Im Reiche des silbernen Löwen II. Karl May

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Im Reiche des silbernen Löwen II - Karl May

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die hervorragendsten der dort wohnenden Europäer zum Pascha, um ihn zu bitten, ihr den Durchzug zu verweigern; aber alle ihre Bemühungen und Vorstellungen waren vergeblich. Das einzige, was sie erreichen konnten, war, daß die Mullahs[5] gefragt werden sollten. Diese entschieden: »Das Verlangen der Christen ist eine Versündigung gegen den Kuran. Wenn die Pest diese Ungläubigen tötet, so geschieht ihnen recht, weil sie die heilige Lehre des Islam verwerfen. Sollten aber auch Gläubige sterben, so hat es Allah gewollt, welcher die Todesstunde jedes seiner Anbeter kennt, und sie gehen alle in den Himmel ein. Es darf also der Karawane nicht verboten werden, durch die Stadt zu ziehen.« Nach dieser Entscheidung wurde gehandelt, und die Folge war, daß die Seuche sich in einer noch nie dagewesenen Weise über die Stadt verbreitete. Es fielen ihr täglich Tausende zum Opfer; es half nichts, daß man sich vollständig abschloß und verkroch. Die Leichen konnten schließlich nicht mehr begraben werden; sie lagen verwesend auf den Gassen und in den Häuserwinkeln und verbreiteten Miasmen, welche durch die Mauern zu dringen schienen und täglich neue Opfer forderten. Die Stille des Grabes lag auf der unglücklichen Stadt; es gab sogar keinen Mueddin mehr, dessen Ruf zum Gebete vom Minareh herniederklang. Es gab weder Handel noch Wandel, weder Kauf noch Verkauf. Die Bäcker waren verschwunden, die Sakka‘in[6] dahingerafft; man konnte selbst für viel Geld nichts Eßbares erhalten – das Gespenst des Hungers ging von Straße zu Straße, von Haus zu Haus, um hinter der Seuche grausige Nachlese zu halten. Unglücklicherweise gesellte sich zu diesem Unheile eine beispiellose Überschwemmung des Tigris, welcher die aus Erde bestehenden Mauern durchweichte und die ganze Stadt überflutet. In einer einzigen Nacht versanken fünftausend Häuser in seinen gierigen Wogen. Als sich die Wasser zurückgezogen hatten, bildete der durchtränkte Boden einen einzigen, großen Seuchenherd, das Sterben dauerte noch lange fort, und als es endlich, endlich vorüber war, hatten zwei Drittel der Einwohnerschaft den Bescheid der Mullahs mit dem Tode bezahlt.

      Später ist das anders geworden. Besonders hat der so viel gepriesene und ebensoviel angefochtene Midhat Pascha unter den alten, unglücklichen Vorurteilen und Gepflogenheiten aufgeräumt. Die Leichenkarawane darf nur die Grenze des nördlichen Stadtbezirkes berühren, um mit möglichster Schnelligkeit über die Brücke zu gehen.

      Gewöhnlich wird ihr eine hohe Fahne mit dem persischen Wappen, ein Löwe, hinter dem die Sonne aufsteigt, vorangetragen. Dann folgen diejenigen Pilger, welche noch gut bei Kräften sind, hagere Gestalten mit sonnverbrannten Gesichtern, aus deren dunklen Augen die stolzeste religiöse Selbstüberschätzung spricht, Reiter auf Kamelen und Pferden, deren Sättel und Decken mit allerlei gleißendem Schmuck behangen sind, Fußgänger mit eingelegten Waffen, eintönige Gebetsformeln vor sich hinschnarrend und dabei mit haßerfüllten Blicken unter den Zuschauern nach Andersgläubigen suchend, um sie anzuspucken oder mit Schimpfworten zu bewerfen. Schwerbeladene Maultiere oder Esel tragen die Särge, in denen die »Gäste des siebenten Himmels« der islamischen Seligkeit entgegengetragen werden, einstweilen aber eine faulende Gallerte bilden, deren fürchterlicher Duft das Holz durchdringt und nichts weniger als himmlisch ist. Meist sind die kräftigeren Maultiere in der Weise beladen, daß rechts und links je ein Sarg hängt und der Reiter mit hoch emporgezogenen Beinen auf dem Sattel hockt. Die schwächeren Esel pflegen nur eine Leiche zu tragen, die sich entweder in einem Sarge befindet oder in eine Decke geschnürt ist. Man erblickt Fußgänger, welche zu zweien eine Leiche tragen, dazwischen oft auch einen einzelnen, der einen Toten mühsam auf dem Rücken schleppt. Indem man für die übermäßig bepackten, unbarmherzig geschlagenen und mißhandelten, wund und blutig geriebenen oder gedrückten Tiere tiefes Mitleid hegt, fragt man sich, ob diese vom fanatischen Übermute aufgeblähten, im Vorüberpassieren auf uns schimpfenden und fluchenden Menschen eines ähnlichen Gefühls wert seien. Sie sind geradezu in Verachtung alles dessen, was nicht schiitisch ist, eingehüllt, und jede Miene ihres Gesichtes, jede Bewegung ihres Körpers oder auch nur ihrer Hand ist eine Beleidigung für den, den sie für andersgläubig halten.

      Je weiter der Zug vorübergeht, desto fragwürdiger werden die Figuren, die ihn bilden. Es kommen die Ärmeren, die ganz Armen, die Bettler und schließlich die Marodeure, das Gesindel. Sie gehen barfuß; ihre Kleidung ist zerrissen; oft besitzen sie nur einen einzigen Fetzen, um ihre größte Blöße zu verhüllen; an Stöcken und Knütteln, alten Gewehrschäften und Lanzenstücken humpeln oder schwanken sie vorbei; aber ihre Augen blicken stolz, und Verachtung wohnt selbst zwischen den häßlichen Runzeln ihrer Gesichter. Sie sind die von Allah allein Begnadeten, die von ihm für die Seligkeit Auserwählten, die bevorzugten Besitzer des Himmels, und wer nicht mit ihnen humpelt, nicht mit ihnen höhnt und speit, der ist ein verdammter Sohn des Teufels, ein verfluchter Erbe der tiefsten Höllenqualen. Sie haben sich wie indische Fakirs verunstaltet, sich Wunden beigebracht, mit Kamel-, Pferde- und noch anderem Mist beschmiert, als ob der Gestank der Leichen noch keine genügende Wonne für sie sei, und aus diesem Unflate heraus lassen sie für Allah ihre Gebete und für die Menschen, an denen sie als Scheusale vorüberschwanken, ihre spott- und hohnvollen Schimpfreden schallen.

      Als ich bei unserer ersten Anwesenheit in Bagdad mich mit Halef unter den Zuschauern befand, bedeckte dieser infolge des Gestankes die Nase mit dem Zipfel seines Turbantuches. Einer der Perser bemerkte dies und trat herbei.

      »Sak – Hund,« rief er; »warum verhüllst du dir die Nase?«

      Halef verstand das Persische noch nicht; darum antwortete ich für ihn:

      »Glaubst du denn wirklich, daß die Ausdünstung dieser Leichen ein Geruch des Paradieses sei?«

      Er sah mich verächtlich von der Seite an und meinte:

      »Weißt du nicht, was der Kuran sagt? Er sagt, daß die Gebeine der Gläubigen nach Amber, Gul, Semen, Musch, Naschew und Nardjin[7] duften.«

      »Diese Worte stehen nicht im Kuran, sondern in Ferid Eddin Attars Pendnameh; merke dir das! Warum übrigens habt ihr euch denn selbst die Nase und den Mund verhüllt?«

      »Das sind die andern; ich bin es nicht!«

      »So beklage dich zunächst über die Deinen, und dann magst du zu uns kommen! jetzt haben wir nichts mit dir zu schaffen!«

      »Mann, deine Rede ist stolz! Du bist ein Sunnit. Ihr habt Herzeleid gebracht über den echten Kalifen und seine Söhne. Allah verdamme euch bis in die finsterste Tiefe der Hölle hinab!«

      Er wendete sich mit einer drohenden Handbewegung von uns ab, und wir hatten da gleich ein Beispiel des unversöhnlichen Hasses, welcher – je länger, desto heller – zwischen Sunna und Schia lodert. Dieser Mensch wagte es, uns in der unmittelbaren Nähe einer Bevölkerung von Tausenden von Sunniten zu beschimpfen; wie erst muß es da einem Manne ergehen, den man in Nedschef Ali oder gar in Kerbela als Nichtschiit entdeckt!

      Ich will noch ein zweites Beispiel dieses fanatischen Hasses erwähnen. Wir, nämlich der Engländer Lindsay, der persische Prinz Hassan Ardschir Mirza, Halef und ich, folgten nebst noch anderen Personen damals der uns vorangezogenen Todeskarawane, deren Gestank noch auf dem Wege lag, obgleich inzwischen ein Tag vergangen war. Es schien uns ganz so, als ob wir uns in einem ungelüfteten, mit Pockenkranken angefüllten Spital befänden. Zuweilen überholten wir einen Pilger, welcher sich in Kerbela begraben lassen wollte, oder eine Gruppe von Schiiten, welche einem armen, abgetriebenen Tiere mehrere Leichen aufgebürdet hatten, die es schwitzend, keuchend und vielfach strauchelnd weiterschleppte, während hinter ihm die Luft durch den Todeshauch der Verwesung so verschlechtert wurde, daß sie fast nicht zu atmen war.

      Da saß am Wege ein Bettler, vollständig nackt, bis auf einen schmalen, um seine Lenden gegürteten Schurz. Er hatte seinem Schmerze um den ermordeten Hussein in folgender, höchst widerlichen Weise Ausdruck gegeben: die Oberarme und Schenkel waren mit spitzigen Messern durchstochen, und in die Unterarme, die Waden, in den Hals, durch die Nase, das Kinn und die Lippen hatte er von Zoll zu Zoll lange Nägel getrieben; im Unterleibe und in den Hüften hingen, in

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<p>5</p>

Hohe Geistlichkeit.

<p>6</p>

Wasserträger.

<p>7</p>

Ambra, Rosen, Jasmin, Moschus, Wacholder und Lawndel.