Als Mariner im Krieg. Joachim Ringelnatz

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Als Mariner im Krieg - Joachim  Ringelnatz

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spülten Korkwesten, Balgen, überhaupt alles, was nicht angebunden war oder sich nicht krampfhaft mit beiden Händen festklammerte, über Bord. Wer nicht unbedingt an Deck zu tun hatte, blieb unten. Die mehrere Zentner schwere Signalglocke läutete ohne Bedienung.

      Mein Wachvorgänger wollte den Kommandanten auf den Ernst der Situation aufmerksam machen. In der Kajüte führte der Weihnachtsbaum mit den unterschiedlichsten Gerätschaften einen wilden Tanz auf. Dazwischen lag sterbenskrank dahingestreckt der Kommandant.

      »Wollen Herr Leutnant nicht mal an Deck kommen? Das weht immer schlimmer. ›Diomedes‹ und ›Franz‹ sind schon weit vertrieben. Unser Anker hält vorläufig noch.« Der Kommandant erklärte, er ginge nicht an Deck. Was es denn da weiter zu sehen gäbe.

      Nachmittags mußten wir unseren zweiten Anker ausbringen und alle Kette stecken. Der Kommandant kam schließlich doch für eine Stunde auf die Brücke. Er hatte dunkelrote Flecken im Gesicht, und er blieb an Steuerbord übers Geländer gebeugt und erbrach sich. Eichmüller und ich machten sich heimlich über ihn lustig, obwohl auch wir bleich und von Furcht erfüllt waren. Wir froren sehr, weil wir nicht auf und ab gehen konnten. Durch die mit weißen, zerfetzten Schaumgeweben bedeckten, dunkelgrünen Wogen flüchteten sich Torpedoboote nach Wilhelmshaven. Ihnen folgte ein Fischdampfer mit gebrochenen Masten. Vor seinem Bug stand eine stete hohe Wassersäule. Es war natürlich nicht daran zu denken, daß ich nach Ablösung endlich einmal die mich bedrückenden Weihnachtsdankesbriefe schrieb.

      Wider Erwarten hatte sich das Routineboot herausgewagt. Von Toni Pfeiffer erhielt ich ein Lebenszeichen aus Wenduyne. Von Louise Reichard erhielt ich eine Dose Schoten. Horsmann lachte mich brieflich aus, weil ich Immermanns Münchhausen ernstlich für verheftet gehalten hatte, nachdem der erste Band mit dem elften Kapitel begann. Ferner oder ganz fern Stehende schrieben an mich, darunter viele, die aus Neugier, Hysterie, Langeweile oder aus Geschäftsinteresse Kriegsberichte von mir haben wollten. Sie betonten, daß ich angesichts meines schweren Dienstes meine Antwort lange hinausschieben sollte, flochten aber gleichzeitig geschickte Fragen ein, die eine rasche Antwort erheischten. Unerquickliche Zeitungen mit nur günstigen Nachrichten, albernen oder plumpen Anmerkungen der Redaktion und eitlen Todesanzeigen. Überschwengliche Kaisergedichte von Max Bewer und Abbildungen von höchsten Damen in modischer Tracht als barmherzige Schwestern.

      Die Leute vom Routineboot wollten gehört haben, daß der Kommandant der »Yorck« zwei Jahre Festung und sein erster Navigationsoffizier ein Jahr Gefängnis erhalten hätte.

      Durch den Orkan war viel Schaden angerichtet. Der große Kran in der Werft sollte umgefallen sein. Die gütige, arme, kranke Margot Fichtner, zu der ich und zu der wir eigentlich alle so oft ungerecht überlegen gewesen waren — wir damals in München — sie also sandte mir jetzt ein reiches Liebesgabenpaket, das in einer Flasche Kognak gipfelte. Hugo von Halm teilte mir mit, daß der Kunsthistoriker Oskar Dolch an der Front gefallen war. Mir ward sehr weh ums Herz. Da war ein lieber Freund von mir tot, ein Mann von wunderbarem Wissen und feinstem künstlerischem Geschmack. Dolch hatte mich häufig ob meiner Unwissenheit getadelt und mir dies und jenes beizubringen versucht. Er war bescheiden, gastfrei und hatte eine entzückende Art, mit einfachen Mädchen — etwa mit einem Milchmädchen — umzugehen. Er liebte diese Mädchen so zart.

      Nachts auf Wache rauchte ich dem Verstorbenen zu Ehren die Pfeife Libertas, die ich dazu ausersehen hatte, nur zum Gedächtnis Gefallener geraucht zu werden. Eichmüllern bedeutete ich, jegliches Geschwätz zu unterlassen. Als er trotzdem bald vom Vertörnen der beiden Ankerketten, bald von anderen ihn angeblich beunruhigenden Angelegenheiten zu brummeln begann, half ich mir anders, indem ich meinerseits das, woran ich denken wollte und zutiefst dachte, laut aussprach und den Obermatrosen damit zum Zuhörer machte.

      »Dolch ist tot! Ein junger Gelehrter, auf den alte, erfahrene Fachleute hörten und von dem sie lernten. Ein Mann, der eine große Zukunft hatte, ein edler Mensch, gegen den du, Eichmüller, ein Schweinigel bist. Nie wieder werden wir eine dieser wilden, geistreichen und sonderbaren Nächte in jener geheimnisvollen Parterrewohnung feiern. Wenn die Scheiben früh sich blau färbten, und wir noch immer beim Burgunder saßen und bis zur Heftigkeit über den Leutnant von Zabern und den Wilhelminischen Geist stritten, dann warst du, Dolch, stets einig mit mir. Aber von Halm, der selber nie gedient hatte, sondern nur immer wieder sich auf seinen Bruder berief, der allerdings ein tüchtiger Offizier war, dieser unser von Halm warf uns zuletzt sozialdemokratische Gesinnung vor. Und nun sitzt von Halm noch in der Heimat, und du, Dolch, bist in der ersten Reihe der Mutigsten gefallen.«

      Als Libertas ausgeraucht war, holte ich Margots Kognakflasche vor, und nach mancherlei Zeremonien, die mir in meiner Situation ein echtes Bedürfnis waren, durfte auch Eichmüller einen Schluck trinken, er mußte zuvor aber laut in den Sturm rufen, was ich ihm wortweise vorsprach: »Ich trinke auf das himmlische Wohl des toten Dolch, gegen den ich ein Schweinigel bin!« Darauf schlich ich mich in die zufällig unverschlossene Kombüse und durchstöberte die Schubfächer nach etwas Eßbarem, fand dort aber nur schmutzige Wäsche, aus der beim Strahl meiner Taschenlampe Hunderte von Kakerlaken nach allen Seiten flohen.

      Tante Selma bat ich im nächsten Brief, ein grünes Kränzchen ohne Blumen, ohne Worte und ohne Namen an die Tür von Dolchs Parterrewohnung zu hängen.

      Die Befehle betreffs Sparsamkeit mehrten sich, waren aber bei der Marine besonders schwierig durchzusetzen. Kartoffeln sollten fortan gewaschen und mit Schale gekocht werden. Alle, auch die kleinsten Reste von Wollsachen sollten gesammelt und auf »Glückauf« abgegeben werden. Dreimal wurde ich vom Leutnant darüber erwischt und davon abgehalten, daß ich einen uralten Strumpf ins Meer werfen wollte, den schon Tante Selma vor mir getragen und den ich später zum Lampenreinigen und zuletzt zum Säubern meiner mit Staufferfett besudelten Hände benutzt hatte.

      Ich wurde zum Sperrkommandanten befohlen, zum »Einsperrkommandanten« sagte Schaffrot. Der Durchfahrtskommandant hatte ihm mein Gesuch zur Erledigung gegeben, und nun las es Kapitänleutnant Rusch in Gegenwart meines Kommandanten sowie seines Verwalters laut vor, wobei er alles auf seine Art widerlegte und mir militärischen Ungehorsam vorwarf. Mein Schreiben sei mehr Beschwerde als Gesuch. Daß ich gern fortmöchte, könnte jeder sagen. Es wäre selbstverständlich, daß ich meine Pflichten bestens erfüllte, und er könnte nicht fortwährend neue Leute einstellen. Eigentlich hätte ich Arrest verdient, er wollte mich aber mit nur einem scharfen Verweis bestrafen. Die Audienz war damit zu Ende. Abends zeigte mir Herr Kaiser den Tagesbefehl, worin meine Strafe »strengen Verweis wegen unmilitärischen Benehmens« schon angezeigt war. Das war meine erste von den in den Büchern fortlebenden Strafen bei der Kaiserlichen Marine.

      Ich versandte Neujahrswünsche und ließ einen Hyazinthenstock für den Intendanturrat Bruhn besorgen. Eichhörnchen bat mich in einem verspäteten Briefe, das Weihnachtsbäumchen von ihr — ich hatte es früher erhalten und am zweiten Feiertage Witzmann geschenkt — mit brennenden Kerzen in die See zu werfen, als Gruß an die »Yorck«-Leute. Nun besteckte ich einen Tannenzweig mit Lichtern, band eine schwarz-weiß-rote Schnur daran und warf ihn über die Reeling.

      Von Bord zu Bord wurde signalisiert »Prosit Neujahr!« Ich zog mir zur Wache zwei Hosen, drei Sweater und zwei Paar Handschuhe, obendrein noch Ölzeug an, fror aber trotzdem noch in Nässe, Kälte und Wind. Deshalb aß ich Mirzls Konservenschoten kalt. Auch hinterher in meiner Koje fror ich trotz eines Schlafsackes, den mir Vater geschenkt hatte mit einem Begleitbrief, darin er mich ermahnte, in meiner gegenwärtigen Verbitterung nicht die Achtung vor dem allgemeinen deutschen militärischen Geiste zu verlieren.

      Wenn ich in den langen, langen Stunden einsamer Wache das alte Steckenpferd ritt, »wie ungerecht geht das alles zu«, dann gab ich, durch Vaters oder Eichhörnchens Briefe und durch anderes beeinflußt, mir wirklich immer wieder die Sporen: »Betrachte es doch ruhiger, unpersönlicher, abständlicher.« Aber solche Vorsätze flogen wie Bumerangs. Ich überlegte mir zum Beispiel: An welchen von den vielen Vorgesetzten, die du bisher kennengelernt hast, denkst du mit besonderer Hochachtung oder gar mit Enthusiasmus?

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