Die Träger des deutschen Idealismus. Eucken Rudolf

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Die Träger des deutschen Idealismus - Eucken Rudolf

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und mit unermüdlicher Sorgfalt getan; das Gesamtergebnis ist ein völlig anderes Bild der Wirklichkeit. Denn nun wird gewiß, daß wir die Ordnung, die wir in der Natur als den Dingen innewohnend vorzufinden glaubten, selbst ihr geliehen haben, daß wir in der wissenschaftlichen Forschung nur unser Eigentum wieder an uns nehmen. So erklärt sich das stolze Wort Kants: »Der Verstand schöpft seine Gesetze nicht aus der Natur, sondern schreibt sie dieser vor.«

      Aber wenn so dem Geist ein hohes Vermögen zuerkannt wird, Kant ist nicht minder darauf bedacht, seine Grenzen sorgfältig zu wahren. Unser menschliches Denken hat nicht das Vermögen zu schaffen, es vermag nicht aus seiner Bewegung eine Wirklichkeit zu erzeugen, sondern die architektonische Tätigkeit der Vernunft bedarf eines Stoffes, den die Gegenstände als Dinge an sich geben müssen, »alles Denken muß sich zuletzt auf Anschauungen, mithin bei uns auf Sinnlichkeit beziehen, weil uns auf andere Weise kein Gegenstand gegeben werden kann.« Sinnlichkeit und Denken müssen zusammenwirken, um Erfahrung hervorzubringen. »Ohne Sinnlichkeit würde uns kein Gegenstand gegeben und ohne Verstand keiner gedacht werden. Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind.«

      Erfahrung und Denken

      Ein Denken, das über die Erfahrung hinausstrebt und eigne Wege gehen will, wie es nach Kants Überzeugung die herkömmliche philosophische Spekulation versuchte, fällt unvermeidlich ins Leere. Wie Kant demgegenüber seine Aufgabe faßt, das hat er in mannigfachen Bildern ausgedrückt, die seine Darstellung durchflechten. Er will vor dem Gerichtshof der Vernunft unerbittlich zerstören, was eine ihre Kräfte überspannende Vernunft sich zu Unrecht angemaßt hat; er will das Gebäude der Wissenschaft auf festem Grunde und nach einem klaren architektonischen Riß erbauen; er will der Spekulation die Flügel beschneiden, mit der sie hoffte sich in den leeren Raum aufschwingen zu können.

      Seine Aufgabe hat Kant in drei Hauptabschnitten durchgeführt, deren jeder eine eingreifende Umwandlung der überkommenen und eingewurzelten Denkart vollzieht. Der erste zeigt, daß die Formen der sinnlichen Anschauung Raum und Zeit nicht Eigenschaften der Dinge sind, sondern lediglich der menschlichen Seele angehören, welche die Erscheinungen mittels ihrer zusammenfügt. Es wird gezeigt, daß sie unmöglich aus den Eindrücken der Sinne hervorgehen können, daß sie vielmehr von diesen vorausgesetzt werden, auch daß sie sich nicht durch Abstraktion aus ihnen ableiten lassen, sondern als ein Ganzes alle Mannigfaltigkeit in sich fassen; auch die Allgemeingültigkeit und die Notwendigkeit der geometrischen und der arithmetischen Sätze wird als Zeugnis für die Subjektivität von Raum und Zeit verwandt; jene wäre unmöglich, wenn diese unabhängig von uns vorhandene Dinge wären, zu denen uns erst die Erfahrung einen Zugang verschaffen könnte.

      Der zweite Hauptabschnitt zeigt, daß unser Bild der Welt eines Zusammenwirkens von Sinnlichkeit und Denken bedarf, daß aber das Denken die Grundformen liefert, die Elemente wie das Gefüge. Hier findet sich auch gegenüber Hume eine neue Behandlung des Kausalitätsproblems; so entschieden Kant die Kausalität den Dingen selbst fernhält, sie ist ihm keine Gewöhnung des bloßen Individuums, sondern ein Grundgesetz unseres Denkens, das nur mit ihrer Hilfe den Verlauf des Geschehens in eine feste Ordnung bringt. Dieser Abschnitt ist über die einzelnen Punkte hinaus darin bedeutend, daß er zeigt, wie auch das Bild der sinnlichen Welt auf logischer Arbeit ruht und an jeder Stelle ihrer bedarf, er gibt damit der Erziehung für die Bildung der Sinne wertvollste Anregung, ferner zerstört er für die Wissenschaft ein für allemal den Materialismus mit seiner plumpen Gleichsetzung von sinnlicher Handgreiflichkeit und echter Tatsächlichkeit, indem er das Hervorgehen unsres Weltbildes aus Gedankenarbeit deutlich vor Augen stellt.

      Letzte Wahrheiten

      Der letzte Hauptabschnitt zeigt endlich, daß ein unabweisbares Verlangen, zum Bedingten ein Unbedingtes zu suchen, die Mannigfaltigkeit auf eine letzte Einheit zurückzuführen, das Denken über das Gebiet der Erfahrung hinaustreibt, daß es ihm aber schlechterdings unmöglich ist, in dem Jenseitigen festen Fuß zu fassen und zu letzten Wahrheiten vorzudringen. An drei Punkten erfahren wir solchen Widerspruch in unserer eignen Vernunft: bei der Seele, beim Weltall, beim Dasein Gottes. Wohl wird im Leben alle Mannigfaltigkeit seelischer Vorgänge von einer Einheit des Bewußtseins getragen, aber wir dürfen deshalb nicht diese Einheit von jenem Zusammenhang ablösen und von ihr auf das Wesen der Seele oder auf eine Unsterblichkeit schließen; davon auf spekulativem Wege etwas zu erkennen, ist uns schlechthin versagt.

      Ein unabweisbares Verlangen unserer Vernunft nach Einheit drängt uns dazu, die mannigfachen Erscheinungen um uns zum Ganzen einer Welt zusammenzuschließen, und wir können dann nicht umhin, über den Ursprung und das Gefüge dieses Ganzen Behauptungen aufzustellen. Aber bei solchem Unternehmen verwickeln wir uns in entgegengesetzte Thesen, deren jede wohl die andere widerlegen, nicht aber die eigene Wahrheit dartun kann. Das spricht zum allgemeinen Bewußtsein am deutlichsten bei der Frage, ob die Welt in Raum und Zeit begrenzt oder ob sie unbegrenzt ist. Eins von beiden scheint notwendig, und doch können wir uns für keins entscheiden. Denken wir nämlich die Welt in Raum und Zeit begrenzt, so wird ihr Bild unerträglich klein; denken wir sie unbegrenzt, so wird es unerträglich groß; solche Unmöglichkeit einer Entscheidung darf als ein sicheres Zeugnis dafür gelten, daß Raum und Zeit nicht von uns unabhängige Größen sind, sondern nur menschliche Anschauungsformen.

      Das letzte Problem ist das Dasein Gottes. Ein Verlangen unserer Vernunft nach einem letzten Abschluß macht uns zur Bejahung jener Frage geneigt; aber jede nähere Prüfung zeigt, daß wir damit den eignen Kreis überspringen, subjektive Antriebe in objektive Notwendigkeiten verwandeln, den Gebilden unseres Denkens eine Selbständigkeit gegenüber diesem Denken verleihen.

      So gibt uns die reine Wissenschaft keine Antwort auf die Fragen, die unsere Seele zu beschäftigen nimmer aufhören können; auch der Lauf der Zeit kann daran nichts ändern, da alle Fortschritte des Erkennens innerhalb des bezeichneten Rahmens bleiben, ihn weder überschreiten noch verändern können.

      Das Ganze unseres intellektuellen Vermögens, wie es sich aus Kants Untersuchung ergibt, stellt sich in zwiefacher Beleuchtung dar: es ist groß innerhalb der Erfahrung, in dem Aufbau ihres weitverzweigten Gefüges, in seiner völligen Durchdringung mit Denkarbeit, es ist klein, sobald es sich über die Erfahrung hinauswagt und letzte Gründe der Wirklichkeit erforschen will.

      Das eine wie das andere wirkt aber dahin, dem Reich der Moral freien Platz zu schaffen und ihm einen besonderen Wert zu verleihen. Die ganze sinnliche Welt kann jetzt nicht mehr als letzte Wirklichkeit gelten, deren Gesetze auch unser Handeln beherrschen, sie hat sich in ein Reich der Erscheinungen verwandelt, das vornehmlich von uns selbst gebildet ist. So bedeutet auch die Kausalverkettung nicht mehr ein Weltgesetz, das keine Freiheit des Handelns duldet, für die Freiheit ist jetzt freier Raum gewonnen. Auch das Unvermögen der Spekulation gegenüber den letzten Fragen ist insofern dem Handeln günstig, als es von ihr keine bindenden Ziele empfangen kann, sondern soweit es ihrer bedarf, sie aus eignem Vermögen aufbringen muß.

      Das Reich der praktischen Vernunft

      Auch die Gesamtstellung der praktischen Vernunft im Lebenswerke Kants wird durch die Erfahrungen der Erkenntniskritik aufs wesentlichste verbessert. Diese Erfahrungen fassen sich zusammen in eine Befreiung des Menschen vom Druck einer ihm entgegenstehenden Welt, er braucht nicht eine Übereinstimmung mit einer solchen Welt zu suchen, er bildet sich seine Welt aus den Kräften und nach den Gesetzen seines eigenen Wesens. Das war ein großer Gewinn an Freiheit und Selbständigkeit, er brachte den Menschen in ein anderes Verhältnis zur Wirklichkeit. Aber es verblieb bei allem Gewinn eine feste Schranke darin, daß das Denken nur in Beziehung auf Sinnlichkeit in fruchtbare Arbeit kam, daß Dinge an sich seiner Tätigkeit den Stoff darbieten mußten. So drängt es notwendig weiter zu dem Gedanken, ob es nicht eine Tätigkeit gibt, die unabhängig von solcher Beschränkung aus sich selbst heraus eine Wirklichkeit bilden könnte; eine solche Tätigkeit müßte als die Vollendung des Lebens gelten, sie würde nichts Dunkles, nichts Unaufhellbares in sich tragen. Nun aber liegt eine solche Tätigkeit, ein solches Wirken aus reiner Selbsttätigkeit vor in der Moral und ihrem Reiche der praktischen Vernunft.

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