Friedrich Nietzsche in seinen Werken. Andreas-Salomé Lou
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Friedrich Nietzsche in seinen Werken - Andreas-Salomé Lou страница 9
Im Gespräch über die Wandlungen, die schon hinter ihm lagen, äusserte Nietzsche einmal halb im Scherz: »Ja, so beginnt nun der Lauf und wird fortgesetzt, – bis wohin? wenn Alles durchlaufen ist, – wohin läuft man alsdann? Wenn alle Combinationsmöglichkeiten erschöpft wären, – was folgte dann noch? wie? müsste man nicht wieder beim Glauben anlangen? Vielleicht bei einem katholischen Glauben?« Und der Hintergedanke, der sich in dieser Aeusserung verbarg, trat in den ernst hinzugefügten Worten aus seinem Versteck:
»In jedem Fall könnte der Kreis wahrscheinlicher sein als der Stillstand.«
Eine in sich selbst zurücklaufende, niemals stillstehende Bewegung, – das ist in Wahrheit das Kennzeichen der ganzen Geistesart Nietzsches. Die Combinationsmöglichkeiten sind keineswegs unendlich, sind im Gegentheil sehr begrenzt, da der vorwärts treibende, selbstverwundende Drang, der die Gedanken nicht zur Ruhe kommen lässt, ganz und gar der innern Eigenart der Persönlichkeit entspringt: so weit auch die Gedanken zu schweifen scheinen, so bleiben sie doch stets an die gleichen Seelenvorgänge gebunden, die sie immer wieder zurück unter die herrschenden Bedürfnisse zwingen. Wir werden sehen, inwiefern Nietzsches Philosophie in der That einen Kreis beschreibt, und wie zum Schlüsse der Mann in einigen seiner intimsten und verschwiegensten Gedankenerlebnisse sich wieder dem Knaben nähert, so dass von dem Gang seiner Philosophie die Worte gelten: siehe einen Fluss, der in vielen Windungen zurück zur Quelle fliesst!« (Also sprach Zarathustra III 23.) Es ist kein Zufall, dass Nietzsche in seiner letzten Schaffensperiode zu seiner mystischen Lehre von einer ewigen Wiederkunft gelangte: das Bild des Kreises, – eines ewigen Wechsels in einer ewigen Wiederholung, – steht wie ein wundersames Symbol und Geheimzeichen über der Eingangspforte zu seinen Werken.
Als sein erstes »literarisches Kinderspiel« (Zur Genealogie der Moral, Vorrede VI) nennt Nietzsche einen Aufsatz aus seiner Knabenzeit, »über den Ursprung des Bösen«, worin er, »wie es billig ist«, Gott »zum Vater des Bösen« machte. Auch gesprächsweise erwähnte er diesen Aufsatz als Beweis dafür, dass er sich schon zu einer Zeit philosophischen Grübeleien hingegeben habe, wo er sich noch in dem philologischen Schulzwang der Schulpforte befand.
Wenn wir Nietzsche aus seiner Kindheit in seine Lehrjahre und dann in die lange Zeit seiner philologischen Thätigkeit folgen, dann erkennen wir auch hier deutlich, wie seine Entwicklung von Anfang an auch rein äusserlich unter dem Einfluss eines gewissen Selbstzwanges verläuft. Schon die strenge philologische Schulung musste einen solchen Zwang für den jungen Feuergeist enthalten, dessen reiche schöpferische Kräfte dabei leer ausgingen. Ganz besonders aber galt dies von der Richtung seines Lehrers Ritschl. Grade bei diesem wurde das Hauptaugenmerk, sowohl nach Seite der Methode wie nach Seite der Probleme, auf formale Beziehungen und äussere Zusammenhänge gerichtet, während die innere Bedeutung der Schriftwerke zurückstand. Für Nietzsches ganze Eigenart aber war es bezeichnend, dass er später seine Probleme ausschliesslich der Welt des Innern entnahm und geneigt war, das Logische dem Psychologischen unterzuordnen.
Und doch war es eben hier, in dieser strengen Zucht und auf diesem steinigen Boden, dass sein Geist so früh reife Frucht trug und Ausgezeichnetes leistete. Eine Reihe vortrefflicher philologischer Untersuchungen15 bezeichnet den Weg von seinen Studienjahren an bis zu der Baseler Professur. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass eine zu frühe Entfesselung des ganzen Geistesreichthums Nietzsches durch das Studium der Philosophie oder der Künste ihn von vornherein zu jener Zügellosigkeit verführt hätte, der sich einige seiner letzten Werke nähern. So aber gab für seine »vielspältigen Triebe« die kühle Strenge philologischer Wissenschaft eine Zeit lang das einigende und zusammenhaltende Band ab, indem es für Manches, das in ihm schlummerte, zur Fessel wurde.
In welchem Grade jedoch Nietzsches unberücksichtigte starke Talente ihn quälten und störten, während er seinen Fachstudien nachging, das empfand er darum nicht minder als ein tiefes Leiden. Namentlich war es der Drang nach Musik, den er nicht abzuweisen vermochte, und oft musste er Tönen lauschen, während er Gedanken lauschen wollte. Wie eine tönende Klage begleiten jene ihn durch die Jahre hindurch, bis ihm sein Kopfleiden jede Ausübung der Musik unmöglich machte.
Aber wie gross auch der Gegensatz war, den Nietzsches Philologenthum zu seinem spätem Philosophenthum bildete, so fehlt es doch nicht an zahlreichen vermittelnden Zügen, die von der einen Periode zu der andern überleiten.
Grade die Richtung Ritschls, welche diesen Gegensatz zu verschärfen scheint, kam in einer bestimmten Besonderheit Nietzsches Geistesart sogar entgegen, indem sie seinen Hang zum Produciren noch verstärkte und ausbildete. Es lag in ihr das Streben nach einer gewissen formell künstlerischen Abrundung und virtuosen Behandlung wissenschaftlicher Fragen, möglich gemacht durch strenge Begrenzung derselben und Concentrirung auf einen gegebenen Punkt. Bei Nietzsche stand nun das Bedürfniss, durch freiwillige und concentrirte Beschränkung einer Aufgabe, dieselbe in rein künstlerischer Weise zum Abschluss zu bringen, in engem Zusammenhang mit dem Grundtrieb seiner Natur, über das Selbstgeschaltene immer wieder hinauszugehen, es als ein endgültig Erledigtes, Vergangenes, von sich abzustossen. Für den Philologen ist ein solcher Wechsel der Aufgaben und Probleme von selbst gegeben, – den für Nietzsche charakteristischen Ausspruch: »Eine Sache, die sich aufgeklärt hat, hört auf, uns etwas anzugehen,« (Jenseits von Gut und Böse 80) – könnte ein Philologe gethan haben, denn für diesen wird thatsächlich ein aufgeklärtes Dunkel zu einer völlig erledigten Sache, die ihn nicht länger zu beschäftigen braucht. Aber es sind hiervon tief verschiedene Gründe, die Nietzsches häufigen Gedankenwechsel bedingen, und daher ist es in hohem Grade interessant zu sehen, wie sich hier die Gegensätze des Philologenthums und Philosophenthums dennoch zu berühren scheinen, und wie Nietzsche auch in dieser ihm fremdesten Verkleidung, – der nüchtern philologischen, – in dieser äussersten geistigen Selbstunterordnung, sein Selbst durchsetzte.
Der Philologe tritt einem Problem mit seiner Gesinnung, seinem innern Menschen, überhaupt nicht nahe, assimilirt es sich in keiner Weise und wird von ihm daher auch nur so lange festgehalten, als er zur Lösung der Aufgabe bedarf. Für Nietzsche dagegen bedeutete Beschäftigung mit einem Problem, bedeutete erkennen, vor allem andren: sich erschüttern lassen; und von einer Wahrheit sich überzeugen bedeutete ihm: von einem Erlebniss überwältigt werden, – »über den Haufen geworfen werden«, wie er es nannte. Er nahm einen Gedanken auf, wie man ein Schicksal auf sich nimmt, das den ganzen Menschen ergreift und in Bann schlägt: er lebte den Gedanken noch viel mehr, als er ihn dachte, aber er that es mit einer so leidenschaftlichen Inbrunst, einer so maasslosen Hingebung, dass er sich an ihm erschöpfte, – und, gleich einem Schicksal, das ausgelebt ist, fiel der Gedanke wieder von ihm ab. Erst in der Ernüchterung, wie sie naturgemäss einer jeden derartigen Erregung folgen musste, Hess er seine überwundene Erkenntniss rein intellectuell auf sich wirken; erst dann ging er ihr mit still und klar nachprüfendem Verstände nach. Sein merkwürdiger Wandlungsdrang auf dem Gebiete philosophischer Erkenntniss war durch den ungeheuren Drang nach immer neuen Emotionen geistigster Art bedingt, und daher war für ihn vollkommene Klarheit stets nur die Begleiterscheinung von Ueberdruss und Erschöpfung.
Aber selbst in dieser Erschöpfung verlassen ihn seine Probleme nicht, der Ueberdruss gilt nur ihren Lösungen, durch welche die Quelle der Erschütterung momentan verschüttet worden ist. Die gefundene Lösung war deshalb für Nietzsche jedesmal ein Signal zu einem Gesinnungswechsel, denn nur so liess sich das Problem festhalten, die Lösung von neuem versuchen. Mit wahrem Hass verfolgte er hinterher Alles, was ihn zu ihr getrieben, Alles, was ihm geholfen hatte, sie zu finden. Da »eine Sache, die sich aufgeklärt hat, aufhört, uns etwas anzugehen«, so wollte Nietzsche im Grunde nichts von der endgiltigen Aufklärung eines Problems wissen, und jenes Wort, das scheinbar die volle Befriedigung erfolgreichen Denkens zum Ausdruck bringt, bezeichnete für ihn die Tragik seines Lebens: er wollte nicht,
15
Die philologischen Arbeiten Nietzsches sind: Zur Geschichte der Theognideischen Spruchsammlung, im Rheinischen Museum, Bd. 22; Beiträge zur Kritik der griechischen Lyriker, I. Der Danae Klage von Simonides, im Rhein. Mus., Bd. 23; De Laertii Diogenis Fontibus, im Rhein. Mus., Bd. 23 und 24; Analecta Laertiana, im Rhein. Mus., Bd. 25; Beiträge zur Quellenkunde und Kritik des Laertius Diogenes, Gratulationsschrift des Pädagogiums zu Basel. Basel 1870. – Certamen quod dicitur Homeri et Hesiodi e codice Florentino post H. Stephanum denuo ed. F. N., in den Acta societatis philologae Lipsiensis ed. Fr. Ritschl, Vol. I; dazu der florentinische Tractat über Homer und Hesiod, ihr Geschlecht und ihren Wettkampf, im Rhein. Mus, Bd. 25 und 28. Auch rührt das »Registerheft« zu den ersten 24 Bänden des Rheinischen Museums (1842-1869) von ihm her, das er nach Ritschls Disposition zusammenstellte.