Der Tee der drei alten Damen. Friedrich Glauser

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Der Tee der drei alten Damen - Friedrich  Glauser

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      »Das Sanitätsauto«, sagt er, »wird in kürzester Frist den Patienten abholen. Ich bin müde. Sie wissen ja, wo ich zu finden bin. Falls man mich braucht, werde ich immer zu erreichen sein. Gute Nacht.«

      Merkwürdig, wie die Finger des Professors zittern, während er sich aus grobem französischem Tabak eine Zigarette dreht. Er zündet sie an, entfernt sich. Hinter ihm bleibt der Rauch in der stickigen Luft reglos stehen.

      »Und ich habe den Herrn nicht einmal gefragt, ob er den Mann da kennt«, murmelt Malan verdrießlich. »Na, der Alte soll sich selber um die Sache kümmern!« Er sagt nicht Sache, sondern gebraucht ein gröberes Wort. Unter dem »Alten« aber versteht er den Kommissär Pillevuit, einen Mann mit blondem Fahnenbart, der mit dem Polizisten Malan immerhin eine Eigenschaft gemeinsam hat: der Kommissär liebt auch Waadtländer Weine.

      Nun ist Malan wieder allein, denn der Kranke auf der Bank zählt nicht. Der große Platz ist trotz des scharfen Lichtes der Bogenlampe unheimlich. Die leeren Fenster der Geschäftshäuser glotzen bösartig und Malan räuspert sich, um sich dieses furchterregende Gebaren zu verbieten. Aber die Häuser glotzen weiter. Endlich kommt ein Surren näher, ein Auto hält mit einem Ruck. Es ist ein grüner geschlossener Kasten mit spärlichen Milchglasscheiben. Ein Mann steigt aus, der Chauffeur springt von seinem Sitz.

      Eine Bahre gleitet aus dem Kasten, der Kranke wird darauf gepackt, eine Tür knallt zu, der Chauffeur sitzt schon wieder auf seinem Platz, ein böses Surren des Anlassers, und Malan kommt sich verhöhnt vor von dem roten Auge des Schlußlichts.

      2

      »Deliriert er viel?« fragte Dr. Thévenoz. Er zog zwei Hartgummipfropfen aus den Ohren, die durch rote, zusammenlaufende Kautschukschläuche mit einem schwarzen Zylinder verbunden waren, der auf der nackten Brust des Patienten lag.

      Schwester Annette schüttelte den Kopf.

      »Eigentlich nicht«, sagte sie. »Er murmelt nur von Zeit zu Zeit unverständliche Worte. Ich glaube fast, es ist englisch.«

      »So, englisch…«

      Dr. Thévenoz, ein etwa 35jähriger Mann, mit spärlichem blondem Haar, blickte zum Fenster hinaus. Das ging auf grüne Laubbäume. Im Zimmer stand nur ein Bett. An der Wand war ein weißes Becken angebracht, mit zwei weißen Hähnen darüber.

      Der Patient warf sich unruhig in seinem Bett herum.

      »Don't sting«, stöhnte er. »Go to hell…«

      »Hallo, Rosenstock, sprachenkundiger Ahasver, was heißt ›sting‹?«

      Doktor Wladimir Rosenstock, Assistenzarzt, klein, leicht verfettet trotz seines jugendlichen Aussehens, schien sich beim Gehen immer im Schlittschuhlauf zu üben. So glitt er ins Zimmer.

      »Sting?« wiederholte Rosenstock fragend, »ein ungebräuchliches Wort, heißt stechen, wenn es sich um eine Biene handelt, oder um eine Wespe, oder sonst um ein Insekt.«

      »Hallo!« Dr. Thévenoz schnalzte mit den Fingern. »Stimmt auffallend. Sehen Sie sich diesen Arm an. Nun? Der Flecken da am Ellbogengelenk?… Sieht der nicht wie eine Injektion aus? Eine intravenöse Einspritzung?… Vergiftet? Aber welches Gift? Was meinten Sie, mein blonder Engel?« Die letzten Worte galten Schwester Annette, die sich Mühe gab, zu erröten.

      »Rosenstock, geliebtester meiner Schüler, welche Diagnose wird Ihrem Hirn entsteigen, weisheitsgepanzert, wie seinerzeit eine griechische Göttin dem Schädel ihres Vaters – was übrigens eine merkwürdige Art vegetativer Vermehrung war, verzeihen Sie den schlechten Witz! –. Woran krankt der junge Mann? Welches Gift tobt in seinen Adern, um mich jener Ausdrucksweise zu bedienen, die geldverdienenden Schreibern eigen ist? Reden Sie, Rosenstock! Vergessen Sie Ihre Abstammung! Vergessen Sie das Sprichwort, welches das Schweigen mit dem Goldstandard in Verbindung bringt. Bekehren Sie sich zum Bimetallismus, lassen Sie das Silber Ihrer Rede erklingen, ich lausche.«

      Schwester Annette kicherte ein Backfischlachen, auch Rosenstock lächelte, er liebte es, gehänselt zu werden. Doch als er antworten wollte, unterbrach ihn Doktor Thévenoz wieder.

      »Wie, Rosenstock, Sie wollen ein Gutachten abgeben? Ohne den Patienten untersucht zu haben? Sie wollen sprechen und noch wissen Sie nichts von der Anamnese des Falles? Rosenstöcklein, bedenken Sie, Sie sind noch kein Professor, der mit nachtwandlerischer Sicherheit Kohl verzapfen darf – intuitiv – verstehen Sie? Sie sind erst Assistent, und als solcher zu höchster, zu strengster Gewissenhaftigkeit verpflichtet. Ich will Ihnen helfen. Der junge Mann hier – ruhig, junger Mann! Ich bin daran, Ihren Fall zu explizieren, ich muß Sie dringendst bitten, mich nicht zu unterbrechen« – der Patient stöhnte nämlich leise, warf sich herum, murmelte auch: »was sagen Sie, junger Mann?«

      »Er hat Durst«, bemerkte Rosenstock.

      »Glaub' ich, wir könnten ihm vielleicht…«

      Schwester Annette hatte schon ein Glas in der Hand und stützte den Patienten, um ihm das Trinken zu erleichtern.

      Doktor Thévenoz seufzte tief:

      »Ich möchte auch einmal krank sein und mich von Ihnen pflegen lassen, Sie sind so sanft, mein blonder Engel, und ich muß mich die ganze Zeit mit einer energischen Frau herumschlagen, die gar kein Gefühl hat für meine Zartheit.«

      Es war bekannt im Spital, daß Dr. Thévenoz mit einer Kollegin verlobt war, die in der Irrenanstalt Bel-Air als Assistentin Dienst tat. Und auch an die Klagen des Arztes war man gewöhnt; die Dame – sie hieß Madge Lemoyne, war in Amerika geboren und auch dort aufgewachsen – mußte sehr energisch sein.

      »Ja, Rosenstock, das Leben ist schwer. Denken Sie, Madge hat mir heute morgen angeläutet, sie müsse mich unbedingt sprechen. Dabei haben wir uns gestern abend noch gezankt. Was will sie nur?«

      Thévenoz versank in Nachdenken, während Rosenstock den Körper des Patienten abklopfte. Es war ein sauberer Körper, braun gebrannt, sehnig, die Haut roch schwach nach Lavendel. Störend war einzig der große rote Fleck in der Ellbogenbeuge, der aussah, wie ein beginnender Ausschlag.

      Dr. Thévenoz war ans Fenster getreten, um seinem Assistenten Platz zu machen. Von dorther kam seine Stimme, sachlich referierend: »Heute nacht hatte ich Dienst. Um 2.15 wurde ich angerufen. Professor Dominicé, einer meiner Lehrer, teilte mir mit, er habe an der Place du Molard einen jungen Mann gefunden, der offenbar an einer Vergiftung erkrankt sei. Er bat mich, das Sanitätsauto zu schicken, der Fall scheine schwer, es wäre gut, wenn der Patient bald in fachgemäße Behandlung käme. Auf meine Frage, ob er den Patienten kenne, hängte der Professor ab. Er sprach sonderbar unfrei am Telephon, er wiederholte sich oft. Ich hatte Mühe, ihn zu verstehen. Nun, hier ist der junge Mann, was haben Sie gefunden?« »Ja«, sagte Rosenstock und schwieg.

      »Nun, los, los, Rosenstock! Sie werden mich doch nicht blamieren wollen!«

      »Also, mir scheint«, begann Rosenstock, »es könnte sein, daß der Einstich in der Ellbogenbeuge in ursächlichem Zusammenhang mit der Vergiftung stünde.«

      Er schwieg wieder und kratzte an seiner Nase, die dick war und knollig.

      »Ein merkwürdiger Einstich!«

      Er tippte mit dem Finger, der die Nase verlassen hatte, auf die entzündete Stelle.

      »Es sieht aus, als hätte eine ungeschickte Hand eine intravenöse Injektion versucht. Und zwar

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