Der wartet. Schließlich: „Was ist –“
„Der kriegt für den dicken Juden Briefe. Das müssen Sie mal filzen gehen.“
„Nur Briefe?“
„Er wird's ja nicht tun für die schöne Nase von dem.“
„Weißt du was?“
„Filzen müssen Sie, Herr Hauptwachtmeister. Heute noch, gleich – da finden Sie was.“
Die Tür geht auf: „Kufalt zum Arzt!“
Kufalt sieht auf den Hauptwachtmeister.
„Los!“