Als Mariner im Krieg. Joachim Ringelnatz

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Als Mariner im Krieg - Joachim  Ringelnatz

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Die armen Kerle lagen mißmutig wartend im Hof und in den Rasenanlagen herum. Die Passierscheinkontrolle war streng geregelt worden, es gab nur noch in beschränktem Maße Stadturlaub.

      Der Mißmut machte sich in Anschnauzern und Zänkereien Luft, wozu oft die geringfügigsten Anlässe herhalten mußten. Beim Infanteriedienst war ein scharfer Schuß gefallen, vermutlich hatte ein Posten bei Ablösung vergessen, das Gewehr zu entladen. Ich verprügelte den kleinen Moritz, weil er auf meinem Zeugsack geschlafen und dabei mein Nähzeug zerdrückt hatte. Besonders aber spitzte sich der Kampf um ein Bett zu. Wer noch immer keins hatte, der suchte sich eins zu stehlen oder eins mit Gewalt einzunehmen, und wer eins hatte, mußte, wenn er abends in die Stadt ging, befürchten, daß es ihm gestohlen oder zum Beispiel von Leuten eingenommen wurde, die ihr Vorrecht damit begründeten, daß sie von Wache kämen, also ernsthaft Dienst verrichtet hätten und nicht, wie wir, nur Heimarbeiter und Faulenzer wären. Eines Tages wurden aber alle Betten und Spinde in unserer Stube frei, weil die für den Kreuzer »York« bestimmte Mannschaft ausrückte. Wir waren selig, diese Kerle losgeworden zu sein, packten unsere Kleidersäcke aus und richteten uns endlich einmal ein, wie sich‘s gehört. Spiegel, Ansichtskarten und Fotografien von Bräuten wurden angenagelt, und als wir mit allem fertig waren, kam uns der Befehl zu, sofort nach einer Stube im obersten Stock zu übersiedeln, wo es wieder keine Spinde und nur Strohsäcke gab.

      Auch dem Abendurlaub waren keine Reize mehr abzugewinnen. Die wenigen Frauen in Wilhelmshaven hatten bestenfalls nur für Offiziere etwas übrig, und was sonst herumlief, waren Mariner oder Seebatailloner, daß einem der Arm vom Grüßen lahm wurde, sonst nur noch Schlachter, Papierhändler, Uniformschneider und Wirte, Leute, die größtenteils die Kulis verachteten, obwohl sie von ihnen lebten.

      Es erwischte auch mich eines Tages, zum »Kohlen« abkommandiert zu werden. Das galt schwere und vor allem schmutzige Arbeit zu verrichten, und mir grauste davor, obwohl es Löhnungszulagen dafür gab, und ich als Unteroffizier selbst weder schaufeln noch Körbe dabei zu schleppen brauchte. Brummig rückten wir nach dem Südhafen ab, wo mehrere Torpedoboote und auch große Schiffe lagen und unter den Klängen ihrer Bordkapellen Kohlen einnahmen. Wir sollten für die »Straßburg« arbeiten, wurden dort aber zu unserer Freude wieder weggeschickt, weil bereits andere Leute kohlten. Ganz langsam, Pfeife rauchend, Mädchen grüßend und Lieder pfeifend, marschierten wir zurück. In der Kaserne grollte ein böses Donnerwetter. Der neue Abteilungschef inspizierte und war sehr unzufrieden. Es sollten strengerer Dienst und straffere Disziplin eingeführt werden. Das war zweifellos nötig und wurde wohl beschleunigt, weil man einen neuen Divisionskommandeur erwartete, Herrn von Meerscheit-Hülsen. Dieser populäre Kapitän schritt am nächsten Vormittag bei Musik die peinlichst ausgerichtete Front ab und hielt hinterher eine etwas schwülstige, aber sehr anständige Rede, die mit drei Hurras auf den Kaiser endete, der ihn aus dem Zivilstand einberufen hätte. Der Kommandeur sagte unter anderem: Unsere Bekleidung, Verpflegung und Versorgung seien etwas mangelhaft, doch käme das daher, daß außer den erwarteten Mannschaften noch tausend Mann mehr sich freiwillig gestellt hätten. Hatten wir beim Antreten und Vorbereiten zum Teil gelacht und gemurrt, so stand jetzt, während dieser Ansprache, alles straff und mäuschenstill. Gewehre und Koppelzeug blitzten in der Sonne, und die windgepeitschten Mützenbänder kitzelten unsere Nacken. Dann folgte die Besichtigung der Räumlichkeiten. Herr von Meerscheit-Hülsen sagte mir, der ich als Ältester von uns Meldung zu erstatten hatte, daß unsere Stube sehr sauber und im Vergleich zu den anderen ein Paradies wäre. Seitdem hießen wir nur noch die Paradiesvögel.

      Wir ließen uns noch selben Tages fotografieren, und ich schrieb im Ratskeller, wo ein Stammtisch mir Wein und Radieschen spendierte, wohlgelaunte Briefe.

      Mein liebster Stubengenosse wurde Toni Pfeiffer, der von Beruf Rheinschiffer war und darüber witzig zu plaudern wußte, wenn wir uns in der Kantine unseren Schlafballast antranken. Es gab auch unangenehme, ja tückische Leute bei uns, und ich mußte mit Rücksicht auf ihr Alter so viel Dürftigkeiten und Dummheiten mitmachen, daß ich die erste Gelegenheit benutzte, mich freiwillig auf Torpedo-Werft-Wache zu melden.

      Ich kam auf die sogenannte Alte Wache. Mit sechs Mann, die abwechselnd zwei Stunden lang mit aufgepflanztem Bajonett auf dem Pulverprahm standen, um aufzupassen, daß kein Boot dort landete. Wer nicht Parole wußte und sich verdächtig machte, auf den sollte geschossen werden. Parole war »Metz«.

      Unser Wachtlokal enthielt zwei Pritschen, ein Pult und ein Wachtjournal, das bis zum Kriegsausbruch mit unorthographischer Gewissenhaftigkeit amüsante Protokolle über Verhaftete enthielt. Ich füllte nach Absitzen der vierundzwanzig Stunden alles aus, was ich auszufüllen hatte, und in die Rubrik »sonstige Vorfälle« schrieb ich:

      Kein Feind, kein Schuß, kein Spion, kein Mord.

      Man wacht und gähnt und wünscht sich an Bord.

      Meine sechs Mann wurden dann in der Werftkantine ausgezeichnet verpflegt. Ich selbst erhielt Befehl, sofort neun andere Leute zu den Öltanks zu führen, weil die dortige Wache infolge Kompanie-Wirrwarrs nicht abgelöst worden war. Im Eilschritt irrten wir durch die dunklen Kais über Eisenbahnschienen, Tauwerk und Brücken, bis wir unser Wachtlokal fanden, einen unfreundlichen, weiten, mit schmutzigen Karren vollgepfropften Schuppen. Um meinen Matrosen etwas Gutes zu erweisen, begab ich mich an Bord der dort liegenden »Moltke«, meldete mich beim wachthabenden Offizier und log ihm frech vor, meine Leute hätten seit zwölf Stunden nichts zu essen bekommen.

      Als ich mit Wurst, Butter und zwei Broten in den Schuppen zurückkehrte, riefen mir die Zurückgebliebenen lachend entgegen, es wären inzwischen Engel dagewesen. Dabei wiesen sie auf einen Krug heißen Kaffees und auf ein Riesenbündel, das uns über hundert prima-prima belegte Butterbrote bescherte. Mädchen einer höheren Töchterschule hatten das gebracht, aber es war natürlich viel zu viel für uns zehn. So aßen wir nur einen Teil des Belages ab und warfen das andere heimlich fort. Zu einer Zeit, da schon viele andere Menschen anderswo hungerten.

      An Bord der »Moltke« hatte ich mich übrigens mit höchstem Interesse umgesehen, und der Unteroffizier vom Dienst des Mitteldecks zeigte mir stolz die schußfertigen Kanonen, die vielen neuen technischen Wunder und die erstaunlichen Massen aufgestapelter Vorräte. Wie er mich auf verschlungenen Gängen durch das gewaltige Panzerschiff führte, bekam ich wieder einen mächtigen Eindruck, zumal ich mir gleichzeitig vorstellte, wie diese wertvolle schwimmende Stadt von tausenddreihundert Einwohnern durch einen einzigen Treffer in die Luft zerfliegen oder restlos ins Nimmerwiedersehen versinken könnte.

      Nun saß ich die ganze Nacht in dem öden Schuppen auf einem Faß voll grüner Seife, trank Kaffee und schrieb, Lulu rauchend, mein Tagebuch. Eine einzige, von Mücken und Kohlenstaub belagerte Glühbirne gab ihr spärliches Licht dazu, nur von Zeit zu Zeit warf ein ferner Scheinwerfer für Sekunden sein blendendes Weiß herein. Sirenen heulten auf. Dumpfe Nebelhörner tuteten. Friedlich, in dicke Mäntel gehüllt, auf Holzbetten schlief die abgelöste Mannschaft. Dann erschien leise eine Patrouille auf Rondegang. Der befehlende Steuermann beschwerte sich darüber, daß die Posten am Öltank ungenügend instruiert seien. Aber angesichts unserer Eßvorräte wurde er teilnehmend und erzählte, daß zwei Unterseeboote von uns vermißt würden.

      Kaum war die Patrouille wieder fort, so haute auch ich mich aufs Ohr und erwachte erst von den Kommandos »Zur-r-r Flaggenparade«, die von den Schiffen herüberklangen. Es war schönes Wetter. Die bunten Winkflaggen unterhielten sich rege von Bord zu Bord. Mehrere Schiffe liefen aus, darunter das Minenschiff »Kaiser«, ein ehemaliger Handelsdampfer. Noch einmal wagte ich mich auf die »Moltke«, um meinen Leuten ein Extra-Mittagessen zu verschaffen.

      Wir waren nun schon achtundzwanzig Stunden auf Wache, man, hatte auch uns offenbar vergessen. Erst als ich dringend telefonierte, schickte man Ablösung. Abends ließ mich Toni Pfeiffer ins Kasino rufen. Er habe unermeßlich viel Geld. Er fiel mir überglücklich um den Hals und rief einmal übers andere: »Gustav, meine Kleine ist da! Niemand kann mir mein Glück abkaufen!« Seine Liebste hatte ihm Geld mitgebracht, und er hielt nun die Paradiesvögel

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