Abendstunden. Hendrik Conscience

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Abendstunden - Hendrik Conscience

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sie es aber gesungen, dann sinkt sie wieder in ihr sinnen zurück.

      Während sie also sich selbst vergessend vor dem Spinnrade saß, kam eine schon bejahrte Frau die Treppe hinunter und trat in die Kammer. Dem gebieterischen Blicke zufolge, den sie auf das kaum noch glimmende Feuer und das träumerische Mädchen warf, konnte es wohl niemand anders, als die Pachterin sein. Ihre Augen erglühten zornig, sie flog auf die Spinnerin zu und schlug sie so hart ins Gesicht, daß die Arme fast von dem Stuhle zur Erde stürzte.

      »Was ist das! Du faul Stück! Sitzest da zu schlafen, wie ein Vieh! Willst du das Feuer anmachen oder ich nehme einen Stock und schlag dich wacker, du Thunichtgut, die du bist!«

      Das Mädchen erhob sich und ging zum Feuer. Sie war die rohe Behandlung der Pachterin wohl schon seit lange gewohnt, denn ihre Marmorzüge verriethen weder Betrübniß noch Schmerz; nur auf der einen Wange brannte ein rother Flecken, der genugsam zeigte, wie hart der Schlag gewesen war.

      Sobald die Pachterin das Feuer unter dem Kessel flammen sah, ging sie zur Treppe und schrie aus aller Macht:

      »Auf, auf, ihr faule Strick! soll ich euch heraus holen, ihr Schlafmützen? Wacker, Trine, Bärbel, Jan! ’s ist meiner Seel schon vier und noch liegt das Volk und streckt alle vier von sich.«

      Wenige Augenblicke später kamen die Gerufenen.

      Die beiden Mädchen waren die Töchter des Hofes, sie konnten etwas weniger mehr, denn zwanzig Jahre zählen, waren übrigens echte Bäuerinnen, schwerfällig und stark gebaut und ohne allen Reiz.

      Jan zählte gegen siebzehn Jahre; seine Züge waren rauh, doch regelmäßig und recht männlich; es lag etwas sehr bewegliches darin und man sah ihm an, daß, hatte die Natur ihn auch geistig nicht reich betheilt, er doch ein wackerer Junge sein mußte. Seine blauen Augen und langen blonden Haare gaben seinem Wesen vor Allem etwas Gutmüthiges und sein Herz war in der That so.

      Er allein trat auf das Mädchen zu, welches noch am Feuer stand und sprach leise zu ihr:

      »Guten Morgen, Lena.«

      Noch leiser antwortete sie:

      »Dank, Jan. Guten Morgen.«

      Bevor jeder in dem Pachthofe an die Arbeit ging, wurde der Kaffee auf den Tisch gebracht und die Pachterin schnitt jedem sein Butterbrod. Das arme Lenchen bekam für ihr Theil kaum so viel, daß ein Kind damit genug gehabt hätte; doch schien sie dieß nicht zu bemerken und in ihrem Auge, in ihren Zügen war nicht die geringste Klage über die Härte der Pachterin zu lesen. Jan hingegen schaute recht mitleidig auf sie hin und als er sah, daß sie ihr Brod fast verzehrt hatte, schob er ihr ein Stück von dem seinen zu, so oft nur die Augen seiner Mutter nach einer andern Seite gerichtet waren.

      Nach dem Frühstück verließ Jan mit seinen Schwestern das Haus, um an sein Tagewerk zu gehen. Lena blieb mit der Pachterin allein, um bei der Butterstange zu stehen, während der Hund die Buttermühle drehte.

      Sobald die Milch in die Stange gegossen und Alles zum Buttermachen bereit war, ging die Pachterin in den Hof, um den Hund zum Mühlenrade zu holen, doch – der Hund lag todt in seinem Häuschen. Da kannte ihr Zorn keine Grenzen mehr, wie rasend stürzte sie in die Kammer, schlug Lena abermals ins Gesicht, stieß sie aus dem Hause und rief dann:

      »Da siehst du, abscheulicher Strick! hast ihm gestern kein Fressen gegeben und’s Thier ist vor Hunger krepiert. Will dich aber lehren! Hier!«

      Und sie schlug die schweigende aufs Neue und ärger, während sie rief:

      »Schweig, daß du berstest, eigensinnig Stück! ’s wohl wieder nicht wahr, he? daß du dem Hund kein Fressen geben hast, he? Willst du sprechen, oder ich brech dir Hals und Bein.«

      »Pachterin,« sprach Lena fast gleichgültig. »Ich hab dem Hund gestern sein Fressen geben, die Schüssel steht ja noch voll vor dem Häuschen.«

      »Was, Schüssel voll?« schrie die Andere. »Betrügerin die du bist. Diesen Morgen hast das Essen in die Schüssel gelegt; meinst, ich kennte deine Streich nit? sollt es aber bereuen, du, und dafür selbst in der Buttermühl laufen. Und damit marsch, in die Mühl hinein!«

      Diese neue und unerhörte Mißhandlung traf Lena hart; sie bebte an allen Gliedern und stand inmitten der Kammer mit gesenktem Haupt und schlaff hängenden Armen, einer Verurtheilten gleich, welche zum Schaffot geführt werden soll. Dennoch sprach sie kein Wort.

      Dieß stille Dulden gefiel der Pachterin nicht; sie riß einen Ast aus dem Holzbündel, das neben dem Kamine lag und hob ihn, wie wenn sie damit auf Lena hätte zuschlagen wollen.

      »Willt du schnell in die Mühl hinein? Gehst du oder nit?«

      Die Arme sank in die Knie, streckte flehend die Hände empor, schlug das feuchte, schwarze Auge recht bittend auf das Weib und sprach nun:

      »Ach, habt doch Mitleid mit mir. Ich will ja in die Buttermühl, aber schlagt mich um Gotteswillen nicht mehr!«

      In demselben Augenblicke flog die Thür mit Gewalt auf und Jan sprang in die Kammer, er lief zu Lena, hob sie auf und sprach mit mühsam unterdrücktem Aerger zu seiner Mutter:

      »Aber Mutter, wie kannst du doch so sein! ’s ist doch allzeit das selbe Lied. Ich kann wahrhaftig nicht mehr aufs Feld, ohne daß ich dich gegen die arme Lena schreien und toben höre, wie gegen ein stummes Vieh. Willst du sie todt haben, dann schlag sie doch lieber auf einmal todt. Siehst du denn nicht, daß sie krank ist und auszehrt?«

      Bei den letzten Worten stürzten helle Thränen aus Jan’s Augen und er fügte ruhiger und flehend hinzu:

      »Ach Mutter, laß sie doch in Ruhe. Sonst sieh, ich sag dir’s – ich geh mit den ersten Soldaten, die vorbei ziehen und du siehst mich zeitlebens nicht wieder.«

      »Ich sag dir, sie soll in der Buttermühl laufen. Will sie lehren, den Hund krepieren zu lassen,« schrie die Pachterin.

      »Was sagst du da?« frug Jan entrüstet. »Sie? Lena? In der Buttermühl laufen? Hoho, Mutter, das geht zu weit. Jetzt sag mir schnell, ob du darauf bestehst; schnell, schnell!«

      »Da sieh mir doch den Narren stehn und zittern!« rief die Alte spottend. »Und was wär’s denn, wenn ich darauf beständ?«

      »Dann sage ich dir, Mutter,« entgegnete Jan ernst und fest; »sobald Lena in der Buttermühl ist, bin ich aus dem Haus und bändest du mich mit Ketten fest; und wenn du es mir nicht glauben willst, ich schwör dir den schrecklichsten Eid darauf.«

      Da bebte die Pachterin vor Aerger und Wuth; sie mußte wohl sich fügen, denn Jan war das einzige männliche Wesen auf dem Hofe und besaß bereits Kraft und Erfahrung genug, den früh gestorbenen Vater zu ersetzen. Seine Entfernung wäre der Fall des ganzen Hofes gewesen.

      »Daß sie mir aus den Augen geh, das faule Stück!« rief die Alte. »Weg mit der weißen Kuh auf die Weid, Mensch, und laß dich mit sehen vor vier Uhr oder ich komm dir tüchtig an den Leib! Und du, Jan, fort und sag der Trine, daß sie buttern soll.«

      Lena ging langsamen Schrittes dem Stalle zu, die Kuh zu holen. An der Thüre wandte sie sich nach dem ihr folgenden Jan um und warf ihm einen matten aber innigen Blick zu, wie wenn sie hätte sagen wollen: »Dank dir, du beschützest eine Leiche. Will für dich beten, wenn ich in den Himmel komme.«

      II

      Sie zog mit der Kuh zum Bache, das spärliche Gras aufsuchend, welches seinen Rand umsäumte.

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