Onnen Visser. Sophie Worishoffer

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Onnen Visser - Sophie  Worishoffer

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im Augenblick nur an seinen rätselhaft verschwundenen Vater und ließ dabei die nötige Vorsicht ganz außer acht. Erst als der vorderste der beiden Männer das Pferd erreicht hatte, blickte er auf.

      Vor ihm stand der Unteroffizier Durand von dem Kanonenboot »Hortense«.

      Onnen erschrak heftig, der Franzose aber schien von förmlichem Entsetzen ergriffen. »Diable«, rief er, »schon wieder der Knabe!«

      Und zurücktaumelnd riß er die Signalpfeife aus der Brusttasche, um Menschen herbeizurufen, um nicht länger allein zu bleiben mit dem, den er für ein Gespenst hielt.

      Kräftige Arme verhinderten, ihn rückwärts zu Boden werfend, dies Vorhaben; die Pfeife flog weit hinaus auf das Watt, ein Knebel schloß den Mund des Franzosen, ehe er Zeit behielt, sich zu verteidigen.

      Dann noch Hände und Füße mit Schlingen umwunden, und der überraschte Soldat konnte nur ächzen, aber keinerlei Fluchtversuch unternehmen.

      Als Onnen den Kopf erhob, sah er das Gesicht seines unerwarteten Befreiers. »Uve Mensinga«, rief er aufstehend in schmerzlichem Tone, »wo ist mein Vater?«

      »Ich weiß es nicht, Junge! Was machst du hier? Aber einerlei; komm schnell, ich habe ein Pferd, wir müssen eilen, um zur rechten Zeit nach Neßmersiel zu kommen.«

      »Ohne meinen Vater? – Das kann ich nicht!«

      »Natürlich, Onnen, natürlich. Vielleicht ist er längst drüben in Sicherheit.«

      Onnen schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht, Mensinga. Nein, nein, der Vater wäre nicht geflohen ohne mich!«

      Der Wattführer zuckte die Achseln. »Ich weiß davon nichts, aber mir deucht, hier lassen darf ich dich nicht. Nach einer Stunde kommt die Flut.«

      Onnen weinte. »Aber wenn nun mein armer Vater verwundet, bewußtlos hier läge – wenn er einsam und verlassen von den Wellen begraben würde?«

      Der Wattführer seufzte. »Wahrhaftig, Junge, du quälst mich!« rief er aus. »Wenn jemand für Klaus Visser durch Feuer und Wasser gehen würde, so bin ich es, aber hier ist nichts zu machen – wir müssen eilen, um selbst mit heiler Haut davonzukommen. Nebenbei können auch jeden Augenblick die Franzosen hier sein.«

      Der Knabe trocknete seine immer wieder hervorquellenden Tränen und weigerte sich nicht länger, dem erprobten Freunde zu folgen. Aber vorher deutete er noch auf den wehrlos daliegenden Franzosen.

      »Was machen wir mit ihm, Mensinga?«

      »Wir überlassen ihn seinem Schicksal, das ist einfach genug.«

      »Aber die Flut?« flüsterte Onnen. »Wollen wir ihm nicht wenigstens den Knebel aus dem Munde nehmen?«

      »Damit er uns seine Spießgesellen auf den Hals zieht? – Denke an all den Jammer, den uns die Franzosen verursachen, und laß dir den Patron nicht leid tun.«

      Er zog den Knaben ohne weitere Worte mit sich fort und zu dem Pferde, das er an einen Birkenstamm gebunden hatte. Sie bestiegen es beide, die Zeit drängte – eilig, mit lautlosen Schritten lief das Tier über den lockeren Boden.

      Der gefesselte Unteroffizier blieb allein. Eine verzehrende Angst durchflutete alle seine Adern, ließ ihm die Augen fast aus den Höhlen treten – wenn das Wasser kam, so war es um ihn geschehen.

      Er versuchte sich zu erheben und fiel wieder zurück, er wollte das Tuch aus dem Munde ziehen und konnte es nicht erreichen. All sein Blut schien Feuer, seine Glieder zitterten.

      Sollte denn niemand hierherkommen? niemand?

      Man mußte ihn doch vermissen, mußte suchen? – Wie langsam krochen die Minuten, wie unerträglich war dies Warten und Horchen.

      Er dachte an das blasse Gesicht des Knaben, den er beinahe mutwillig in den Tod gehetzt. Als Franzose, als Zollbeamter war er nirgends gern gesehen, mußte sich zurückweisen lassen, wo er eine Annäherung versuchte, mußte sich von den Männern bedrohen und von den Frauen verabscheuen lassen, mußte im ewigen Einerlei des strengen Dienstes Jahr um Jahr an den öden Küsten der Nordseeinsel ausharren, das hatte ihn erbittert und gereizt, er wurde grausam, anstatt nur einfach seine Pflicht zu erfüllen, er peinigte und quälte die Fischer, wo es ihm möglich war.

      Dann kam der Abend, an welchem ein kleines Boot über das Watt fuhr, eine Nußschale, in der ein halberwachsener Knabe saß. Er rief es an, er wollte auf brutale Weise den Gebieter spielen, und als der arme Junge nicht gleich antwortete, da ließ er das Fahrzeug in den Grund bohren. Ein leerer Raum zeigte sich, als er hinübersah, seinen Blicken, ein weißes Totenantlitz. Der Wind spielte mit blondem Haar – es war ein stilles, friedliches Bild.

      Und dann kam der Tag, wo die Wellen den Leichnam an den Strand warfen, der Tag, wo ganz Norderney mit der beraubten Mutter weinte. Was die kahlen Dünen an spärlichem Blumenschmuck besaßen, das wurde auf den Hügel des Erschossenen gelegt – jedes Herz rief zum Himmel um Rache gegen die Unterdrücker, jedes verabscheute den Grausamen, der die Hand gegen ein wehrloses Kind erheben konnte. Er vergaß das alles nie wieder. Die Szene im sinkenden Boote verfolgte ihn bei Tag und Nacht – heute noch, vor wenigen Minuten war sie ihm abermals erschienen. Er schauderte. Die Boten des Todes klopften an, nun wußte er es.

      Von fern her tönte ein Rauschen. Das war das Meer, es kam, um die altgewohnte Stätte zu überfluten, es mußte in kurzer Zeit hier sein.

      Der Gefesselte riß und zerrte an seinen Schlingen. Nur die Arme frei, nur die Arme, dann war ja alles gut.

      Aber Uve Mensingas Ledergurt hielt fest, er zerschnitt das Fleisch des Franzosen, ohne sich lockern zu lassen – es war unmöglich, diese Schlingen abzustreifen.

      Möwen und Kampfhähne erhoben sich in die Luft – der Boden unter ihren Füßen wurde unsicher. Ein Hornsignal tönte aus weiter Ferne und ließ das Blut des Franzosen schneller durch die Adern kreisen. Das verabredete Zeichen vom Bord der »Hortense!« Sie rief die ihrigen zu sich, ehe das Watt vom Meere überströmt wurde.

      Nochmals und zum drittenmal, immer dringender.

      Durand horchte. Nun waren alle auf Deck versammelt, der Bootsmann verlas die Namen – er glaubte den seinigen zu hören. »Unteroffizier Durand!« —

      Und nun schrieb der Schiffsführer in das Journal: »Vermißt!« – vermißt auf dem Watt, dem trügerischen Boden, der festes Land zu sein scheint und doch dem Wellenreiche angehört. Sie schüttelten alle die Köpfe, seine Kameraden, sie sagten halblaut: »Der kommt niemals wieder zu den Lebendigen zurück!«

      Glühende Hitze durchströmte ihn. So jung, so ganz gesund, ohne Schmerz oder Fehl – und doch binnen kurzem tot, verloren, verloren – wie schrecklich!

      Er hatte so sehr die Vorgänge auf dem Kanonenboote im Geiste beobachtet, daß ihm die Wirklichkeit zum Teil entrückt wurde. Das Rauschen des Meeres war näher und näher gekommen – jetzt lief die erste Welle, weißschäumend und langgestreckt, über seinen Körper dahin, ihn wie mit einem Strom von Eis berührend. Er schnellte auf, unfähig zu schreien oder sich zu erheben, er ächzte in schrecklicher Qual. Keine Rettung unter dem weiten Himmel, keine.

      Die Welle lief ab und wieder auf, er kannte den Vorgang, er hatte ihn aus Langeweile hundertmal beobachtet – sie würde noch oft, oft wiederkehren, ehe die Stelle erobert war – einmal aber blieb sie im Besitz – und dann?

      Und dann?

      Er sank in sich zusammen, er gab

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