Der Waldläufer. Gabriel Ferry
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»Und Ihr verlort, weil Ihr vor den Leuten so schüchtern wart?« begann Cuchillo wieder mit unerschütterlichem Ernst.
»Ich verlor diese zweite Hälfte wie die erste. Von meinem ganzen früheren Vermögen ist mir nur dieses Pferd übriggeblieben, obgleich mein früherer Aufseher behauptete, daß das Pferd mit in die Partie einbegriffen gewesen sei. Heute habe ich nur noch Hoffnung, mein Glück bei der Expedition nach Tubac zu machen, an der ich mich beteiligt habe, und als letzte Hilfsquelle, mich in den Dienst meines Spitzbuben zu begeben und meinerseits meine Angelegenheiten wieder zu ordnen. Seit dieser Zeit habe ich geschworen, nicht mehr zu spielen, und – caramba! – ich habe meinen Eid gehalten.«
»Wieviel Zeit ist es her, daß Euch solches begegnet ist?«
»Fünf Tage«, antwortete Baraja.
»Teufel! Eure Eidestreue ist nicht ohne Verdienst.«
Nachdem die beiden Abenteurer sich diese vertraulichen Mitteilungen gemacht hatten, fingen sie an, sich von der Hoffnung zu unterhalten, die man auf die bevorstehende Expedition setzte; von den Wundern, die sie über das Land hatten erzählen hören, das sie erforschen sollten; von den Gefahren, die ihnen mitten in unbekannten Steppen drohten.
»Aber gewiß ist es besser«, sagte Baraja, »zu sterben, als mit Löchern in den Ellbogen zu leben.«
»Je nach den Umständen«, antwortete Cuchillo. »Ich bin einer von denen, die die Leute mit Löchern in den Ellbogen viel lieber haben als die mit Geld in der Tasche.«
Unterdessen fing die Landschaft an, sich vom Feuer der Sonne zu erhitzen. Ein glühender Wind schüttelte die Wipfel der Bäume und streifte das vertrocknete Gras. Die Pferde der beiden Abenteurer wieherten kläglich, gequält von Durst, während ihre Herren den geringen Schatten der kärglich belaubten Gummibäume aufsuchten.
Baraja nahm das Wort. »Ihr werdet wahrscheinlich über mich lachen, Señor Cuchillo«, sagte er, indem er sich mit seinem breiten Filzhut Kühlung zufächelte; »aber die Zeit erscheint mir sehr lang, seitdem ich nicht mehr spiele.«
»Mir auch«, erwiderte Cuchillo gähnend.
»Ihr würdet es dann vielleicht annehmen, ein wenig um das Gold zu spielen, das wir einsammeln wollen?«
»Ich wagte es nicht, Euch den Vorschlag zu machen, Herr Baraja, und nehme es an.«
Es traf sich, daß diese Männer, die alle beide auf das Spiel verzichtet hatten, jeder mit einem Spiel Karten versehen waren, und die Partie sollte eben beginnen, als sich das Wiehern von Pferden, der Klang einer Glocke, Schritte und Stimmen hören ließen und die wahrscheinliche Ankunft der einflußreichen Person verkündigten, die Cuchillo erwartete.
5. Der Vertrag
Die beiden Spieler verschoben einstweilen die Partie, die eben beginnen sollte, und wandten den Kopf nach der Stelle, wo der Lärm sich hören ließ. Am Vereinigungspunkt der beiden Wege zeigte eine sich plötzlich erhebende Staubwolke die Ankunft einer zahlreichen Schar von Pferden an, die einflußreiche oder sehr wohlhabende Personen der Provinz Sonora auf der Reise vor sich her zu schicken pflegen.
Diese Pferde von einer an die Freiheit auf unermeßlichen Weiden gewöhnten Rasse sind gerade noch ebenso kräftig, wenn sie zwanzig Meilen, ohne geritten zu werden, zurückgelegt haben, als ob sie eben aus dem Stall kämen. Man sattelte sie abwechselnd der Reihe nach während der längsten Reisen, die man auf diese Weise mit einer Schnelligkeit zurücklegt, die der Geschwindigkeit europäischer Posten, wo jeder Haltepunkt frische Pferde liefert, gleichkommt. Wie es gewöhnlich der Fall ist, ging eine Stute, mit einem Glöckchen versehen, als Führerin dem Zug voraus, der aus ungefähr dreißig Pferden bestand.
Ein Reiter aus dem Gefolge der Reisenden, die sich so pomphaft ankündigten, kam im Galopp heran. Er sprengte bei den Pferden vorbei und hielt die Stute an, wodurch die ganze Schar zum Stehen kam. Mitten im Staub, den der Wind überallhin zerstreute, begann sich ein berittener Zug zu zeigen. Er bestand aus fünf Reitern. Zwei von ihnen schienen die Herren der drei anderen zu sein, die ihnen ziemlich nahe folgten.
Der erste der beiden, die an der Spitze ritten, war ein Mann von mehr als mittlerer Größe. Er schien die Vierzig überschritten zu haben. Ein grauer niedriger Filzhut mit breiten Rändern schützte ihn vor den glühenden Strahlen der Sonne. Er war mit einem Dolman aus dunkelblauem Tuch, der reich mit seidenen Schnüren besetzt war, bekleidet, den ein weiß besticktes Taschentuch von himmelblauer Seide, das man »Pano de Sol« nennt, fast ganz umhüllte. Unter einer glühenden Atmosphäre dient die weiße Farbe dieser Art Schärpe wie der Burnus der Araber dazu, die Sonnenstrahlen zurückzuwerfen. An seinen mit Korduanleder von gelblicher Farbe bekleideten Füßen waren stählerne Sporen an einem breiten, silber bestickten Riemen befestigt. Das Klirren ihrer Räder mit fünf Spitzen und ihrer Kettchen verband sich mit dem silberhellen Klingeln, nach dem die mexikanischen Reiter wie einst die Ritter des Mittelalters den Schritt ihrer Pferde abzumessen lieben. Sein Reitmantel war reich mit Gold besetzt und hing an beiden Seiten des Sattelbogens herunter; er bedeckte mit seinen Falten ein weites Beinkleid, das der ganzen Länge der Füße nach mit Knöpfen aus Silberdraht verziert war. Sein Sattel endlich, bestickt wie die Riemen seiner Sporen, vervollständigte einen Anzug, dessen Gesamteindruck bei einem Europäer Erinnerungen aus einem früheren Jahrhundert hervorrufen mußte.
Einige weiße Haare begannen sich unter die schwarzen zu mischen, die sich kräftig an den Schläfen kräuselten. Seine Züge, sonnverbrannt wie bei den Männern, die lange Zeit in tropischem Klima gelebt haben, schienen von einer Beweglichkeit zu sein, die stürmische Leidenschaften ahnen ließ. Seine leicht gekrümmte Nase überragte einen Schnurrbart, der seinen Mund beschattete. Seine schwarzen und lebhaften Augen blitzten unter einer knochigen, breiten und von frühzeitigen Falten durchfurchten Stirn.
Übrigens bedurfte der Reiter des reichen Anzugs nicht, den er trug, um seine stolze Haltung zu erhöhen, die die Gewohnheit zu befehlen und den Umgang mit der vornehmen Welt auf den ersten Blick erkennen ließ.
Sein Begleiter war viel jünger als er und viel auffallender gekleidet; aber seine unbedeutende Figur und seine Haltung – obwohl nicht ohne eine gewisse Eleganz – kamen lange nicht dem aristokratischen Aussehen des Reiters mit dem gestickten Tuch gleich.
Die drei folgenden Diener gaben mit ihren von der Sonne fast geschwärzten Zügen, ihrer fast verwilderten Figur, ihren langen Lanzen mit scharlachfarbigen Fähnchen und mit dem Lasso, das an ihrem Sattelknopf hing, dem sich nähernden Reitertrupp ein seltsames, den amerikanischen Gewohnheiten eigenes Ansehen. Zwei Maulesel, mit enormen Reisetaschen beladen, in denen sich die für die Haltepunkte nötigen Matratzen und andere Taschen mit tragbaren Flaschenfutteralen befanden, folgten den drei Dienern.
Beim Anblick Cuchillos und Barajas machte der erste der beiden Reiter halt, und die ganze Truppe folgte seinem Beispiel.
»Das ist Don Estévan«, sagte Baraja halblaut. »Hier ist der erwartete Mann«, nahm er das Wort, indem er den Banditen dem Reiter mit dem »Pano de Sol« vorstellte.
Don Estévan – denn er war es – warf auf Cuchillo einen durchbohrenden Blick, der bis auf den Grund seiner Seele zu dringen schien, und ließ ein Zeichen der Überraschung entschlüpfen.
»Ich habe die Ehre, Eurer Herrlichkeit die Hände zu küssen«, sagte Cuchillo; »ich bin es wirklich, der …« Aber trotz seiner gewöhnlichen Unverschämtheit hielt der Bandit schauernd ein in dem Maße, als unbestimmte Erinnerungen in seinem Gedächtnis bestimmter hervortraten; denn diese beiden Männer hatten seit langen Jahren nicht mehr Angesicht gegen Angesicht einander gegenübergestanden.