Melusine: Ein Liebesroman. Jakob Wassermann
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„Ja, ja, trinken wir, ich werde einen famosen Punsch brauen,“ entgegnete die kleine zapplige Dame, plötzlich heiter werdend.
Als sie im Korridor vor der Thüre des Fräuleins von Erdmann vorbeigingen, hörten sie pathetische Worte: „Ja, lieber Doktor, das ist der blutige Hohn meines Lebens! Er schleicht hinter mir her und wird mich verschlingen. Bitte, – nein, bleiben Sie noch, Sie wissen ja, wie Sie mich beglücken, mit diesen Genieaugen, Sie Abscheulicher!“
Die Lauscherinnen verschlossen beide den Mund mit den Händen, um nicht herauszuplatzen. Dann flohen sie auf den Zehen.
Mely lachte viel und übermäßig in den zwei Stunden, die sie noch mit den Damen vom Haus verbrachte. Ja, sie trieb zum Schluß Narrenspossen, und sie schien alles vergessen zu haben, was über sie ergangen war. Sie war begeistert für diese gewinnende, gutherzige Frau Bender und diese zutrauliche, kluge Helene. Bessere Menschen giebt es gar nicht, dachte sie sich.
V
Am andern Morgen, es war ein Samstag, erhielt Mely ein Billet vom Oberst. Mit zitternden Händen erbrach sie das Couvert. „Liebe Melusine,“ schrieb er. „Ich bitte Dich heute zum Abendessen, da ich mittags durch den Direktor Skolny verhindert bin. Ich erwarte von Dir, daß Du auch weiterhin ein gutes Kind sein wirst. Beifolgendes Epheublatt erhielt ich einst aus Genf. Erinnerst Du Dich? Herzlichen Gruß. Wolfgang.“
Der Regen fiel in Strömen, und in den Zimmern hatte man zum ersten Mal geheizt. Als um elf Uhr die kleine Dele, Frau Benders sechsjähriges Töchterchen, aus der Schule kam, hatte sie Wangen rot wie Kirschen.
„Na, du siehst schön zerzaust aus,“ sagte Mely, nahm sie bei den Armen und küßte sie ab.
„Ja, die dummen Buben laufen uns immer nach und lassen uns net in Ruh’,“ entgegnete das Kind und schob die Unterlippe noch weiter heraus, als sie von Natur schon vorhing. „Ich werd’s jetzt meiner Lehrerin sagen.“
„Recht so, Schatz,“ pflichtete Mely bei, die mit dem Mädchen völlig zum Kind wurde. Dele sagte auch du zu ihr.
„Ich möchte nur wissen, was sie von uns wollen,“ fuhr die Kleine fort. Sie runzelte klug die Stirn. „Du,“ sprang sie plötzlich ab, „heut früh hat die Puzzi Junge bekommen, hast es gesehen?“
Mely verneinte. Dele zog einen Zettel aus der Tasche, der mit den steilen, zurückgebogenen Schriftzügen Helenes beschrieben war. Es stand darauf: Die Geburt von vier gesunden Jungen zeigen hocherfreut an: Frau Puzzi, Kater Jonas. Mely lachte.
„Wundernette Katzerln sind’s,“ sagte Dele und setzte sich der großen Kameradin auf den Schoß. „Viere. Ich war dabei. Ich hab’s ganz genau gesehn.“ Sie kicherte geheimnisvoll und fragte dann flüsternd: „Du (sie begann fast triumphirend jeden Satz mit diesem du), kommt zu den Katzen auch der Storch?“
„Natürlich,“ gab Mely zur Antwort.
„Gell, zu denen kommt der Katzenstorch?“
Als Mely laut lachte, wußte das Kind nicht, was es vor Verlegenheit anfangen sollte, und feuerrot werdend, gab es dem durch diese Fragen verblüfften jungen Mädchen einen schallenden Kuß.
Gegen Mittag wurde vor der Korridorthüre ein ungestümes Bellen laut. „Jetzt kommt Pitt!“ rief Mely freudig und sprang hinaus, um dem Hund zu öffnen. Es war ein Foxterrier, der dem Oberst gehörte, aber fast nur Mely gehorchte. Die Wiedersehensfreude war auf beiden Seiten groß. Pitt wollte gar nicht aufhören, mit seinem Schwanzrestchen hin- und herzupendeln. –
Drei Tage vergingen. Mely hatte alles unterlassen, um ihre Lage irgendwie zu klären. Nicht einmal nachgedacht hatte sie darüber. „Nicht daran denken“ war in solchen Fällen ihr ganzes Nachdenken, und immerfort war sie geschäftig, um sich zu betäuben. Unstät, beklommen und furchtsam verbrachte sie diese Tage.
Am Mittwoch schrieb der Oberst wieder, aber an Frau Bender. Er schrieb, daß sich Fräulein Mirbeth von ihm losgesagt habe, und daß er ihr dies mitteile, um spätere Gelddifferenzen zu vermeiden; für diesen Monat wolle er noch bezahlen, doch lehne er für die Zukunft jede Verbindlichkeit im Voraus ab.
Als Mely dies erfuhr, lächelte sie verächtlich, aber in Wirklichkeit fühlte sie sich zum Tod elend. Nun steh’ ich da und habe niemand auf der Welt, dachte sie. Kein Mensch wird sich um mich kümmern, und ich werde zu Grund gehen. Diese Frau Bender macht schon ein recht langes Gesicht. Ja, so sind eben die Leute. Dies alles dachte sie in einem Augenblick, während Frau Bender mit dem Brief vor ihr stand und sie etwas dumm anlächelte. „Losgesagt – losgesagt,“ murmelte sie finster. „Ich bin halt nimmer hinüber, das ist alles.“ Eine dumpfe Wut wachte in ihr auf. „Sehn Sie, Frau Bender, so werd’ ich behandelt,“ sagte sie weich, als ob sie Vertrauen und Glauben suche. Aber dabei überlegte sie im Innern: lauter Feinde sind das. Diese Frau, dann Helene, ja sogar das Kind, – lauter Feinde. Einem Funken gleich fiel ein verzweifelter Entschluß in ihre Seele. Ich werde schon etwas thun, schloß sie ihre Betrachtungen. Heute nachmittag, – oder nein, morgen …
Dies „Morgen“ tröstete sie. Welch eine Ewigkeit, bis morgen!
Aber der nächste Tag kam und verging, auch der zweite Tag und die ganze Woche verging mit dem Trost für morgen. Sie wußte selbst nicht, wie die Stunden verflogen, so langweilig einzeln und so flüchtig im ganzen. Spät stand sie vormittags auf; dann tändelte sie mit dem Kind. Zum Lesen hatte sie keine Lust, und so nähte sie an ihren Kleidern in den langen Nachmittagsstunden. Die halben Nächte verwachte sie und träumte mit offenen Augen. Sie komponirte ganze Romane, wie sie, reich geworden, in Ansehen und Luxus lebte, eine Sklavenschar um sich. Aber für diese glücklichen Phantasieen rächte sich der Schlaf durch böse Träume, die wie Alp auf ihr lagen, – tagelang. Es waren immer Träume, in denen sie bedroht war, in denen sie sich allein sah auf einem weiten Plan, in einem Wald, in Schluchten. Und da wurde sie verfolgt, bis sie zu müde war, um weiterfliehen zu können. –
„Nun, was wollen Sie denn jetzt beginnen, Fräulein Mirbeth?“ fragte einmal Frau Bender mit demselben dummverlegenen Lächeln, mit dem sie stets von dieser Angelegenheit sprach.
„Ja was denn, was denn!“ flüsterte Mely bestürzt wie ein Schuldner, der sich gemahnt und bedrängt sieht. Heute, – gewiß heute thu’ ich’s, dachte sie im Stillen. „Ach Helene,“ fügte sie verzweifelt hinzu, und lehnte sich in den Fauteuil zurück, den Kopf in die gefalteten Hände legend.
Helene sah verständnislos über Melys Schulter hinweg und lächelte ebenso einfältig, wie ihre Mutter. Sie wissen alle beide, daß ich nichts habe, dachte Mely. Wo ist jetzt diese ganze Liebenswürdigkeit und Freundschaft? Sie redete sich in einen bitteren Menschenhaß hinein. „Sie brauchen keine Angst zu haben, Frau Bender,“ sagte sie kühl. „Sie werden durch mich um nichts kommen.“
„Fassen Sie das nicht so auf, Fräulein,“ entgegnete Frau Bender mit großer Herzlichkeit. „Ich bin nur besorgt um Sie. Wie schlecht sehen Sie aus, ganz mager sind