Aus zwei Welttheilen, Erster Band.. Gerstäcker Friedrich
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Daher geschieht es denn gewöhnlich, daß sich besonders der deutsche Handwerker im Anfang gar nicht in die Behandlungsart seines eigenen Gewerbes hineinfinden kann, und selbst der Meister zu seinem nicht geringen Erstaunen noch lernen muß. Hier in Deutschland kommt es besonders darauf an, daß eine Sache gut und dauerhaft gearbeitet sei; der Vater will ein Stück, das er für sich selber machen läßt, auch noch auf den Sohn vererben, dort hingegen soll nur Alles schnell und in Masse fertig werden, und der Amerikaner wird daher stets den schnellen Arbeiter dem guten vorziehen. Schuhmacher z. B., die zwei bis drei Paar Schuhe in einem Tage machen, gehören keineswegs zu den Seltenheiten. – Hie und da, in großen Städten, findet man Anschläge, wo »schwarze Wäsche« in einer Stunde gewaschen, getrocknet und geplättet wird. – Häuser scheinen über Nacht aus dem Boden zu steigen, ganze Städte wachsen in wenigen Monaten heran und ein ewiges Drängen und Treiben schüttelt die Amerikaner selbst aus einem Staat in den anderen, aus einem Geschäft in das andere.
Der Lebenszweck ist: durch die Welt zu kommen, und womöglich ehrlich, das wie ist aber auf jeden Fall sonst Nebensache. Was also hier in Deutschland einem Menschen zur Schande gereichen, oder über das der Philister wenigstens sehr stark den Kopf schütteln würde, das öftere sogenannte »Umsatteln« wird dort nicht allein für natürlich, sondern sogar für lobenswerth gehalten, weil es beweist, wie der unstät von Einem zum Anderen Wechselnde das für ihn Passende zu finden sucht, und man ist überzeugt, er wird, wenn er es findet, nicht langsam in der Benutzung desselben sein.
Daß Einer heute Zimmermann, morgen Straßenarbeiter, übermorgen Doctor, nachher Landmann, Maler, Schuster, Matrose, Apotheker, Händler u. s. w. ist, fällt Keinem auf, und gerade diese unbegrenzte Arbeitsfreiheit hat Amerika seinen ungeheuern Aufschwung gegeben. Dort treibt ein Jeder nicht etwa Das, wozu ihn die Laune seiner Aeltern oder seiner Geburt verdammte, sondern Das, was seinen eigenen Neigungen und Fähigkeiten entspricht, und ist daher auch im Stande, es zu einer Vollkommenheit zu bringen, zu der er sich noch mehr durch unbegrenzte Concurrenz getrieben sieht.
Das sollte aber auch den Einwanderer vor einem Fehler warnen, in den er nur zu oft von allem Anfang an fällt – daß er nämlich Dasselbe dort treiben will und es durchsetzen zu müssen glaubt, was er hier im alten Vaterlande getrieben. Es ist gerade so, als ob er nun auch noch immer in das alte Wirthshaus gehen wollte, in das er seit Jahren gegangen; ja lieber Gott, das liegt Tausende von Meilen hinter ihm, und eine neue Welt ist's, die ihn umgiebt, eine neue Welt ist's also auch, der er sich anpassen, der alte Adam ist's, den er mit dem alten Schlafrock ausziehen muß.
Dazu kommt noch, daß viele Gewerke in Nordamerika gar keine Kundschaft haben, so z. B. würden Weber, wenn sie es dort durchsetzen wollten, vor dem Webstuhl ihr Brod zu verdienen, verhungern müssen – was gewebt wird, geschieht auf Maschinen oder von Frauen – Spitzenklöppler dürften ebenso wenig daran denken, ihr Geschäft in Amerika zu treiben – Hufschmiede müßten sich den steinigen Norden oder gebirgige Strecken suchen, da im Süden kein Mensch daran denkt, ein Pferd beschlagen zu lassen u. s. w. Michel muß also, wenn er einmal überhaupt eine so große Reise angetreten hat, total aus sich herausgehen und ein ganz anderer Mensch werden.
Der Arme aber, der hier nur Sklave und Knecht war, der hier wie ein Pferd arbeitete, um zu leben, und für einen Tag Krankheit zwei Tage hungern mußte, um die Sache wieder ins alte Gleis, d. h. auf sein früher reducirtes Nichts zu bringen, wird dort auf einmal finden, daß er mehr als ein bloßer Zahn in einem Maschinenrad ist, daß er auch noch Menschenrechte hat, die dort gelten und anerkannt werden. Er braucht auch nicht mit Thränen auf seine Kinder zu blicken, weil er im Geist voraus sieht, welch fürchterliches Leben sie durch lange endlose Jahre dahin zu schleppen haben; denn gerade die Kinder sind es, die nachher tausendfältig ernten, was die Aeltern, vielleicht immer noch unter Sorgen und Entbehrungen, gesäet haben. Für den Armen, der arbeiten will, ist daher Amerika noch ein Land der Verheißung, und alle die, die es gut mit den Unglücklichen meinen, sollten der Auswanderung derselben nicht allein nicht im Wege sein, sondern sie eher und so viel als möglich unterstützen helfen.
Daß dort Alle gedeihen, daß es dort Allen gut gehen soll, wer könnte das verbürgen – schon ihre ganze Erziehung hier, die Abhängigkeit, in der sie von Jugend auf gelebt, läßt sie dort anfänglich in einer Freiheit umhertaumeln, die sie nicht verstehen, deren Werth sie noch nicht begreifen können. Allerdings sagen sie es sich wohl oft, recht oft laut und in Gedanken vor: »Hier sind wir Alle gleich, hier trennt uns kein Unterschied des Ranges mehr«, aber vor jedem guten Rock bücken sie sich, weil sie den verwünscht schwachsinnigen Gedanken noch nicht abschütteln können, daß in einem bessern Stück Tuch auch nothwendig ein besseres Stück Fleisch stecken müsse, als sie selbst unter ihrer wollenen Jacke tragen. Das verliert sich aber nach und nach, sie lernen ihren eigenen Werth erkennen, und der deutsche Farmer ist durch seine Arbeitsamkeit und offene Ehrlichkeit der geachtetste Bürger der Staaten.
Anders, aber nicht etwa besser steht es dafür mit Denen, die in den Städten kleben bleiben und nun dem Endzweck der Amerikaner huldigen und Geld, nur immer Geld zu verdienen suchen, während ihnen das Wie dabei als eine nicht zu beachtende Nebensache erscheint.
Du kannst im Großen nichts verrichten,
Und fängst es nun im Kleinen an.
Zu dem Großen fehlen ihnen die Mittel, fehlt ihnen der Geist – von klein auf krämern sie sich nach und nach hinauf. Stege, die der Amerikaner ihres Schmutzes wegen nicht einschlagen will, benutzen sie mit Freuden, und haben sie endlich ihr Ziel erreicht – ist es ihnen gelungen ein kleines Vermögen zu erwerben, das sie unabhängig dastehen läßt, dann kriecht aus der Puppe der gemeinen Raupe ein Zwitter-Unding von Amerikaner und Deutschem hervor – ein Wesen, das nur englisch radebrecht, und von seinen Landsleuten mit vornehmen Nasenrümpfen sagt: it is only a Dutchman (es ist nur ein Deutscher) – und zwar Dutchman noch im allerverächtlichsten Sinn gebraucht.
Die Galle läuft einem ordentlichen Kerl über, wenn er solch Pack sieht, und dann fühlt, daß Jene nur ihre eigene Gemeinheit vor einer so reichlich verdienten Züchtigung schützt.
Auch unter diesen giebt es allerdings eine bessere Klasse, aber sie ist selten; der gebildete Deutsche zieht es – wunderlicher Weise – fast stets vor, sich lieber durch Handarbeit eine Zeitlang fortzuhelfen, bis er Sprache und Sitten des Landes erlernt hat, und wenn er dann mit dem Lande selbst vertraut wird, wenn er die Achse findet, um die sich Alles dreht, und sich nun selber fragt: Weshalb bist Du denn eigentlich nach Amerika gekommen? weshalb hast Du Freunde und Verwandte, weshalb Alles Das verlassen, was Dir einst lieb und theuer war? dann gesteht er sich wohl meistens selber ein: es war jener, vielleicht noch unbewußte Drang nach Freiheit – ein Gefühl, das, wenn auch ungeweckt, in seiner Brust geschlummert, und hinein zieht er nun in den freien, fröhlichen Wald, und als freier Farmer der Vereinigten Staaten verdient er sich sein Brod, zwar im Schweiße seines Angesichts, aber er steht auch selbstständig und unabhängig da, ein souverainer Fürst auf seinem eigenen kleinen Fürstenthum.
Zwei Krankheiten sind es übrigens, denen der Deutsche, denen überhaupt der Auswanderer nach Amerika fast stets anheimfällt – zwei Krankheiten, die, eigentlich sehr von einander verschieden, doch auch wieder einzelne Aehnlichkeit mit einander haben; sie heißen: Seekrankheit und Heimweh.
Die Seekrankheit betrifft allerdings nur hauptsächlich den Körper, das Heimweh dagegen den Geist; das heißt: die eine kommt aus dem Magen, die andere aus dem Herzen – beide sind aber die fast unausbleiblichen Folgen einer transatlantischen Fahrt und ähneln sich auch darin, daß sie manchmal ihr Opfer nur im Anfang, nur in den ersten Tagen