Am Jenseits. Karl May

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Am Jenseits - Karl May

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dir, wenn eine ganze Million Menschen unserer Sorte jetzt plötzlich stürbe, die Weltgeschichte würde ihren Gang sehr ruhig weitergehen!«

      »Das glaube ich nicht, Sihdi!«

      »Es ist aber so!«

      »Nein, denn meine Haddedihn gehören doch auch zur Weltgeschichte, und wenn ich jetzt plötzlich stürbe, so würde die Haddedihnsche Abteilung der Geographie und Geschichte in die bittersten Tränen ausbrechen und eine sehr traurige werden. Und was soll aus dem Stamm der deutschen Beduinen werden, wenn du hier stirbst und nicht zu ihnen wiederkehrst? Zunächst würde in deinem Harem sich ein großes Weinen und Klagen erheben, und von diesem deinem Frauenzelte aus würde sich dann eine niemals versiegende Flut der Tränen ergießen über alle Berge, Täler und Ebenen deines Vaterlandes. Die Palmen eurer Oasen würden eingehen vor Schmerz und die Herden der Kamele hinsinken durch die Seuche unheilbarer Traurigkeit. Es würde ein großer, unendlicher Jammer ausbrechen – — – — »

      »Sei still!« unterbrach ich ihn. »Meine Emmeh würde trauern und mir sehr bald nachfolgen; davon bin ich überzeugt; sonst aber dürfte deine niemals versiegende Tränenflut nur deine Phantasie überschwemmen. Wir sind nichts Besseres als andere Menschen und haben keine Ursache zu solchen Posaunentönen, wie du immererschallen lässest, wenn von dir und mir die Rede ist. Hörst du wohl, ich sage dir und mir‘. Weißt du. was ich meine? »

      »Nein.«

      »Sooft ich von uns beiden spreche, bin ich so höflich, dich zuerst zu nennen; das habe ich stets getan. Du aber sagst stets mir und dir oder mich und dich, stellst also immer dich voran! Das habe ich jahrelang beobachtet und niemals eine Ausnahme bemerkt. Kannst du dir wohl denken, als weichen Beweis ich mir diesen an und für sich geringfügigen Umstand wohl habe gelten lassen?«

      »Sihdi, von diesem Umstande weiß ich ja gar nichts!«

      »Das ist es ja eben! Wenn ich mit dir von uns beiden spreche, so denke ich nicht nur an die dir schuldige Höflichkeit, sondern auch an meine Freundschaft und Liebe zu dir, welche mich bestimmen, dich stets voranzusetzen. Du aber weißt nichts davon, du denkst gar nicht daran, und weil du dich für einen ungeheuer bedeutenden Menschen hältst, bringst du dein liebes Ich ohne alle Ausnahme stets zuerst.«

      »Ist das wahr, Effendi?«

      »Ja.«

      »Das möchte ich aber doch kaum glauben!«

      »Ich könnte es dir beweisen, wenn auch nur indirekt.«

      »Wodurch?«

      »Du weißt, daß ich in meinen Büchern auch unsere Reisen und Erlebnisse beschreibe. Du hast mich gebeten, dich ganz genau so zu schildern, wie du bist, um Allahs willen ja nicht anders. Das habe ich getan, und nun kann jeder, der ein solches Buch in die Hand bekommt, nachschlagen und sich überzeugen, daß du mich immer hinter dich stellst, mich stets erst nach dir nennst.«

      Da faßte er mich schnell und kräftig am Arm, zog mich einige Schritte fort, als ob jemand dastehe, der seine Worte nicht hören solle, und fragte mich in erschrockenem, heftigem Tone:

      »Du, Sihdi, steht das wirklich in den Büchern?«

      »Ja.«

      »Und jeder kann es lesen?«

      »Meine Bücher befinden sich in mehr Händen, als du denkst. Hunderttausende haben es schon gelesen.«

      »Sei barmherzig und sag, daß es nicht so ist!«

      »Das kann ich nicht, denn es ist wirklich so.«

      »Allah kerihm! So sei Allah mir gnädig! Was müssen diese Leute alle von mir denken! Für was müssen sie mich hatten, den Scheik der Haddedihn vom großen Stamme der Schammar! Wenn mein Mich stets vor deinem Dich zu finden ist, ohne daß ich deinem Dir vor meinem Mir den Vortritt lasse, so ist zu befürchten, daß unser Uns auch stets an der unrechten Stelle steht! Mein ganzer Ruhm ist hin! Man wird mein Ich für ungeheuer rücksichtslos halten und mich mit Recht der unhöflichen und also unverzeihlichen Zurückstellung deines dir mit vollstem Rechte gehörenden Du beschuldigen! Die Ehre meiner bescheidenen Unterwürfigkeit ist hingeschwunden und der Glanz meiner schönen Umgangsform in Finsternis verwandelt! O Sihdi, warum, warum hast du das mir, deinem treuen Halef, angetan!«

      »Du hast es so gewollt. Ich sollte dich ja nicht anders beschreiben, als du bist!«

      »Das ist wohl wahr; aber als ich diesen Wunsch aussprach, war mir das Mich und Dich ganz unbekannt. Nun ist dein Hadschi Halef im ganzen Abendlande ein anrüchiger Mensch geworden, und all mein einstiger guter Ruf hat sich in Schimpf und Schmach verkehrt. Ich bin eine verdorbene Wassermelone, ein fauler Apfel, ein wurmstichiger Buchecker geworden, den kein Sindschab (Eichhörnchen) verzehren mag! Sei gütig gegen mich, Effendi, und sag, ob das nicht noch zu ändern ist!«

      »Was einmal im Buche steht, kann leider nicht daraus entfernt werden.«

      »Aber wie da, wenn du ein neues schreibst?«

      »Da will ich dir ganz gern deinen Wunsch erfüllen und zeigen, daß du dich geändert hast. Nur muß diese Änderung auch Wahrheit sein!

      »Sie wird es sein; das verspreche ich dir! Da du mein Freund bist, muß es doch wohl mich und dich betrüben, wenn – »

      »Halt!« unterbrach ich ihn. »Da eben hast du wieder mich und dich gesagt und dich vorangestellt!.

      »Sihdi, glaube mir, ich wollte hinterher kommen, bin mir aber in der Eile so verkehrt aus dem Munde gefahren, daß du keinen Platz gefunden hast, vor mir zu erscheinen. Ich bitte dich, mich stets und sofort zu erinnern, wenn du den Vorrang nicht bekommst, der dir gebührt! Also diese Zurücksetzung des Dich hat mich bei dir um meinen Ruhm gebracht?«

      »Nicht um den Ruhm gebracht; ich habe nur sagen wollen, wie bezeichnend sie für dich und deine Art und Weise ist. Das war die Bestrafung deiner Unüberlegtheit im Verhalten zu el Ghani. Deine Peitsche heut kann uns sehr viel, sogar das Leben kosten. Er ist Araber, also rachsüchtig, und sodann gar Scherif! Hast du denn die grüne Farbe seines Turbans nicht beachtet?«

      »Sihdi, es wurde mir vor Zorn so grün vor den Augen, daß die Farbe des Turbans sich gar nicht extra unterscheiden ließ. Ich hoffe doch, daß du, wenn du unser Zusammentreffen mit den Mekkanern beschreibst, mich und die Kurbadsch nicht mit erwähnst?«

      »Hin! Diesen Gefallen möchte ich dir wohl gern tun, glaube aber, daß es mir nicht möglich sein wird.«

      »Warum nicht?«

      »Weil sich wahrscheinlich die Folgen deiner schnellen Handlungsweise einstellen werden, und wenn ich von diesen erzähle, muß ich auch die Ursache, deine Peitsche, erwähnen.«

      »Das tut mir leid, sehr leid! Du kannst dir doch denken, daß ich nicht gern als ein Mensch beschrieben sein will, der nichts als Dummheiten macht!«

      »So hüte dich, welche zu begehen!«

      »Das mir zu sagen, ist wohl leicht; aber wenn es mir in der Zunge oder in den Gliedern zuckt, so springt die Katze heraus, ehe ich sie festhalten kann. Es ist mir aber ein gutes, ein sehr gutes Mittel der Bedachtsamkeit eingefallen, vorhin, als du die Bücher erwähntest. Ich habe mir vorgenommen, in diesen Büchern von jetzt an als leuchtendes Vorbild reiflicher Überlegung und ernster Behutsamkeit zu glänzen; ich werde keinen Finger mehr eher bewegen, als bis ich mir ganz genau berechnet habe, welcher von den zehn, die ich besitze, es sein muß. Dabei aber mußt du mich als Freund unterstützen, indem du mich sofort an die Bücher,

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