Abendstunden. Hendrik Conscience

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Abendstunden - Hendrik Conscience

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der Kammer des einsamen Hofes setzt die alte Uhr ihr Ticken ruhig fort; die dumpfe Stille der Nacht herrscht noch ganz daselbst; der Heerd ist kalt.

      In der halbdüstern Ecke der Kammer steht ein Spinnrad, dessen Rocken noch voll des feingehechelten Flachses hängt, dessen Faden ungebrochen ist, wie wenn die Spinnerin es eben just verlassen hätte.

      Zwei oder drei Schritte davon sehen wir die unbestimmten Umrisse einer Menschengestalt; es ist ein junger Mann, der niedersitzend das Spinnrad mit eigenem Ausdrucke besieht. Die Arme auf der Brust gefaltet, das Haupt gebeugt, irrt sein Auge von dem Rade zu dem nahen Stuhle, und von dem Stuhle wieder zu dem Rade. Seine Züge tragen den Stempel tiefster Betrübniß; wie gedämpftes Feuer strahlt es aus seinen Augen, wie wenn die Verzweiflung in seinem Herzen sich gefestet hätte, und doch irrt zuweilen ein Lächeln über seine Lippen. Wer ihn so dasitzen gesehen, der hätte glauben können, daß an dem Spinnrade etwa eine, dem Auge Anderer unsichtbare Spinnerin säße, mit welcher der Andere ein Augenzwiegespräch führte. Leise Töne, so leise, daß sie die Stille der Nacht nicht brechen, schweben durch die Kammer; der Jüngling legt den Finger an den Mund und er scheint zu horchen, obgleich er selber es ist, der bewußtlos singt:

      Ricketicketack,

      Ricketicketu,

      Eisen warm,

      Hoch den Arm,

      schlaget zu,

      Ricketicketu.

      Nun steht er auf, nimmt einen Stab aus der Ecke und verläßt mit langsamen schritten die Kammer. Träumerisch geht er längs den Erlen hin und zerpflückt lächelnd Haideblumen. Am Rande der Landstraße schaut er über die Haide hin nach den kleinen Hügeln, die unfern sich erheben; Thränen drängen sich ihm in’s Auge, er setzt sich nieder und weint bitter.

      Nach einigen Augenblicken erhebt er sich wieder und tritt näher zu der hohen Buche, neben welcher kleine Wachholdersträuche im Morgenwinde wanken. Selbstvergessen steht er da und horcht, wie wenn eine geheime Stimme aus dem Baume zu ihm spräche; ein leiser Sang drängt sich aus seiner Brust und enttropft Wort für Wort seinen Lippen:

      Ricketicketack,

      Ricketicketu,

      Eisen warm,

      Hoch den Arm,

      schlaget zu

      Ricketicketu.

      Auch der Traum ist zu Ende, auch die Buche verläßt er und schreitet die Haide entlang. Er erklimmt einen hohen Sandhügel; oben steckt er den langen Stab vor sich hin, lehnt die Schulter dran, schlägt den rechten Arm darum und steht, halb gestützt darauf, bewegungslos, wie ein steinern Bild. Sein Auge haftet auf einem erblauenden Punkte, von dem aus der schlangenförmige Haideweg sich krümmt bis er neben dem Sandhügel verschwindet.

      Was nur mag er erwarten? Was hofft er, das der Haideweg ihm bringen könne? Zu wem hin führt der Morgenwind, die Seufzer, die so schmerzlich aus seiner Brust aufsteigen? Horch, er sagt es selber, denn der Seufzer wird zum Worte, zu einem in Liebe und Pein ausgesprochenen Namen: »Lena! . . . Monika!«

      Hinter ihm besteigt eine Bauerndirne den Sandberg; ihm nahe gekommen, ruft sie ihm heftig zu:

      »Jan, du sollst nach Haus kommen!«

      Der junge Bauer springt auf und blickt sie recht bitter an, doch werden seine Züge gleich schnell wieder ruhig und fast gleichgültig; er steigt den Hügel herab und sagt:

      »Nun, ich komme, Schwester.«

      Während er ihr gesenkten Hauptes folgt, fährt sie in gleichem Tone fort, wie sie eben begonnen hatte:

      »Das ist mir ein schön Leben, was du führst. Mit all den dummen Grillen. Du denkst wohl, daß du dein täglich Brod mit Träumen verdienen kannst. Das ist nun seit drei Monaten eben so geck, als die faule Len, die mit ihrem Vater, wie die Leute sagen, weg ist. Hast ihr die Narrethei schön abgelernt. Das steht ja von Morgens bis Abends in naß und trocken auf dem Sandberg und gafft nach den Krähen. Ich würd mich schämen. Läßt unsre kranke Mutter im Bett keifen und gehst deinen närrischen Gang. Sollst wohl den Hof noch in den Grund bringen, uns aufs Stroh und dich nach Gheel.8

      Jan antwortete nicht auf all diese Verweise; erschien selbst sie nicht zu hören. Er ließ seine Schwester fortplaudern, ohne sich im Mindesten darüber zu ärgern, und folgte ihr gleichgültig zu dem Hofe.

      VI

      Eines Nachmittags stand Jan wieder vor der Buche. Er schien schwach und hinsiechend; das frische Roth in seinem Gesichte war grauen, transparenten Tönen gewichen; seine Augen schwammen, wie die eines sinnlosen, und mißmuthig lehnte sein Haupt auf der linken Schulter.

      Schon hatte er länger als eine halbe Stunde so gestanden, ohne sich zu rühren, als hinter ihm zwischen den Erlen die abgefallenen Blätter der Bäume unter eines Menschen Tritt raschelten; er wandte sich um, es war der alte Pfarrer von Desschel. Sichtlich kostete es ihn Mühe, seinen Zügen einen heiteren Ausdruck zu geben; den Geistlichen ehrerbietig grüßend, versuchte er gar zu lächeln, doch dieß Lächeln zeugte um so mehr von dem Weh und dem Schmerz, die sein Inneres bewegten.

      Der Pfarrer wies mit der Hand auf’s Gras, Jan zum Niedersitzen einladend; dann nahm er ihn bei der Hand, sah ihn tief mitleidig an und sprach in recht väterlichem Tone zu ihm:

      »Jan, Jan, hältst du also dein feierlich Versprechen? Noch immer unter der Buche? Du willst also, daß deine Mutter ihre Drohung bewahrheite und den Baum umhaue?«

      Bei den Worten zitterten die Glieder des jungen Bauern krampfhaft, und den stechenden Blick fest auf den Geistlichen geheftet, rief er:

      »Was, den Baum? die Buche umhauen? Ich schlüge den Arbeitern den Kopf ein . . . «

      Das wunderte den guten Pfarrer nicht wenig; er dachte, durch wiederholten Rath Jan’s Betrübniß bereits halb getilgt zu haben, er glaubte, der Arme habe den Gegenstand derselben schon fast vergessen. Mit recht väterlicher Stimme fuhr er fort:

      »Jan, mein Sohn, das sind sündige Worte, die du da sprichst. Deine Mutter hat das so gesagt und du weißt, daß ihre Worte nicht just ein Evangelium sind. Daß du aber, der du doch mit Gefühl und Verstand begabt bist, dich durch solch nichtige Dinge, durch einen sinnlosen Traum zu einer Drohung zu morden verführen lassen kannst, das begreife ich nicht und das thut mir leid. Hab ich denn verdient, daß du mir so antwortest? . . . «

      »Vergebt mir,« sprach Jan mit wahrhafter Reue; »ich weiß, daß ihr nichts verlanget und wünschet, als was mir vortheilhaft und zu meinem Besten ist, doch in meinem Herzen steckt etwas, worüber ich mir selbst keine Rechenschaft geben kann, was mehr Macht hat, als, eure Worte und mein Wille.«

      »Höre, Jan, es steht geschrieben, wer die Gefahr liebt, der kommt darin um; so ist’s auch mit dir, mein Junge. Wenn du nicht Alles in deinen Träumereien suchtest, die deinen Körper doch ganz und gar aufreiben, wenn du arbeitetest, wie ehedem, wie es deine Pflicht ist, dann würdest du bald die Ursache deines Schmerzes vergessen; Gesundheit und Muth würden dir wiederkehren, und du könntest wacker für deine kranke Mutter arbeiten. Dagegen aber bringst du deine Zeit müßig unter dem Baume, oder auf dem Sandberge zu, und wirst dadurch nicht nur ein großer Sünder, weil du deine Pflichten gegen Gott und gegen deine Mutter nicht erfüllest, sondern bist dazu noch ein Narr, der sich mit der Hoffnung auf unmögliche Dinge quält, und sein ganzes Leben einem eitlen Traume opfert.«

      »Ho, ich habe noch lange nach ihrer Abreise gearbeitet und kam hierhin nur nach den Arbeitsstunden. Da hoffte ich noch, daß ich sie vergessen könnte, doch sie war ja überall bei mir. Am Pfluge hörte ich

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<p>8</p>

Ein Dorf in dem Kempnerland, wohin man die Geisteskranken zur Genesung sendet.