Die wichtigsten Naturwissenschaftler im Porträt. Fritz Krafft
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Atomisten
Leukippos
(* um 480 v. Chr. Milet, † um 420),
Demokritos
(* um 460 v.Chr. Abdera, † um 370)
Epikuros
(* 10. Gamelion 341 v. Chr. Samos, † 270 Athen)
Auch Leukippos hatte aus politischen Gründen seine kleinasiatische Heimat verlassen und war in den Westen gezogen. In Elea war er dann Schüler Zenons, des Nachfolgers von Parmenides, und hatte hier nach den heimischen Eindrücken milesischer Naturauffassung Einblicke in die ihr widersprechende eleatische Ontologie erhalten. Anders als Anaxagoras und Empedokles versuchte er, diesen Widerspruch durch seine Idee einer Atomistik zu überbrücken. Nach 450 begab er sich in das thrakische Abdera und gründete dort eine eigene Schule. Sein bedeutendster Schüler wurde hier Demokritos, der in einer Fülle nicht mehr erhaltener Schriften die Atomistik auf alle damaligen Gebiete der Wissenschaft ausdehnte und damit trotz der Ablehnung durch die von Platon und Aristoteles geprägte spätere Naturwissenschaft starken Einfluss auf deren Denken ausübte. Die Einwände, die besonders Aristoteles gegen die Atomistik vorbrachte, versuchte dann Epikuros, der 327 bis 324 in Teos demokritische Philosophie und anschließend während seiner Militärzeit in Athen bei Aristoteles studiert hatte, mit seiner Modifizierung zu entkräften. Seine ab 321 in Kolophon entwickelte Philosophie lehrte er in Mytilene und Lampsakos, bevor er in Athen im Jahre 307/06 auf einem großen Gartengrundstück eine eigene Schule gründete – die dritte nach der Akademie Platons und dem Peripatos Aristoteles’, der um 300 als vierte länger bestehende Schulgründung hier die der Stoa folgen sollte. – Es hängt sicherlich mit der scharfen Ablehnung durch die einflussreichsten griechischen, später auch christlichen Philosophen zusammen, dass bis auf drei Briefe, in denen Epikuros seine Philosophie Epikureerzirkeln erläutert, aus den Schriften der Atomisten nur Bruchstücke aus Zitaten bei späteren Autoren erhalten sind. Der epikureischen Form der Atomistik ist allerdings auch ein vollständig erhaltenes, lateinisches hexametrisches Lehrgedicht in mehreren Büchern des Epikureers Lukrez (Titus Lucretius Carus) mit dem Titel ›De rerum natura‹ gewidmet, das posthum im Jahre 54 v. Chr. von Cicero herausgegeben wurde.
Leukippos scheint direkt durch die scharfsinnigen Paradoxien Zenons gegen die Vielheit und Bewegung der Dinge und den Raum zu der Annahme von nicht weiter unterteilbaren kleinsten Teilchen geführt worden zu sein: Ohne ein dazwischen tretendes Leeres sei eine Zerlegung eines Körpers nicht möglich. Eine Zweiteilung von Körpern bis ins Unendliche (wie bei Anaxagoras) setze deshalb voraus, dass die Körper auch bis ins Unendliche kleinste Hohlräume enthielten, ja schließlich nur aus Hohlräumen bestünden – also seien die Teilbarkeit und somit die Vielheit sowie als Voraussetzung dafür die Leere nichtseiend, hatte Zenon mit Parmenides geschlossen; also muss die Teilbarkeit eine untere Grenze haben, schloss dagegen Leukippos. Die Teilchen der Materie, durch die ein Körper stofflich und raumerfüllend ist, müssten folglich vollkommen frei von irgendwelchen Hohlräumen, also ganz ›voll‹ sein. Was aber überhaupt keine Leere enthält, ist unteilbar, griechisch ›atomos‹, und damit in jeder Hinsicht unverletzlich, also auch unveränderlich. Diese ›Atome‹ müssen aber als Seiende im Sinne des Parmenides auch unentstanden, einheitlich und – jetzt, als Kunstgriff: wegen ihrer Kleinheit – nur denkbar sein. Da Veränderung auf örtlicher Bewegung beruhe, komme ihnen als einzige Eigenschaft diese Bewegung zu; um sich als unveränderlich Raumerfüllendes bewegen zu können, bedürfe es des Platzes, des Nicht-Erfüllten, der Leere, des unbegrenzten leeren Raumes, in dem die deshalb unendlich vielen Atome jeweils unendlich vieler verschiedener Formen sich ungeregelt bewegen, sich anstoßen und dann wirbelnd zusammenballen, um sich durch stärkere äußere Einflüsse wieder zu entwirren. Nicht nur einzelne Dinge, sondern ganze Welten, unendlich an Zahl und Unterschieden, entstünden und vergingen so überall. Die Kohäsion wird neben der Wirbelbewegung durch mechanisches Ineinandergreifen dazu geeigneter Atomformen (Haken, Ösen und dergleichen) gedeutet. Aber nicht nur in der Form unterschieden sich die Atome, wie die Buchstaben A und N, sondern auch die Lage (wie N und Z) und die Gruppierung (AN/NA) führe zu anderen Gesamtformen und Wirkungen – erst Demokritos, aus dessen Schriften die Lehren des Leukippos in erster Linie bekannt wurden, scheint als vierten Unterschied die Größe hinzugefügt zu haben; denn er lässt auch Atome weit über der Sichtbarkeitsgrenze zu, etwa einatomige Gestirne.
Aus solchen verschieden gestalteten, verschieden zueinander gelagerten und verschieden gruppierten, unteilbaren und qualitativ nicht unterschiedenen, von sich aus immer bewegten, unvergänglichen und unveränderlichen kleinsten vollen Teilchen bestünden alle sichtbaren und nicht sichtbaren Körper, auf ihnen beruhten all ihre scheinbaren Eigenschaften und deren Wahrnehmbarkeit (als Folge von atomaren Ausflüssen der Dinge, beim Sehen von kleinen ›Bildchen‹) – wie aus denselben Buchstaben die verschiedensten Texte unterschiedlicher literarischer Gattungen und Wirkungen entstünden. Ihre qualitativen und quantitativen Veränderungen seien scheinbar und beruhten auf solchen der Gruppierung und Lage der Atome oder auf einem Eindringen neuer Atome, die den alten Atomverband aber auch sprengen könnten. Die Formen müssen also so beschaffen sein, dass sie bei der Zusammenballung mehr oder weniger große Hohlräume lassen, wie sie auch zwischen den diskreten Dingen bestehen.
Die ältere antike Atomistik konnte so zwar alle Dinge und Erscheinungen irgendwie deuten, aber nicht erklären, wie es zu diesen Dingen und Vorgängen kommt, da die Bewegungen ausdrücklich auf Zufall beruhen sollten; es fehlte ihr ein Prinzip, das immer wieder gleichartige Dinge entstehen lassen würde. Ein zweiter Grund für die generelle Nichtanerkennung der Atomistik in Antike und Mittelalter war der Widerspruch, dass sowohl das Seiende, die Atome, als auch das Nicht-Seiende im Sinne des Parmenides, die Leere, als gleichermaßen seiend, als existent gedacht werden mussten. Epikuros vermochte zwar später einzelne Einwände auszuräumen, konnte aber diese beiden fundamentalen auch nicht entkräften, so dass die Atomistik naturwissenschaftliche Bedeutung erst wieder als Modifizierung der ›minima naturalia‹-Lehre des Aristoteles erhalten sollte, die zu den neuzeitlichen Ansätzen einer Atomtheorie bei Daniel Sennert und Robert Boyle führte, zumal Pierre Gassendi bereits bei seiner Neuerschließung der epikureischen Schriften einen starken Einwand des christlichen Mittelalters entkräftete, indem er die Atome als von Gott erschaffen statt als ewig und ungeworden deklarierte.
Ein starkes Kriterium für die Ablehnung insbesondere auch durch die christlichen Philosophen und Naturwissenschaftler des Mittelalters und der frühen Neuzeit war aber die ausdrückliche Leugnung jeden Gottes und der Hedonismus bei Epikuros: Das Sein sei nicht transzendent hinter oder über den Dingen, sondern in ihnen, es bestehe in und aus den Atomen und stehe nicht im Gegensatz, sondern in Relation zum Werden; folglich könne dem Sein oder einem Seienden, das in die Ursache-Wirkung-Relation der Atomwirbel einbezogen sei, keine absolute Geltung zukommen, und gebe es keine außermenschlichen Normen und Rechte. Selbst die – als Konzession an die Tradition – menschengestaltigen Götter bestünden aus Atomballungen; sie seien zwar unvergänglich, könnten aber gerade wegen ihrer Unveränderlichkeit niemals Ursache für irgendein Geschehen sein. Sie stünden außerhalb dieser Welt und könnten von dieser auch nicht erreicht werden. Es gebe aber auch keine absolut gültige Aufgabe für den Menschen; die Erkenntnis von Naturvorgängen habe vielmehr ihren relativen Wert allein darin, den Menschen frei von Schmerz, äußerer Unruhe und Götterfurcht zu machen, ihm zu innerer Ruhe zu verhelfen. Diese Forderung nach Befreiung und Abschirmung gibt der Philosophie von Epikuros den Charakter einer Heilsbotschaft, die einerseits stärker als der naturkundliche Unterbau in