Der Tee der drei alten Damen. Friedrich Glauser

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Der Tee der drei alten Damen - Friedrich  Glauser

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die Karte ein. »Ich werde sie selber der Polizei übergeben.«

      Zuerst wollte Thévenoz gegen die Mitnahme der Karte protestieren, aber das Gebaren des vernachlässigten Patienten störte ihn. Walter Crawley benahm sich reichlich sonderbar. Er ließ röchelnde Atemzüge laut werden, seine Gesichtsfarbe wurde fahl und grau, auf der Stirn bildeten sich Schweißtropfen. Wladimir Rosenstock, der Assistenzarzt, der vor kurzem eingetreten war, beschäftigte sich mit ihm.

      »Hopp, hopp, Schwester!« flüsterte er erregt. Dr. Thévenoz war auch ans Bett getreten. Flüsternd gab er der Schwester Befehle. Diese rannte aus dem Zimmer, kehrte mit einer Spritze zurück.

      Aber da spannte sich Crawleys Körper so, daß er einen Bogen bildete: nur Fersen und Hinterkopf lagen auf. Dann war ein Knacken zu hören, wie von brechendem Holz, und Walter Crawley, von Bombay (Indien), Sekretär Seiner Exzellenz Sir Avindranath Eric Bose, blieb entspannt liegen und hatte das Atmen vergessen. Um seinen Mund entstand langsam ein niederträchtig-höhnisches Lächeln, so, als wolle er sagen: »Gewiß, ich bin nun tot, aber damit ist meine Angelegenheit noch lange nicht erledigt. Ihr alle werdet euch über meinen Abgang noch den Kopf zerbrechen.« Dies sollte auch tatsächlich geschehen. Vorerst aber schien Thévenoz nur erstaunt, schüttelte den Kopf, jagte die Anwesenden aus dem Zimmer und blieb mit dem Toten allein.

      6

      Es gibt Leute, die ein Reizmittel einem Nahrungsmittel vorziehen; wenn sie hungrig sind und kein Geld haben, ziehen sie eine Zigarette einem Stück Brot vor. Dr. Thévenoz war ähnlich veranlagt. Nach dem Urteil seiner Bekannten wäre er mit einer einfachen Frau, einer jener besorgten, mütterlichen Naturen, durchaus glücklich geworden. Er zog aber dem Roggenbrot, wie gesagt, die Zigarette vor und verliebte sich in Fräulein Dr. Madge Lemoyne. Der Verkehr mit Madge war so anstrengend, daß er fünf Kilo Körpergewicht verloren hatte, und diesen Verlust hatte er bis jetzt nicht wieder zu ersetzen vermocht.

      Ja, ein Zusammensein mit Madge zerrte an den Nerven. Eine schottische Dusche – heißer Wasserstrahl, gleich darauf eiskalter – kann, sparsam gebraucht, eine angenehme Entspannung erzeugen. Wird sie aber zu oft wiederholt, so kann sie zur Tortur werden. Madge konnte zärtlich sein, plötzlich, nach einem Wort, das ihr nicht paßte, wurde sie ausfallend und spielte die Gekränkte – um ebenso unbegründet wieder einzulenken. Merkwürdig war, daß sie sich nur mit Thévenoz so benahm. Andere Leute rühmten ihre Gutmütigkeit, ihr ausgeglichenes Wesen. Manchmal schien es, als sei sie noch auf der Suche nach dem passenden Partner und habe Thévenoz nur so zum Zeitvertreib genommen, aus Furcht vielleicht vor jener Einsamkeit, vor jenem Sich-nutzlos-fühlen, das viele berufstätige Frauen wie eine Art schlechten Gewissens mit sich herumschleppen.

      Walter Crawley war um halb fünf gestorben. Thévenoz hatte den Abend frei und so bat er Madge, mit ihm zusammen zu Nacht zu essen. Aber Fräulein Dr. Lemoyne wünschte, nachher noch tanzen zu gehen.

      Thévenoz, der über einen nicht sehr beweglichen Körper verfügte, seufzte, als vom Tanzen die Rede war, aber er ergab sich in sein Schicksal. Er versuchte gewaltsam, lustig zu sein, und vermied es, von Crawleys Ableben zu sprechen. Erst, als er im Auto saß (zuerst hatte er noch einen kleinen Kampf mit Madges Airedaler Ronny zu bestehen, der nur sehr widerwillig seinen Platz dem unsympathischen Eindringling – der Hund war obendrein noch eifersüchtig – einräumte), erst im Auto, nach einem langen, drückenden Schweigen, sagte Thévenoz:

      »Was nur der Meister mit dieser ganzen Geschichte zu tun hat!«

      Madge hakte sofort ein: »Erstens verstehe ich nicht, warum du Dominicé immer den Meister nennst. Obwohl… Und dann: Was soll der alte Mann mit dieser Vergiftungsgeschichte zu tun haben? Ich bitte dich! Ich weiß, daß Crawley seine Kurse besucht hat. Auch sonst war er manchmal beim Professor. Aber daß der alte Herr mit der Ermordung des Sekretärs etwas zu tun haben soll, das ist doch lächerlich.«

      »Und die Karte? Gestern war Crawley also doch beim Meister. Beim Meister! Ich nenne ihn so! Du hast kein Gefühl für die Bedeutung dieses Mannes. Weißt du denn überhaupt, daß er unsere einzige Genfer Berühmtheit ist? In okkulten Fragen? Ich hab' dir doch sein Buch zum Lesen gegeben.«

      »Ja«, sagte Madge versöhnlich, »sein Buch ist gut; aber es ist alt. Wann hat er es geschrieben? Vor zwanzig Jahren? Inzwischen ist doch viel Wasser durch den Genfersee geflossen und viel Blut in der Erde versickert.«

      »Alt? Sein Buch? Dessoir zitiert es, Schrenck-Notzing, Oesterreicher. Sogar Flammarion. Und da behauptest du, daß es veraltet ist?«

      Madge war über diese Rede so erstaunt, daß der Wagen einen Zickzackkurs einschlug. Sie blickte kurz auf ihren Freund.

      »Seit wann beschäftigst du dich mit diesen Fragen? Ich habe geglaubt, du interessiert dich überhaupt nur für Blutsenkungen und Harnanalysen? Seit wann liest du Séancenprotokolle?«

      Thévenoz errötete wie ein ertappter Schulbube. Aber er zog sich geschickt aus der Situation:

      »Seit ich eine Freundin habe, die sich mit Seelenkunde befaßt.«

      Darauf schwieg Madge. Nach einer kleinen Pause fragte sie:

      »Wer ist diese furchtbare Frau, die beim ›Meister‹ – wie du sagst – als Haushälterin dient?«

      »Ah, du meinst Jane Pochon? Warum furchtbar? Sie sieht nicht schön aus, die Jane, alt ist sie auch. Ja, das ist ein ehemaliges Medium. Diese Jane spielt die Hauptrolle in seinem Buch. Der Meister hat sie in einem spiritistischen Zirkel kennengelernt, hat dann mit ihr allein Sitzungen abgehalten. Später hat sie sich verheiratet, ihr Mann war ein Trinker, er ist gestorben und hat sie mit einem Buben allein gelassen. Da hat sie der Professor bei sich aufgenommen, zuerst wohnte sie bei ihm, jetzt hat sie sich, glaub' ich, eine kleine Wohnung eingerichtet und vermietet Zimmer. Aber wie ich gehört habe, hat sie kein Glück damit. Ihr letzter Mieter war ein Bankbeamter, den mußt du kennen, der ist ja jetzt bei euch oben, in Bel-Air, plötzlich verrückt geworden, erzählte die Frau, wart einmal, hieß er nicht Crottaz, Crossat oder so ähnlich?«

      »Corbaz meinst du. Ja, jetzt erinnere ich mich. Diese Jane Pochon hat ihn damals gebracht, da hab' ich sie auch zuerst gesehen, wir glaubten an ein Alkoholdelir, aber dann war es nur eine simple Schizophrenie. Verfolgungsideen, Stimmen, übrigens, er sprach auch immer von ›stechen‹, wie Crawley; jetzt hat er sich beruhigt und arbeitet im Garten.«

      »So, stechen hat er gesagt«, stellte Thévenoz fest. Und dann schwieg er, bis sie vor dem kleinen Dorfwirtshaus in Jussy hielten, wo sie zu Nacht essen wollten. Während der Mahlzeit war Thévenoz sonderbar aufgeregt, er streichelte von Zeit zu Zeit Madges Hand, die auf dem Tisch lag, er, der Korrekte, der es sonst peinlich vermied, in der Öffentlichkeit Zärtlichkeit zu zeigen. Madge ließ es geschehen, nur Ronny gefielen diese Demonstrationen nicht. Er bellte, ließ sich aber dann durch einen Brotbrocken, der in ausgelassene Butter getaucht worden war, beruhigen.

      7

      Die Latham-Bar in der Rue du Rhône ist jeden Abend gefüllt. Sie besitzt einen guten Mixer, der die Amerikaner anzieht, eine gute Kapelle, die manchmal auch Klassisches spielt, was die Engländer schätzen; die deutschen Diplomaten kommen wegen der französischen Lieder, weil sie bei diesen durch ein lautes Lachen beweisen können, daß sie die Pointen und Zweideutigkeiten verstehen, und also auf französischen Esprit geeicht sind. Im ganzen verkehrt dort ein internationales Publikum, in dem selbst Russen und Italiener nicht fehlen.

      Thévenoz tanzte nicht gut. Erstens war der Platz, der inmitten der vielen Stühle für die Paare frei war, viel zu klein. Man mußte sich an den andern vorbeischieben, gab man nicht acht, so stieß man sich schmerzhaft an spitzen Ellenbogen oder

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