Als Mariner im Krieg. Joachim Ringelnatz

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Als Mariner im Krieg - Joachim  Ringelnatz

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der nichts dazu beisteuerte.

      Ein Mann unserer Division wurde wahnsinnig. Es gab Leute, die über Urlaub blieben, weil sie mit Arrest bestraft sein wollten, um auf diese Weise wenigstens für einige Zeit von Bord zu kommen. »Die Offiziere schwelgen hier«, sagte einer dieser Leute zu mir, als ich ihm gut zureden wollte, »und wir dienen den Offizieren, nicht dem Vaterlande.« Was konnten diese Leute dafür, daß sie diese jungen Offiziere, Leutnants, Oberleutnants, Kapitänleutnants verantwortlich machten und haßten. Sie kamen ja mit höheren Instanzen nicht in Berührung. Was konnten diese jungen Offiziere dafür, daß sie Annehmlichkeiten, die ihnen in dieser abscheulichen Zeit geboten wurden, annahmen und nach ihrer Art und Denkungsweise auswerteten. »Wir haben es doch hier eigentlich noch recht gut«, sagte einmal der Leutnant zu mir, und als ich ihn daran erinnerte, daß wir manchmal an manchem Tage sechzehn, ja zwanzig Stunden Dienst hatten, brach er verdutzt das Gespräch ab.

      Wir fuhren den Sperrkommandanten spazieren, nein, erst fuhren wir zum Dampfer »Hera«, um Wasser zu nehmen. Aber dann legten wir uns neben eins der neuesten Torpedoboote. Es handelte sich um einen Offiziersbesuch, also um eine Privatangelegenheit. Die Offiziere tranken unten in der Messe und ließen uns warten, warten und weiter warten. Wir standen wie Lakaien an Deck, flüsterten ein paar vertrauliche Worte mit den Lakaien des Torpedobootes, während wir uns mit den Fendern und Leinen abmühten, weil die beiden Schiffe bei der starken Dünung gegeneinander bumsen oder sich voneinander losreißen wollten. Da unser Kommandant es auch auf die Dauer nicht für nötig erachtete, uns ein Wort der Erklärung oder eine Dienstanweisung zukommen zu lassen, setzten wir uns schließlich hungrig zum Essen; als das eben aufgetragen war, erschien Herr Kaiser und rief: »Klar zum Manöver!«

      Wegen Urlaubsüberschreitung erhielten: Obermatrose Eichmüller drei Tage Mittelarrest nebst Degradation zum Matrosen, Matrose Schulz fünf Tage Arrest.

      Jessen fluchte auf den Leutnant, der Koch auf einen Unbekannten, der ihm aus Tort das Ofenrohr in der Kombüse verstopft hatte. Die Leute schimpften über den Koch. Der Leutnant schimpfte über seine Mannschaft, der Sperrkommandant über alle Mannschaften. Ich konnte überhaupt nicht mehr schimpfen. Ich fühlte mich einsam und dachte noch immer traurig an den toten Dolch.

      Zum Geburtstage des englischen Königs wollte wohl unsere Marine auch ihre Glückwünsche bringen. Ich sah die »Straßburg« und »Nautilus« schwer mit Minen beladen auslaufen.

      »O Peter Jessen aus Holebül bei Flensburg, du einziger, mit dem ich hier — ich glaube in einer betrunkenen Stunde — Brüderschaft schloß!« schrieb ich in mein Tagebuch. »Obermaat Jessen, du altes, fettes Schwein. Du ißt Tag für Tag mit mir und jedesmal zuckt es mir in den Fingern, deinen kahlen Seehundskopf, dein unehrliches Gesicht mit den schlauen Augen, die während des Essens nicht von der Schüssel weichen, tief in die Suppe zu tauchen. Du schmatzt, du rülpst, du schlürfst und ketschst. Bei allen Mahlzeiten bist du der erste an der Kombüse, und wenn ich dich früh wecke, sagst du statt ›Guten Morgen‹, ›Wo ist der Kaffee?‹ Du sprichst nur vom Essen. Du würdest für ein gutes Gericht deine treuesten Anhänger verraten. Ja, man möge mich für ungerecht, ärgerblind oder für wetterwendisch halten, weil ich dich nun heruntersetze, weil ich mich in dir getäuscht habe, wie sich alle in dir täuschen. Denn du bist ein kalter, berechnender Egoist. Du bist ein Meister der knechtischen Geduld und der Verstellung. Du hast mir im Skat viel Geld abgeknöpft. Du hörtest stets mit Spielen auf, wenn du gewonnen hattest, und du merktest dir, daß der Treffbube einen schwarzen Pickel auf der Rückseite hatte. Du studiertest meine Züge, die verrieten, ob ich günstige oder ungünstige Karten hatte. Du spielst an Bord und vor den Vorgesetzten die Rolle des schlichten, stillen Mannes. Du bist feig, hast Angst vor Pulver und Kampf, du hast keine Ehre und keinen Anstand im Leibe, du bist zu Beschwerden zu feig und hetzt andere gegen den Leutnant auf, wenn er dich gekränkt hat, und du treibst andere durch unanfechtbare, aufreizende Reden in Strafen.«

      Am nächsten Tag las ich diese Eintragung erst leise für mich und dann laut Jessen vor. Der erzählte mir, ich wäre durch sehr viel Bier sehr betrunken geworden, und dann hätte ich mich in meiner guten Laune zur Entrüstung der anderen Maate ins Matrosenlogis gesetzt, hätte mit den Leuten die Reise nach Jütland gesungen und hinterher ihnen das Herz von Douglas vorgetragen.

      Die Minen der ersten Sperre wurden gesprengt, weil sie zu tief im Schlick versackt waren. Interessiert sahen wir zu. Da wuchs für Sekunden ein riesiger zackiger Eisberg oder ein gläsernes Schloß donnernd aus dem Wasser, und wenn es in sich zurückgefallen war, dann bedeckte sich das Meer an der Stelle mit Hunderten von toten Fischen, und die Möwen sammelten sich alsbald.

      Ich bedaure, daß ich unfähig bin, Dialekt und Sprachweise meiner Kameraden wiederzugeben. In einer stockdunklen Nacht nach dem Dienst sagte Jessen zu mir: »Wieder ein Tag um. Der Leutnant hat noch Besuch, wenn der abzieht, gehen wir vor Anker. Da lohnt es sich doch gar nicht, sich schlafen zu legen.« Wir setzten uns also an unser Klapptischlein, das schon einer von uns beinahe umzingeln konnte. Jessen kaute Äpfel, ich las in dem herrlichen Buche Anton Reiser. Undeutlich hörten wir den Leutnant Befehle rufen betreffs Anlegen oder Ablegen. Wir lagen bei starkem Wind an einer Leine hinter »Franz«. Jessen fragte aufhorchend: »Sollen wir an Deck?«

      »Ich nicht«, erwiderte ich müde faul, »paß auf«, fügte ich spöttisch hinzu: »jetzt gibt es einen Stoß.« Gleich darauf erzitterte der ganze »Vulkan« unter einem mächtigen Anprall. Ich lachte Jessen frivol zu.

      »Volle Kraft zurück!« schrie eine Stimme an Deck. Wir unten ahnten nicht, daß unser Leutnant gar nicht bei uns, sondern drüben an Bord, und daß unsere Leine gerissen war, wir infolgedessen von Windstärke 10 durch die beiden dunklen Tinten Luft und Wasser gerissen wurden. »Alle Mann an Deck!« Ich zog mir aber doch erst mein Ölzeug an.

      Oben war dickstes Preußischblau mit Schneesturm und zischenden Seen, aufgeregten Rufen und Wirrwarr, in den auch ich mich sofort verwickelte. Ich tastete mich nach der Lampenkammer. Das war ganz recht, denn die gehörte zu meinem Ressort, und Licht war nötig, aber ich vergaß, den Schlüssel mitzunehmen und mußte nochmals umkehren. Und allen kam alles Mögliche zwischen die Beine. Aber schließlich kriegten wir das Schiff doch wieder in Gewalt und brachten es an »Franz«, der uns durch Lichtsignale unterstützte. Der Leutnant stieg an Bord. Bis wir unter seiner Leitung einen Ankerplatz gefunden und Anker geworfen hatten, gab es noch viel Durcheinander, Zank, Scherben, Splitter, Anstrengungen, Gefährliches und Kaltblütiges.

      Die Verpflegung ward dünner, und der Koch verteilte das Dünne ungerecht.

      Alle Kriegsschiffe hatten ihren hintersten Schornstein rot gestrichen. Ein Zeppelin zog aus. Unter ihm flog ein Wildentenschwarm in wohlausgerichteter Formation. Während eines kleinen Mittagsschläfchens hörte ich, wie Tünnes im Heizraum jemandem riet, sich zwecks Abwehr der Kakerlaken den ganzen Körper mit Zwiebel einzureiben. Von Deck her klangen Befehle zum Strafexerzieren. Dann mußte ich ein Seitengewehr umschnallen, um Eichmüllern an Land ins Arrestlokal zu transportieren. Unterwegs berichtete er mir über sein seemännisches Vorleben. Wenn ich viel Lügen und Übertreibungen abzog, blieb noch, daß er Yachtmatrose in Potsdam gewesen war. Sehr komisch stellte er dar, wie Prinz Eitel Friedrich und die Prinzessin im Boote gefrühstückt hatten, aus zahllosen winzigen Büchsen und Dosen, worin immer nur ein viertel Bissen gewesen wäre, etwa zwei Pflaumen oder ein Kleckschen Butter; auch diese Kleinigkeiten hatten sie erst auf einen Teller gelegt, dann von dort etwas auf ihre eigenen Teller genommen, um es dann erst mit Gabel und Messer klein zu säbeln. Eichmüller hatte wütend zugesehen, und als er zum Schlusse der Mahlzeit aufgefordert wurde, sich auch etwas zuzulangen, und er mit seinen klobigen Tatzen in die Reste griff und alles im Nu hinunterschlang, hatte die Prinzessin gesagt, sie hätte noch nie einen solchen Fresser gesehen.

      Eichmüller hatte Kamm, Zahnbürste, Seife, ein Brot, und was sonst Vorschrift war, bei sich. Ich führte ihn erst in eine abgelegene Konditorei und fütterte ihn noch einmal satt. Im Arrestlokal wurde er aber wegen Überfüllung nicht angenommen, das heißt, das Arrestlokal war überfüllt. Der Aufseher sagte

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