Die Engel der Madame Chantal. Kurt Pachl

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Die Engel der Madame Chantal - Kurt Pachl

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oder auch selbst innerhalb ihres engsten Freundeskreises niemals erlaubt hätten; was nicht als schicklich galt, oder was man sogar als Schwäche ausgelegt hätte. In den oberen Rängen durfte es keine Schwächen geben – niemals.

      Ja, bei ihr durften sie weinen. Bei ihr durften sie sich anlehnen, wohltuend schweigen oder nach Herzenslust stöhnen. Mit einigen armen Seelen ging sie an einen leeren Strand. Gemeinsam schrien sie dort aus Leibeskräften gegen den Wind an, bis nur noch ein Krächzen aus ihren Kehlen drang. Und danach lagen sie lachend nebeneinander im Sand. In ihrem Job musste man kreativ sein. Weinen, Schreien, Singen, mit einer kleinen Peitsche auf unsichtbare Gestalten einschlagen, Streicheleinheiten für Körper und Seele – und natürlich Sex; guter und ideenreicher Sex. Ihr Repertoire war unerschöpflich.

      Ein wilder Bursche hatte sich ein Spiegelzimmer basteln lassen. In der Mitte stand ein riesiges Bett. Er schrie vor Glück, wenn er sich dabei betrachten durfte, ganz Mann zu sein; wenn sie dabei ihre schlanken Beine fest um seinen Hals schlang. Wieder andere, jüngere, vögelten sich in Rage; konnten nicht genug von ihrem Körper bekommen. Sie entschuldigten sich anschließend für ihre verbalen Entgleisungen.

      Chantal gab ihnen dann lächelnd und verzeihend einen liebevollen Kuss. Die meisten von ihnen bedankten sich doppelt; finanziell versteht sich.

      Bei ihr brauchten sie sich nicht zu schämen, wenn es am Anfang nicht so recht klappte. Mit viel Liebe und Fantasie brachte sie die Burschen in den meisten Fällen wieder auf Trab. Alternativ erhielten sie unendlich viele Streicheleinheiten. Mit den reiferen Semestern lauschte sie bis tief in die Nacht hinein klassische Musik. Und sie, die Edelhure, bat diese gestressten Seelen darum, die Augen zu schließen. Dann malte sie ihnen herrliche Bilder vor ihrem geistigen Auge: Angefangen von den Wassertropfen, die von den bemoosten Felsen der zwei Moldauquellen tropften; mit den unterschiedlichsten Tönen und Oktaven; gespielt von zwei unterschiedlichen Querflöten. Oder sie beschrieb den Morgennebel, welcher in der Peer-Gynt-Suite über dem Wasser waberte, und sich von den ersten Sonnenstrahlen küssen ließ. Sie kuschelte sich an diese Personen oder Persönlichkeiten wie ein kleines, sanftes Mädchen. Sie gab ihnen das Gefühl, das begehrenswerteste und liebevollste Wesen auf dieser Erde zu sein.

      Für sie, Chantal, flossen Wahrheiten, Fantasien und schauspielerischen Leistungen ineinander. Sie war einfach nur da, um ihnen zuzuhören, sie liebevoll anzulächeln, zu schnurren wie ein Kätzchen, um sie auf andere Gedanken zu bringen. Geistreiche Gespräche beim erlesenen Dinner hatte am Anfang niemand von einer Edel-Hure erwartet. Aber auch das war zunehmend ein äußerst wichtiger Bestandteil ihres fantasiereichen Arrangements geworden.

      In den Jahren vor diesem großen Desaster, das ihr Leben gänzlich auf den Kopf gestellt hatte, präparierte sie sich vor jedem Date. Schlecht gerüstet in den liebevollen Kampf zu ziehen, hätte sie sich niemals verziehen. Möglichst alles wollte sie über ihre Kunden wissen: Unter welchen Umständen waren sie aufgewachsen. Das herauszufinden gestaltete sich mitunter weitaus schwieriger, als gut gehütete Firmengeheimnisse zu erlangen. Waren es Mama-Papa-Söhnchen oder mussten sie sich aus Schlamm und Morast nach oben strampeln. Waren sie gezeichnet von dominanten oder gar übermächtigen Vätern oder seelenlosen Müttern. Hatte dieser Mann oder diese Frau in ihrer Kindheit Schlimmes erlebt; kam es gar zu Übergriffen; mussten sich diese oder andere Geschehnisse tief in deren Seele eingebrannt haben. Danach richtete sie ihre Strategie aus. Es galt keine Fehler zu machen. Welche Schulen hatten sie durchlaufen. Welche Knüppel hatte man ihnen auf den Weg nach oben zwischen die Beine oder ins Genick geworfen. Wurden sie hintergangen oder ausgenutzt. Standen sie unter der Knute einer starken Frau oder eines gewalttätigen Mannes. Jede noch so kleine Information über ihr Unternehmen und deren Wettbewerber konnte hilfreich sein.

      Es war immer eine lange Liste, die Sven Schneeweis, er war ihr Fotograf und darüber hinaus ein IT-Genie, für sie zusammentrug. Dafür liebte sie diesen Wuschelkopf. Ein lebens- und liebeshungriger Privatdetektiv, er hieß Ferdinand Papenburg, brachte Chantal vor einigen Jahren auf die Idee, zusätzlich Informationen über die Ehepartner ihrer Stammkunden in Erfahrung zu bringen. Für seine wertvolle Arbeit durfte er kostenlos die Dienste ihrer früheren Kolleginnen in Anspruch nehmen.

      In den letzten Jahren kamen nur wenige Männer mit ausgefallenen sexuellen Fantasien zu ihr. Frauen mit extremen Wünschen gab es ohnehin selten. Wer glaubte, mit Geld alles kaufen zu können, und dabei die rote Linie überschreiten wollte, musste erfahren, dass sie sich dies nicht mehr antun musste. Sie wusste solche Situationen stilvoll zu umschiffen. Danach gab sie diesen Klienten keine zweite Chance; selbst wenn sie bereit gewesen wären, Unsummen zu zahlen.

      Chantal kannte hunderte Ehegeschichten und Ehekriege. Bücher hätte sie darüberschreiben können. Aber Stil und Diskretion waren die Voraussetzungen ihres Erfolges. Ihre Geheimnummer stand inzwischen in vielen der kleinen schmalen Notizbüchlein wohlhabender Manager, Inhaber von Unternehmen und anderen spendablen Zeitgenossen. Selbst hochgestellte Geistliche brauchten hin und wieder eine Auszeit für ihre Seele. Frauen waren oft dankbarer, und natürlich spendabler als die Herren der Schöpfung.

      Manche Ehen wären ohne sie, ohne „Madame Chantal“, schon längst in die Brüche gegangen. Die meisten ihrer Kunden waren Pragmatiker. Sie konnten gut rechnen. Ehescheidungen hätten sich finanziell ungleich verheerender niedergeschlagen können, als sich ab und zu eine Atempause mit einer niveauvollen Begleiterin zu gönnen; selbst dann, wenn diese fürstliche „Honorare“ erbat. Dass ihr Mann die Dienste einer „Edelhure“ in Anspruch nahm, galt für einige Frauen, die sich ohnehin einen Liebhaber hielten, stilvoll und weitaus verzeihlicher, als sich in irgendwelchen obskuren Spelunken herumzudrücken.

      Ein Status quo bei ihren Stammkunden konnte unter Umständen hilfreicher sein, als eine Wiederverheiratung mit ungeahnten Folgen. Deshalb erhielten einige Kunden dezente und kostenlose Eheberatungen; Vorschläge, die selbstverständlich ganz und gar nicht uneigennützig waren.

      In den letzten Jahren gelang es ihr sogar einige Männer oder Frauen davor zu bewahren, einen gutbezahlten Job einfach hinzuwerfen. Treue, liebenswerte und spendable Kunden erhielten einen höchst außergewöhnlichen Service. Ferdinand, der kreative Privatdetektiv, bekam dann den Auftrag, das wirtschaftliche Umfeld des unschlüssigen Kunden oder der eingeschüchterten Klientin zu durchleuchten. In einigen Fällen hatte sie diesen armen Seelen zum Abschied ein Kuvert mit sensiblen Daten in die Hand gedrückt, und ihnen ins Ohr geflüstert: »Mach‘ was Gescheites daraus!« Tage oder Wochen später warfen sich die Dankbaren an ihren Busen. Sie bedankten sich fürstlich. Noch nie waren diese absolut nicht alltäglichen Vorgehensweisen ein Minusgeschäft gewesen.

      Der Geschäftsführer der Escort Agentur akzeptierte, dass dessen Mitarbeiterinnen keine verbindlichen Termine für Chantal vereinbaren durften.

      Sie, Chantal, bestand darauf, mit den Interessierten selbst ein Telefonat zu führen, und einen Termin zu vereinbaren – oder auch nicht.

      Im Laufe der vielen Jahre hatte sie ein fast untrügerisches Gespür entwickelt, welches Wesen sich hinter einer Stimme am Telefon verbarg. Bereits der erste Satz war in den allermeisten Fällen ausschlaggebend gewesen, ein Treffen zu vereinbaren – oder auch nicht. Allein die Stimme, die Lautstärke, die erste Wortwahl projizierten ein Bild vor ihrem inneren Auge. Sie fühlte es förmlich, als stünde einer der vielen Fieslinge neben ihr; einer, der es liebte, seine Sekretärin in einer Pause auf den Schreibtisch zu pressen – und von hinten zu vögeln. Oder war es ein seelenloser Despot, der stolz darauf war, seine Untergebenen zu knechten. Vielleicht hatte er ihren Namen aufgeschnappt, und war felsenfest davon überzeugt, auch dieses rassige Weib in seine Sammlung einreihen zu können; gleichsam der Trophäensammlung eines Großwildjägers. Er hatte schließlich Geld; viel Geld. Und er war davon überzeugt, für Geld alles kaufen zu können – auch Seelen. Edelnutten hatten aus der Sicht von so manchen reichen Spinnern ohnehin keine Seele.

      Ihr Repertoire war dann unerschöpflich. Niemals wäre sie verletzend gewesen – auch dann nicht, wenn eine Stimme in ihr schrie,

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