Der Waldläufer. Gabriel Ferry
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Er verabschiedete ihn, indem er sich abermals bei seinen Gästen wegen der Unhöflichkeit entschuldigte, zu der er genötigt gewesen war. Dann nahm die unterbrochene Mahlzeit wieder ihren Verlauf, doch schien der Spanier nachdenklicher als gewöhnlich, und als seine Gäste sich entfernten, zweifelten sie nicht, daß er irgendeine Nachricht von großem Interesse für ihn empfangen hätte.
Wir wollen die Bewohner Arizpes ihren Vermutungen überlassen und Don Estévan zu jener geheimnisvollen Zusammenkunft begleiten, zu der er eben an einem Ort eingeladen war, der gerade auf dem Weg zum Presidio von Tubac lag.
Wenn man Arizpe verlassen hat, trifft man auf dem Marsch nach dem erwähnten Presidio nur von Zeit zu Zeit verfallene, zuweilen zusammenliegende Wohnungen; öfter noch liegen sie ganz vereinzelt. Diese Wohnungen sind etwa durch eine Entfernung voneinander getrennt, die ein Pferd zwischen Sonnenaufgang und Untergang zurücklegen kann. Daraus folgt, daß sie ebenso viele Haltepunkte für die Reisenden sind, die sich zur Grenze begeben. Aber die Reisenden sind nicht zahlreich, und die Bewohner jener Hütten bringen einen Teil ihres Lebens in tiefer Einsamkeit zu. Ein Maisfeld, das sie bebauen; einige Stück Rindvieh, die sie auf jenen duftreichen Triften mästen, die dem Fleisch eine ausgesuchte Schmackhaftigkeit verleihen; ein immer heiterer Himmel und besonders eine wunderbare Mäßigkeit lassen diese Steppenwirte wenn nicht im Wohlstand, doch fern von aller Sorge leben. Welche Wünsche könnte auch wohl der Mensch haben, dessen Decke der blaue Himmel ist und der im Rauch einer Zigarre ein untrügliches Schutzmittel gegen die Angriffe des Hungers findet?
An einem Morgen des Jahres 1830 saß – oder lag vielmehr – halb an der Tür einer Hütte, etwa drei Tagereisen von Arizpe, ein Mann auf einer der wollenen, sorgfältig gearbeiteten Decken, die man Zarapas nennt. Einige hier und da in einem vollkommenen Zustand der Verlassenheit verstreut liegende Hütten kündigten eines jener Dörfer an, die nur während der Regenzeit und während eines Teils der trockenen Monate von einer nomadischen Bevölkerung bewohnt sind. Sobald die Zisternen, die von den Wassern des Himmels gespeist werden, anfangen auszutrocknen, bleiben diese Dörfer öde und sehen ihre Bewohner erst wieder, wenn die Wasserbehälter sich von neuem füllen. Zwei kaum gebahnte Wege, die mitten durch den dichten Wald führten, der die ganze Umgegend bedeckte, kreuzten sich nahe bei der Stelle, wo der Reisende sich gelagert hatte, der keineswegs erschrocken schien über die tiefe Einsamkeit, in der er sich befand.
Einige Raben, die krächzend von Baum zu Baum flatterten, und der Schrei der Chachalacas,dunkelfarbige Elsternart, die von ihrem Geschrei den Namen erhalten hat die den heraufziehenden Tag begrüßten, unterbrachen allein das tiefe Schweigen des Waldes. Sobald die Sonne erst einige Wärme ausstrahlte, begann der dicke Nebel, der sich unter diesem Himmelsstrich des Nachts wie ein Schleier ausbreitet, sich zu zerstreuen und ließ nur große, an den Gipfeln der Eisenholzbäume und der Mesquiten hängende Flocken zurück. Die Reste eines großen Feuers, das ohne Zweifel angezündet worden war, um die nächtliche Kälte abzuhalten, diente jetzt dazu, um die Mahlzeit des einzigen Bewohners dieses Dorfes zu bereiten.
Kleine Fladen von Mehl, Käse und einige Stücke in der Sonne getrockneten Fleisches drehten sich eingeschrumpft über den Kohlen, ohne daß der Mann, dem dieses ärmliche Mahl bestimmt war, sich über die allzu raschen Fortschritte des Bratens sehr zu beunruhigen schien.
Nicht weit davon weidete ein Pferd mit einer Genügsamkeit, die nur mit der seines Herrn verglichen werden konnte, das seltene und welke Gras, das am Saum des Waldes wuchs und das der Morgenwind schauern machte. Wider alle Gewohnheit war das Pferd durch keine Fessel festgebunden.
Der Anzug des Reiters bestand in einer Weste ohne Knöpfe, die man wie ein Hemd über den Kopf streift, und in einem weiten Beinkleid; alles von gegerbtem, ziegelfarbigem Leder. Das Beinkleid, das vom Knie bis zu den Fersen offenstand, ließ die von gegerbtem und bemaltem Ziegenleder umgebenen Füße sehen. Diese unförmigen Stiefel waren mit scharlachfarbigem Knieriemen zugebunden, und in einem stak ein langes Messer in der Scheide, so daß, mochte man nun zu Pferd sitzen oder nicht, dessen Griff immer im Bereich der Hand war. Ein roter Gürtel aus chinesischem Flor, ein breiter Filzhut, der mit einer Schnur oder »Toquilla« von venezianischen Perlen umgeben war, vervollständigten einen malerischen Anzug, dessen Farben zu denen der Zarapa, auf der der Mann lag, recht wohl paßten.
Der Anzug zeigte einen der Männer, die gewohnt sind, mitten durch die dornigen Gebüsche der amerikanischen Savannen zu galoppieren, und die auf ihren Expeditionen – mögen diese nun den Zweck einer Treibjagd oder irgendeine andere Ursache haben – gleichgültig unter einem Dach oder unter freiem Himmel schlafen, in der Ebene oder im Wald. Im ganzen straften seine Adlernase, seine dicken Augenbrauen, seine schwarzen Augen, die nicht selten in unheilbringendem Feuer glänzten, den zuweilen lächelnden Ausdruck seines Mundes zu sehr Lügen, um nicht beim ersten Anblick einen lebhaften, mit Schrecken verbundenen Widerwillen einzuflößen.
Ungeachtet der anscheinend großen Kraft seiner hohen Gestalt und des schrecklichen Ausdrucks seiner Züge ließen doch seine beinahe zart gebauten Hände und Füße und sein etwas verschleierter Blick das immer unvollständige Wesen des amerikanischen Kreolen erkennen.
Es ist eine bemerkenswerte Tatsache, daß Gott nur dem Europäer, dem ewigen Eroberer der drei anderen Welten, das gegeben hat, was er dem Amerikaner des Südens, dem Afrikaner und dem Asiaten verweigerte, nämlich den Forschergeist, der sichtet und scheidet; die Einsicht, die begreift; das Genie, das schafft; die Kraft, die ausführt – mit einem Wort eine vollständige Organisation, eine Seele von Stahl in einem Körper von Eisen.
Eine kurze Büchse, die neben dem Reiter lag, vollendete nebst dem langen Messer in seinem Stiefel seine Ausrüstung und machte ein Zusammentreffen mit ihm in diesen Einöden zu einem gefährlichen Ereignis.
Es war bei seiner nachlässigen Stellung offenbar, daß er jemand erwartete; aber da in der Steppe alles größere Verhältnisse annimmt, so schien auch der Bandit (denn alles an ihm schien ihn als einen Menschen außerhalb des Gesetzes zu bezeichnen), nachdem er vielleicht drei Tagesmärsche gemacht hatte, um an den Ort zu gelangen, wo er sich befand, die fieberhafte Spannung nicht zu empfinden, die so oft inmitten einer volkreichen Stadt den zuerst am Bestimmungsort Angekommenen ergreift. In der Steppe kann derjenige, der hundert Meilen zurückgelegt hat, hundert Stunden warten, während dagegen in den großen Städten, wo das Leben wie ein Sturzbach zwischen zwei eingeengten Ufern dahinströmt, eine Stunde Wegs nur eine Viertelstunde ruhigen Wartens gestattet, denn der Weg wird hier eine Reise, die Viertelstunde ein Jahrhundert.
Auch begnügte sich der Unbekannte, als das Geräusch der Schritte eines Pferdes mitten durch die hallenden Tiefen des Waldes an sein Ohr schlug, ruhig seine Stellung zu ändern, während sein Pferd freudig wieherte und den Kopf hob. Er lauschte. Die Schritte wurden langsamer, als ob der Reiter zweifelte: endlich an dem Punkt, wo die beiden Wege sich kreuzten, ein neuer Ankömmling. Es war ein Mann von hohem Wuchs, mit dickem, schwarzem Bart, in Leder gekleidet wie der erste; er saß auf einem Pferd, das ebenso dauerhaft als schnellfüßig schien. Diese beiden Männer machten, als sie einander erblickten, dieselbe durch ihre gleich verdächtige Miene gerechtfertigte Bemerkung.
»Caramba!« murmelte der neue Ankömmling. »Wenn mir nicht im voraus gesagt worden wäre, daß dies der Reiter ist, an den ich gesandt bin, so würde ich glauben, ein schlechtes Zusammentreffen gefunden zu haben!«
Der Mann auf der Erde sagte leise zu sich: »Wenn diese verdammte Sieben in Bastos mir noch einige Piaster in der Tasche gelassen hätte, so würde ich sie, bei Gott, in großer Gefahr glauben!«
Indessen schien der Reiter nicht mehr ungewiß zu sein; er spornte sein Pferd an, das sich bei den Feuerbränden des Herdes aufbäumte,