Onnen Visser. Sophie Worishoffer

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Onnen Visser - Sophie  Worishoffer

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in dem milden Sommersonnenschein hüllte er sich schaudernd in eine große wollene Decke. Wenn die Trommel rasselte, fuhr er zusammen, als bringe ihm der Klang die Verkündigung eines schrecklichen Schicksalsspruches.

      Oberst Jouffrin mußte melden, daß niemand gefunden worden sei. Er tat es spöttisch, mit offenem Hohne gegen den Präfekten. Siebenhundert wohlgeschulte und bewaffnete Soldaten durften es ja nach der Meinung Seiner Exzellenz mit den Messern und Knitteln einer Handvoll Matrosen nicht aufnehmen. Wahrhaftig, das ist für die Truppen des Kaisers eine große Ehre!

      Monsieur de Jeannesson würdigte ihn keiner Antwort; sein klarer Verstand erkannte sehr wohl, daß die Norderneyer und ihre Freunde der Übermacht hätten unterliegen müssen, ebensogut aber auch, daß der unerhörte Kampf des Militärs gegen friedliche Bürger doch nicht als eine Waffentat, sondern nur als eine Massenschlächterei gelten konnte. Er wollte dieselbe um keinen Preis gestatten, es war genug des Blutes, das morgen vergossen werden mußte.

      6

      Während aller dieser Vorgänge draußen im Dorfe lagen die Gefangenen im halbdunkeln Raume des Kanonenbootes und erfuhren weder, was über ihr ferneres Schicksal beschlossen worden war, noch, was die Freunde und Kameraden zu ihrer Rettung vorbereiteten. Der Schiffsarzt hatte die Wunden flüchtig nachgesehen; man brachte ihnen Speise und Trank und überließ die Unglücklichen ihren eigenen quälenden Gedanken, ohne sich weiter um sie zu bekümmern.

      Besonders die Engländer rüttelten ungeduldig, voll leidenschaftlichen Zornes an den Ketten, womit man sie gefesselt hielt. Es waren altgediente Leute, der Unteroffizier sogar ein Fünfziger mit ergrauendem Haar; sehnsüchtig spähten sie den ganzen Tag auf das Wasser hinaus, immer in der stillen Hoffnung, die Schiffe ihrer Nation kommen und den Befreiungskampf aufnehmen zu sehen.

      Aber Stunde um Stunde verstrich – es blieb alles leer.

      Dann legten sich die beiden anderen französischen Schiffe der »Hortense« zur Seite und für den Augenblick schwellte neue Hoffnung die Herzen aller Gefangenen. Waren das Vorsichtsmaßregeln einem englischen Angriff gegenüber?

      »Ich sehe nichts!« seufzte der Unteroffizier. »Das Wasser zeigt kein einziges Fahrzeug – und morgen in aller Frühe wollen sie uns den Garaus machen. Verdammt! wie ein toller Hund mit gebundenen Händen erschossen zu werden, nachdem man die Franzosen bei Trafalgar und anderswo gehauen hat, daß die Fetzen davonflogen.«

      Einer der Matrosen seufzte. »Ja, es ist bitter, Wilkie, es ist bitter. Wenn du denkst, daß zu Hause in Kent mein alter Bruder starb und daß ich das liebe kleine Gehöft antreten sollte – bald schon, bald – die Schenke zum Kegelkönig, wo so viele Fuhrleute und Viehtreiber verkehren, weißt du! – welches Geld hätte ich da verdienen können! Die Landratten werden es ja nie müde, sich Geschichten von Seeabenteuern erzählen zu lassen!«

      »Well! Well!« nickte der Unteroffizier. »Ich wollte mich ja auch verabschieden lassen; ich habe in Ehren ein kleines Vermögen erworben, dachte nun die Früchte langer Mühen daheim im gesegneten alten England zu verzehren – ach, und statt dessen werfen mich morgen die Lumpenkerle ohne Sarg in das Grab!«

      Der Dritte, ein noch junger Mann, schüttelte den Kopf. »Schweigt doch«, murmelte er traurig, »schweigt doch, Kameraden – was heißt es denn, ein Gehöft oder ein Vermögen zu verlieren? Ich bin unter euch der Unglückliche; ich habe mich erst vor Jahr und Tag verheiratet, stehe kaum vier Monate bei der Marine und erhielt ganz kürzlich von meiner armen Lizzie einen Brief, worin sie mir schreibt, daß uns der gütige Gott einen Sohn geschenkt habe, ein prachtvolles Geschöpfchen, das schönste Kind in ganz Altengland – und ich soll es niemals sehen, niemals – morgen um diese Stunde ist es eine Waise!«

      Aus dem halbdunklen Inneren des Raumes her antwortete dem unglücklichen Manne eine andere Stimme. »Und ich?« sagte Lars Meinders, »und ich, Thompson? Mein kleines Töchterchen zählt fünf Monate, es kannte mich schon, es jauchzte, wenn ich nach Hause kam und es tanzen ließ! – Ach, es ist um den Jammer meines armen Weibes und des Kindes, wenn ich heute nicht mehr standhaft bin, wenn —«

      Seine Stimme erstickte; tiefe Stille beherrschte den Raum. Es war unter den Männern keiner, dessen Seele nicht in diesem Augenblick die Teuren umschwebt hätte, von denen er nun binnen weniger Stunden getrennt werden sollte auf immer, so weit das Erdenleben reicht.

      »Mögen unsere Kinder klein sein oder erwachsen«, sagte nach einer Pause der Kapitän, »das macht für den Abschied nichts aus. Mein Onnen ist fast sechzehn Jahre alt, aber dennoch tut mir‘s unbeschreiblich weh, ihn ohne den Schutz des Vaters allein zurücklassen zu müssen, nur mit der alten Mutter, die sich zu Tode grämen wird, wenn ich erschossen bin!«

      Heye Wessel schlug mit der geballten Faust gegen die Planken, daß es dröhnte. »O dies Elend!« rief er, »dies Elend! So gefangen zu sein, wie ein Fisch im Netz! Ich wollt‘, ich wär‘ der Krake, der Riesenhai mit den Feueraugen, und könnte auf Norderney ans Land steigen, um alle Franzosen mit Haut und Haar zu verschlingen, mit Haut und Haar, daß sie fühlen müßten, was es heißt, den Stärkeren über sich herrschen zu lassen und stumm hinzunehmen, was seine Willkür gebietet!«

      Nach diesem Ausbruche eines verzehrenden Grolles wurde es still im Innern der »Hortense«, nur der junge Engländer ächzte zuweilen leise vor sich hin. Er hatte den Brief seiner Frau aus der Tasche gezogen und las zum hundertstenmal den Inhalt desselben, wobei er immer mit dem Rücken der Hand über die Augen fuhr, um den heißen Tropfen zu wehren, die wieder und wieder auf das Blatt herabfielen, so oft er sie auch abwischte – wieder und wieder.

      Etwas später legte ein Boot an und Männertritte erklangen auf dem Verdeck; es kam jemand zu den Gefangenen, der Geistliche von Norderney, dem ein Diener das Altargerät nachtrug.

      Bei seinem Anblick erhoben sich die Fischer und auch die Soldaten; der Prediger gab ihnen beide Hände, stumm, wortlos vor innerer Bewegung. Männer im kräftigen Lebensalter, Familienväter, die um eines geringen Vergehens willen den Tod erleiden sollten – wie schrecklich!

      Er sprach mit ihnen wie jemand, der frohe Botschaft bringt, Trost und Freundesgrüße, Verheißungen einer Milde und Treue, die nicht richtend, sondern erbarmend verzeihen will dem, dessen Herz nach Versöhnung ringt, er erinnerte sie an das große allgemeine Elend und die Tränen so vieler Edlen, er sagte, daß dereinst, früher oder später für die Bedrücker der Tag der Abrechnung kommen werde, hier auf Erden und vor dem Throne des Allmächtigen, dann fragte er mit vor Erschütterung unsicherer Stimme, ob es ihm möglich sei, den Verurteilten noch irgendeinen Dienst zu leisten.

      »Wollt ihr die Eurigen ein letztes Mal sehen, habt ihr Briefe zu bestellen, Botschaften oder Grüße? Gibt es geschäftliche Angelegenheiten, die ihr zu ordnen wünscht? Legt alles getrost in meine Hände, ich will es ausrichten, so wahr mir Gott helfen möge.«

      Der junge Engländer preßte den Kopf gegen die harte Schiffswand; er weinte. »O mein kleines Kind, mein süßer kleiner Knabe – wenn ich ihn nur einmal, nur ein einziges Mal gesehen hätte!«

      Der Wattführer schüttelte den Kopf. »Ich danke Euch, Herr Pastor, wahrhaftig, ich danke Euch, aber meine arme Moiken soll nicht hierher kommen – nein, nicht – ich will wie ein Mann sterben – und das müßte mich weich machen, ich ertrüg‘s nicht. Aber, Herr, wenn das kleine Mädchen größer wird und die Leute erzählen ihm, sein Vater sei gerichtet wie ein Missetäter, wollt Ihr dann ein Wörtlein für mich sprechen, wollt Ihr der armen Waise erzählen, wie das alles geschah und daß ich kein Verbrecher war, kein Dieb und Schurke?«

      Der Prediger drückte warm die Rechte des jungen Mannes. »Ich will es, Lars Meinders, ich will es, so wahr mir Gott gnädig sein möge. Dein Kind soll sich mit Liebe und Achtung des Vaters erinnern, es soll ihm ein Freund und Beschützer, so lange ich lebe, nicht

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