Abendstunden. Hendrik Conscience

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Abendstunden - Hendrik Conscience

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wußt ein gut Mittel, ihn zur Ruh zu bringen. Sie gab ihm sein Töchterchen auf den Schooß, und wie trunken Karl auch war, wenn er sein Kind sah, dann war’s, als wenn ein Zauber über ihn gekommen wär. Dann lachte er so fröhlich wie zuvor, setzte das Mädchen auf seine Knie, spielte Pferdchenreiten mit ihm und sang das alte Liedchen Ricketicketack. Daß der Karl je ein ganz schlechter Mann war, glaub ich nicht; ein jeder wußt genugsam, daß der Tod seiner Frau die Ursach von seinem Verdruß und seiner Trunkenschaft war, denn jedesmal, wenn er über den Kirchhof und an dem eisernen Kreuz vorbei mußt, und wär er so trunken gewesen, daß er nicht auf seinen Beinen stehen konnt, dann liefen ihm die hellen Thränen aus den Augen, daß Jedermann es sehen konnt. Darum hatte man auch groß Mitleid mit ihm, und die Nachbarn versorgten das Kind mit Allem, ohne daß er’s wußt. Das Leben dauerte drei Jahr, da wurde Karl plötzlich krank und mußte zu Bette liegen, und das ziemlich lang. Seine Freunde hatten ihm während der Zeit – und der Pastor nicht weniger – so tapfer zugepredigt, daß er von der Trunksucht ganz genesen schien. Dafür hatte er sich ein ander Ding in den Kopf gesetzt. Er wollte das Dorf verlassen, wo das Grab seiner Frau ihm zu oft in die Augen fiel, und ohne einer Menschenseel zu sagen, wohin er wollt, geht er und verkauft seine Schmiede, wie sie weht und dreht, an meinen Vater, Gott hab ihn selig, nahm auf einen frühen Morgen sein Kind mit sich über die Haide und blieb weg, ohne daß man seitdem, weder von ihm noch von seinem Kinde mehr was gehört hätte.«

      »Ah, der Colonel ist Karl Ricketicketack, da ist kein Zweifel an,« rief einer der Gesellen.

      »Sicherlich, der und kein anderer,« sprach der Baas. »Er nahm manches von dem Geräth in die Hand und beschaut’s; alles nun, was ich und mein Vater gemacht oder gekauft haben, das legte er gleichgültig wieder hin; das aber was von der Schmiede Ricketicketack’s über blieb, das besah er mit einer Art von Aufregung, ihr müßt’s doch gemerkt haben, wenn ihr die Augen offen hattet; und dann seine Aussprach, ganz kempensch, seine Schnelligkeit im Schmieden und vor Allem sein Liedlein. Ja, ja, das ist ein Bursch aus unserm Dorf, setz meinen Hals dran . . . wer sollt das sagen, und nun ein Colonel, ein wahrhaftiger Colonel!«

      Während die in der Schmiede also über ihren Karl Ricketicketack plauderten, waren die beiden Fremdlinge in der Herberge zur Krone angekommen, hatten ihre Pferde zu stall gebracht und selber etwas gegessen. Dann verließ der Colonel die Herberge und ging zu Fuß der großen Straße nach bis zu dem Hause des Gemeindeschreibers. Da wurde er in ein Stübchen geführt und mußte ziemlich lange warten, bis der Herr Gemeindeschreiber vom Felde heimkehrte, und unter tiefen und feierlichen Bücklingen in die Kammer trat. Er sprach:

      »Herr Colonel van Milgem, euer unterthänigster Diener. Ihr wollt allergnädigst entschuldigen, daß ich . . . «

      Doch der Colonel ließ ihm keine Zeit zu langen Höflichkeiten und Förmlichkeiten, faßte freundlich seine Hand und sprach:

      »Wohlan denn, Freund, was habt ihr vernommen? Ist mein Kind entdeckt?«

      »Nein, Herr Colonel, noch nicht,« entgegnete trübselig der Secretarius.

      »Weh mir dann!« seufzte der Kriegsmann, mit der Hand verzweiflungsvoll an die Stirn schlagend. »Sollte ich denn alle Hoffnung aufgeben müssen?«

      »Herr Colonel,« sprach der Secretarius, »geliebet meinen Bericht zu hören und ihr werdet finden, daß wir, ferne davon, alle Hoffnung zu verlieren, vielmehr nahe daran sind, der Wahrheit auf die Spur zu kommen. Ihr habt mir bei eurem letzten Besuch genug Geld hiergelassen, daß ich keine Kosten sparen mußte, und ihr mögt glauben, daß ich nichts versäumt habe, eure Gunst und die gelobten tausend Franken zu gewinnen. Höret nun, was man mir gesagt hat. Als Karl van Milgem (und der Secretarius verbeugte sich bis fast zur Erde) mit seinem vierjährigen Kinde aus Westmal fortzog, sagte er Niemanden, wohin er gehen würde; wußt es auch vielleicht selbst nicht vor großem Leid und Betrübniß. Nun habe ich aber von euch vernommen, und das ist mir auch durch meine Nachforschungen bestätigt worden, daß er zu Weelde, oberhalb Turnhout, sein Kind einem alten Schulmeister anvertraute; Peter Drießens hieß er, und wohnte mit seiner Frau einsam und abgesondert draußen vorm Dorfe. Dem gab er das Kind und ein klein eisern Kistlein, worin er das Verkaufsgeld von seiner Schmiede hatte verschlossen, und das die beiden Alten im Falle der Noth mochten öffnen, damit das Kind und sie selbst nicht Gebrechen leiden an irgend etwas. Dann ist er nach Holland gezogen und hat da, denkt man, bei den Franzosen unter Pichegrü Dienst genommen. Jedenfalls sah er sich seitdem nicht mehr nach seinem Kinde um; so erzählte man mir wenigstens in Weelde und die Leute, welche mir das sagten, hatten Peter Drießens selbst noch gekannt.«

      »Die Leute wissen nicht, was sie sagen, Freund,« fiel der Colonel ein. »Ich schrieb selber zweimal aus Egypten, um Nachrichten über das Kind zu erhalten, doch die Briefe blieben ohne Antwort, und als ich nach Klebers Tod nach Frankreich zurückkehrte und nun hoffte, selber etwas Näheres darüber erfahren zu können, als ich mit klopfendem Herzen die Haide durchtrabte, um es zu sehen, und dem Orte nahte, wo des Alten Hütte gestanden hatte, fand ich nur einen Haufen Asche. Da brach mir das Herz fast; was ich da fühlte, das kann ich euch unmöglich beschreiben, Secretarius. Glücklicherweise hörte ich von den Bauern, daß Drießens mit der kleinen Monika sich gerettet hätte und weggezogen wäre, um sich hier und da ein Almosen zu erbetteln.«

      »So ist es, Herr Colonel. Die Frau des Schulmeisters verbrannte zu Pulver und Asche; er allein, das Monikachen auf dem Rücken und ein klein eisern Kistchen unterm Arm, entkam dem Brande, bekam dann einen schönen Bettelbrief und machte sich mit dem Kinde auf den Weg, um in den Dörfern Hilfe und ein Unterkommen zu suchen. Ich weiß aus guter Hand, daß man ihn mit der kleinen Monika bettelnd gesehen hat zu Meerhout, zu Olmen, zu Balen und zu Moll; da wurde er krank und starb. Erst seit gestern, weiß ich, daß da sein letztes Stündlein schlug; der Gemeindeschreiber von Moll, mein werthester Herr Collega, schickte mir seinen Todesschein und fügt dabei, man habe in den Taschen des armen Schulmeisters nichts gefunden, was auf die Spur des Kindes führen könnte, wonach ich, wie er wohl weiß, ohne Kisten und Kasten suche. Von dem eisernen Kistchen spricht er auch nicht. Glaubt ihr, Herr Colonel, daß der Drießens so schlecht gewesen sein könnt, dem Kinde vielleicht ein Leides zu thun, oder es in der Haide, oder im Walde zurückzulassen?«

      »Oh nein, nein,« rief der Colonel. »Er war mein Lehrer, und ist stets mein Freund geblieben, mein bester Freund. Als der Vater mit dem Kinde zu ihm kam und ihm sagte, daß er nach Holland wollte, um, wie man meint, unter Pichegrü Dienst zu nehmen, bat er selbst, daß der Vater Monika bei ihm sollte in Kost thun, sowohl um seine alten Tage zu erheitern, als auch zum Besten des Kindes, welches anders unter fremde Hände gekommen wäre. Ich bin versichert, Secretarius, daß er das Kind irgendwo bei guten Leuten hat gelassen, und denen auch das eiserne Kästchen gegeben hat.«

      »Das ist auch meine Meinung, Herr Colonel, und da meine Nachforschungen mich vermuthen lassen, daß Monika sich zwischen Rethy und Meerhout befinden muß, so bin ich Willens, morgen nach Moll zu gehen und alle umliegenden Dörfer und Pachthöfe zu durchsuchen.«

      »Brav, Freund Secretarius, thuet also, eure Mühe wird nicht sonder Belohnung bleiben. Ich habe noch einige Tage Zeit und will sehen, ob ich euch nicht dabei helfen kann. Heute Abend schlafen wir zu Lichtaert, und morgen gegen Mittag sind wir gleichfalls bei dem Secretarius der Gemeinde Moll, um mit euch zu überlegen, was wir weiter machen sollen. Sparet kein Geld, Freund, nehmet euch einen gemächlichen Wagen und ermüdet euch nicht nutzlos. Bis morgen denn und gebe Gott einen glücklichen Ausschlag!«

      Mit den Worten stand der Colonel auf, drückte des Gemeindeschreibers Hand und kehrte zur Krone zurück. Eine Stunde später trabten zwei Reiter auf der Straße hin, welche nach Lichtaert führt.

      IV

      Am folgenden Tage frühmorgens schon ritt der Colonel mit dem Lieutenant auf dem schlangenförmig sich windenden Haidewege gen Moll zu.

      Die Sonne stand in vollem Glanze schon an dem blauen Himmel, und entsaugte der weiten Sandfläche einen unstät

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