Miss Sara Sampson. Gotthold Ephraim Lessing

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Miss Sara Sampson - Gotthold Ephraim Lessing

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erschöpft.—Doch, ich lasse ihr und mir Gerechtigkeit widerfahren. Ganz recht; habe kein Mitleiden mit mir. Verfluche mich in deinem Herzen, aber—verfluche auch dich.

      Norton. Auch mich?

      Mellefont. Ja; weil du einem Elenden dienest, den die Erde nicht tragen sollte, und weil du dich seiner Verbrechen mit teilhaft gemacht hast.

      Norton. Ich mich Ihrer Verbrechen teilhaft gemacht? Durch was?

      Mellefont. Dadurch, daß du dazu geschwiegen.

      Norton. Vortrefflich! In der Hitze Ihrer Leidenschaften würde mir ein Wort den Hals gekostet haben.—Und dazu, als ich Sie kennenlernte, fand ich Sie nicht schon so arg, daß alle Hoffnung zur Beßrung vergebens war? Was für ein Leben habe ich Sie nicht von dem ersten Augenblicke an führen sehen! In der nichtswürdigsten Gesellschaft von Spielern und Landstreichern—ich nenne sie, was sie waren, und kehre mich an ihre Titel, Ritter und dergleichen, nicht—in solcher Gesellschaft brachten Sie ein Vermögen durch, das Ihnen den Weg zu den größten Ehrenstellen hätte bahnen können. Und Ihr strafbarer Umgang mit allen Arten von Weibsbildern, besonders der bösen Marwood—

      Mellefont. Setze mich, setze mich wieder in diese Lebensart: sie war Tugend in Vergleich meiner itzigen. Ich vertat mein Vermögen; gut. Die Strafe kömmt nach, und ich werde alles, was der Mangel Hartes und Erniedrigendes hat, zeitig genug empfinden. Ich besuchte lasterhafte Weibsbilder; laß es sein. Ich ward öfter verführt, als ich verführte; und die ich selbst verführte, wollten verführt sein.—Aber—ich hatte noch keine verwahrlosete Tugend auf meiner Seele. Ich hatte noch keine Unschuld in ein unabsehliches Unglück gestürzt. Ich hatte noch keine Sara aus dem Hause eines geliebten Vaters entwendet und sie gezwungen, einem Nichtswürdigen zu folgen, der auf keine Weise mehr sein eigen war. Ich hatte—Wer kömmt schon so früh zu mir?

      Vierter Auftritt

      Betty. Mellefont. Norton.

      Norton. Es ist Betty.

      Mellefont. Schon auf, Betty? Was macht dein Fräulein?

      Betty. Was macht sie? (Schluchzend.) Es war schon lange nach Mitternacht, da ich sie endlich bewegte, zur Ruhe zu gehen. Sie schlief einige Augenblicke, aber Gott! Gott! was muß das für ein Schlaf gewesen sein! Plötzlich fuhr sie in die Höhe, sprang auf und fiel mir als eine Unglückliche in die Arme, die von einem Mörder verfolgt wird. Sie zitterte, und ein kalter Schweiß floß ihr über das erblaßte Gesicht. Ich wandte alles an, sie zu beruhigen, aber sie hat mir bis an den Morgen nur mit stummen Tränen geantwortet. Endlich hat sie mich einmal über das andre an Ihre Türe geschickt, zu hören, ob Sie schon auf wären. Sie will Sie sprechen. Sie allein können sie trösten. Tun Sie es doch, liebster gnädiger Herr, tun Sie es doch. Das Herz muß mir springen, wenn sie sich so zu ängstigen fortfährt.

      Mellefont. Geh, Betty, sage ihr, daß ich den Augenblick bei ihr sein wolle—

      Betty. Nein, sie will selbst zu Ihnen kommen.

      Mellefont. Nun so sage ihr, daß ich sie erwarte—Ach!—

      (Betty geht ab.)

      Fünfter Auftritt

      Mellefont. Norton.

      Norton. Gott, die arme Miß!

      Mellefont. Wessen Gefühl willst du durch deine Ausrufung rege machen? Sieh, da läuft die erste Träne, die ich seit meiner Kindheit geweinet, die Wange herunter!—Eine schlechte Vorbereitung, eine trostsuchende Betrübte zu empfangen. Warum sucht sie ihn auch bei mir?—Doch wo soll sie ihn sonst suchen?—Ich muß mich fassen. (Indem er sich die Augen abtrocknet.) Wo ist die alte Standhaftigkeit, mit der ich ein schönes Auge konnte weinen sehen? Wo ist die Gabe der Verstellung hin, durch die ich sein und sagen konnte, was ich wollte?—Nun wird sie kommen und wird unwiderstehliche Tränen weinen. Verwirrt, beschämt werde ich vor ihr stehen; als ein verurteilter Sünder werde ich vor ihr stehen. Rate mir doch, was soll ich tun? was soll ich sagen?

      Norton. Sie sollen tun, was sie verlangen wird.

      Mellefont. So werde ich eine neue Grausamkeit an ihr begehen. Mit Unrecht tadelt sie die Verzögerung einer Zeremonie, die itzt ohne unser äußerstes Verderben in dem Königreiche nicht vollzogen werden kann.

      Norton. So machen Sie denn, daß Sie es verlassen. Warum zaudern wir? Warum vergeht ein Tag, warum vergeht eine Woche nach der andern? Tragen Sie mir es doch auf. Sie sollen morgen sicher eingeschifft sein. Vielleicht, daß ihr der Kummer nicht ganz über das Meer folgt; daß sie einen Teil desselben zurückläßt, und in einem andern Lande—

      Mellefont. Alles das hoffe ich selbst—Still, sie kömmt. Wie schlägt mir das Herz—

      Sechster Auftritt

      Sara. Mellefont. Norton.

      Mellefont (indem er ihr entgegengeht). Sie haben eine unruhige Nacht gehabt, liebste Miß—

      Sara. Ach, Mellefont, wenn es nichts als eine unruhige Nacht wäre—

      Mellefont (zum Bedienten). Verlaß uns!

      Norton (im Abgehen). Ich wollte auch nicht dableiben, und wenn mir gleich jeder Augenblick mit Golde bezahlt würde.

      Siebenter Auftritt

      Sara. Mellefont.

      Mellefont. Sie sind schwach, liebste Miß. Sie müssen sich setzen.

      Sara (sie setzt sich). Ich beunruhige Sie sehr früh; und werden Sie mir es vergeben, daß ich meine Klagen wieder mit dem Morgen anfange?

      Mellefont. Teuerste Miß, Sie wollen sagen, daß Sie mir es nicht vergeben können, weil schon wieder ein Morgen erschienen ist, ohne daß ich Ihren Klagen ein Ende gemacht habe.

      Sara. Was sollte ich Ihnen nicht vergeben? Sie wissen, was ich Ihnen bereits vergeben habe. Aber die neunte Woche, Mellefont, die neunte Woche fängt heute an, und dieses elende Haus sieht mich noch immer auf eben dem Fuße als den ersten Tag.

      Mellefont. So zweifeln Sie an meiner Liebe?

      Sara. Ich, an Ihrer Liebe zweifeln? Nein, ich fühle mein Unglück zu sehr, zu sehr, als daß ich mir selbst diese letzte, einzige Versüßung desselben rauben sollte.

      Mellefont. Wie kann also meine Miß über die Verschiebung einer Zeremonie unruhig sein?

      Sara. Ach, Mellefont, warum muß ich einen andern Begriff von dieser Zeremonie haben?—Geben Sie doch immer der weiblichen Denkungsart etwas nach. Ich stelle mir vor, daß eine nähere Einwilligung des Himmels darin liegt. Umsonst habe ich es nur wieder erst den gestrigen langen Abend versucht, Ihre Begriffe anzunehmen und die Zweifel aus meiner Brust zu verbannen, die Sie, itzt nicht das erstemal, für Früchte meines Mißtrauens angesehen haben. Ich stritt mit mir selbst; ich war sinnreich genug, meinen Verstand zu betäuben; aber mein Herz und ein inneres Gefühl warfen auf einmal das mühsame Gebäude von Schlüssen übern Haufen. Mitten aus dem Schlafe weckten mich strafende Stimmen, mit welchen sich meine Phantasie, mich zu quälen, verband. Was für Bilder, was für schreckliche Bilder schwärmten um mich herum! Ich wollte sie gern für Träume halten—

      Mellefont. Wie? Meine vernünftige Sara sollte sie für etwas mehr halten? Träume, liebste Miß, Träume!—Wie unglücklich ist der Mensch! Fand sein Schöpfer in dem Reiche der Wirklichkeit nicht Qualen für ihn genug? Mußte er, sie zu vermehren, auch ein noch weiteres Reich von Einbildungen

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