Tagebuch des Verführers. Søren Kierkegaard

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Tagebuch des Verführers - Søren Kierkegaard

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schnelle Art zu gehen. Herrlich, unbezahlbar ist es aber doch, ganz allein so zu gehen – den Bedienten natürlich hinter sich . . Man ist sechzehn Jahre alt, man hat ein bischen gelesen, das heisst nur Romane, man hat, wenn man durch das Zimmer der Brüder ging, einige Worte von einem Gespräch zwischen ihnen und ihren Freunden aufgefangen, einige Worte von der Östergade. Später ist man wiederholt durch jenes Zimmer gesprungen, um womöglich noch etwas mehr zu erfahren. Doch umsonst. Ein grosses junges Mädchen dürfte doch wirklich ein bischen Bescheid von der Welt haben. Ob man so ohne weiteres mit dem Bedienten hinter sich ausgehen kann. Na, ich danke. Vater und Mutter würden verblüfft aussehen, und welchen Grund wollte man denn angeben? Wenn man eingeladen ist, so passt die Zeit noch nicht, da ist es zu früh; zwischen Neun und Zehn, das wäre die richtige Zeit, hörte ich August sagen; wenn man nach Hause geht, ist es wieder zu spät und da sollte man auch meistens einen Kavalier mit sich haben. Donnerstag Abend, wenn wir vom Theater kommen, das wäre im Grunde eine wunderbare Gelegenheit, aber da soll man in der Karrete fahren und Frau Thomsen und ihre liebenswürdigen Cousinen mit sich im Wagen haben. Wenn man wenigstens allein führe, so könnte man das Fenster herunterlassen und ein bischen Umschau halten. Doch unverhofft kommt oft. Heute sagte mir Mutter: Du wirst gewiss nicht mit dem fertig, was Du zum Geburtstag Deines Täters zu sticken hast, um ganz ungestört zu sein, gehe zu Tante Jette und bleibe bis zum Thee dort, Jens wird Dich später holen. Diese Mitteilung der Mutter war zwar nicht sehr amüsant, denn bei Tante Jette ist es schrecklich langweilig, doch dafür kann ich allein mit dem Bedienten um neun Uhr nach Hause gehen. Wenn Jens jetzt kommt, so lass ich ihn bis drei Viertel Zehn Uhr warten, und – dann gehen wir. Wenn ich ausserdem meinen Bruder und Herrn August treffen würde – aber das ist vielleicht nicht gut, sonst würden wir alle zusammen denselben Weg gehen. – Nein, ich danke, am liebsten will ich freie Hand haben, die Freiheit, – aber wenn ich sie entdecken könnte, ohne dass sie mich sahen . . . Na kleines Fräuleinchen, was würden Sie denn entdecken und was glauben Sie, das ich bei Ihnen entdecke? Erstens die kleine Mütze, die Ihnen ausgezeichnet steht, und mit Ihrer in aller Eile ausgedachten Expedition vollständig zusammenpasst. Es ist kein Hut, keine Mütze, eher eine Art Haube. Aber die können Sie unmöglich heute Morgen, als Sie von zu Hause fortgingen, aufgesetzt haben. Sollte der Diener sie mitgebracht haben, oder ist sie von Tante Jette geliehen? – Vielleicht haben Sie sich incognito kleiden wollen? – Den Schleier darf man auch nicht ganz herunterlassen, wenn man beobachten will. Vielleicht ist es kein Schleier, nur eine breite Blonde. Das kann man im Finstern unmöglich bestimmen. Das Kinn ist ganz schön, ein wenig zu spitzig. Der Mund klein und etwas offen, das kommt davon, dass Sie so schnell gehen. Die Zähne weiss wie Schnee. So soll es sein. Von den Zähnen hängt Vieles ab. Sie sind eine Leibwache, die sich hinter der verführerischen Weichheit der Lippen versteckt. Die Wangen sind rosig von Gesundheit. Böge man den Kopf etwas zur Seite, so wäre es vielleicht möglich, sich unter diesem Schleier oder der Blonde hineinzudrängen. Nehmen Sie sich in acht, ein solcher Blick von unten ist viel gefährlicher als einer gradeaus. Es ist wie beim Fechten. – Und welche Waffe ist so stark, so durchdringlich, so blitzend in ihrer Bewegung und dadurch so verräterisch wie ein Auge? . . . Unerschüttert geht sie vorwärts. Nehmen Sie sich in acht; ein Mensch kommt, lassen Sie den Schleier herunter, sonst beleidigt Sie sein profaner Blick, Sie machen sich keine Vorstellung davon, es könnte vielleicht lange dauern, ehe Sie diese widrige Angst los würden, die er Ihnen beibrachte. – Sie bemerken es nicht, aber ich bemerke es, er überschaut die Situation. – Ja, da sehen Sie selbst, es kann Folgen haben, wenn man allein mit einem Diener ausgeht. Der Diener ist hingefallen. Im Grunde ist es ja nur lächerlich, aber was ist jetzt zu thun? Zurückgehen, ihm beim Aufstehen helfen, sein Rock wurde ganz schmutzig? Das ist unangenehm. Und allein weitergehen? Das ist gewagt. Nehmen Sie sich in acht, der Scheussliche kommt näher . . . Sie antworten mir nicht, schauen mich nur an. Lässt mein Äusseres Sie etwas fürchten? Ich mache gar keinen Eindruck auf Sie, ich sehe gutmütig aus, wie ein Mensch aus einer anderen Welt. In meiner Rede ist nichts Beunruhigendes. Nichts was an die Situation erinnern könnte. Kein ungeziemendes Betragen. Sie sind noch ein bischen ängstlich. Sie haben noch nicht die Dreistigkeit, jene widerliche Figur zu vergessen. Sie fangen an gegen mich freundlich gestimmt zu werden, meine Verlegenheit, die mir verbietet, Sie anzusehen, giebt Ihnen die Übermacht. Das freut Sie und macht Sie sicher. Sie könnten fast in Versuchung kommen, mich zum Besten zu halten. Ich wette, dass Sie in diesem Augenblick die Courage hätten, mich unter den Arm zu nehmen, wenn Sie diesen Einfall bekämen. . . . Also in der Stormgade wohnen Sie. Sie verbeugen sich kalt und flüchtig vor mir. Habe ich das verdient, dass ich Sie aus der unangenehmen Geschichte gezogen habe? Sie bereuen es? Sie kehren zurück, danken mir für meine Artigkeit, reichen mir die Hand – warum erbleichen Sie? Ist meine Stimme nicht unverändert, meine Haltung dieselbe, mein Auge still und ruhig? Dieser Handdruck? Kann denn ein Handdruck etwas zu bedeuten haben. Ja, viel, sehr viel, mein kleines Fräulein, sehr viel, binnen vierzehn Tagen werde ich Ihnen alles erklären; bis da muss dieser Widerspruch ungelöst für Sie bleiben. Ich bin ein gutmütiger Mensch, der als Ritter einem jungen Mädchen zu Hilfe kommt und ich kann auch Ihre Hand in einer anderen als nur gutmütigen Weise drücken.

      7. April. »Also Montag um ein Uhr auf der Ausstellung«. Sehr gut, ich werde die Ehre haben mich drei Viertel Eins einzufinden. Ein kleines Rendezvous. Sonnabend beschloss ich schnell und lustig eine Visite bei meinem verreisten Freund Adolf Braun zu machen. Um sieben Uhr Abends begab ich mich in die Westergade, wo man mir gesagt hat, dass er wohnen sollte. Er war nicht zu finden, nicht einmal in der dritten Etage, wo ich ganz atemlos hinaufkam. Als ich wieder die Treppe hinuntergehe, wird mein Ohr von einer weiblichen melodischen Stimme berührt, die halblaut sagt: »Also Montag um ein Uhr auf der Ausstellung; da sind die andern aus, aber Du weisst, ich darf Dich nie hier zu Hause sehen«. Die Einladung galt nicht mir, aber einem jungen Menschen, der mit eins, zwei, drei zur Thür hinauslief, so schnell, dass nicht einmal mein Auge, noch minder meine Beine ihn erreichen konnten. Warum hat man nicht Gas auf den Treppen, dann könnte ich mich doch wenigstens überzeugen, ob es sich lohnte, so pünktlich zu sein. Doch wäre Gas dagewesen, so hätte ich vielleicht nichts zu hören bekommen. Das Bestehende ist doch das Vernünftigste, ich bin und bleibe ein Optimist . . . Wer ist sie jetzt? Auf der Ausstellung wimmelt es ja von jungen Mädchen, um die Worte von Donna Anna im Don Juan anzuwenden. Es ist präcis drei Viertel Eins! Meine schöne Unbekannte! Möchte doch Ihr Zukünftiger in jedem Fall so pünktlich sein wie ich, oder wünschen Sie vielleicht, dass er nie ein Viertel zu früh käme? Wie Sie wünschen, ich bin zu jedem Dienst bereit. . . »Reizende Zauberin, Fee oder Hexe, lass Deine Nebel verschwinden«, offenbare Dich, Du bist gewiss schon da, aber unsichtbar für mich, verrate Dich, denn sonst darf ich wohl keine Offenbarung erwarten. Sollte es vielleicht mehrere hier geben, mit derselben Absicht wie Sie? Wohl möglich. Wer kennt des Menschen Wege, selbst wenn er auf Ausstellungen geht. – – Da kommt ein junges Mädchen in das Vorzimmer, schneller laufend als das böse Gewissen nach dem Sünder. Sie vergisst ihr Billet abzugeben, der rote Portier hält sie an. Gott behüte, welche Eile! Sie muss es sein. Warum so heftig, es ist noch nicht ein Uhr. Erinnern Sie sich doch, Sie wollten Ihren Geliebten treffen; bei einer solchen Gelegenheit kann es doch nicht gleichgültig sein, wie man aussieht. Wenn solch junges unschuldiges Blut zu einem Rendez-vous geht, so stürzt sie hinzu wie ein Rasender. Sie ist ganz ausser Fassung gekommen. Ich dagegen sitze hier ganz bequem in meinem Stuhl und betrachte ein schönes Landschaftsbild. . . . Zum Teufel, was für ein Mädchen, sie stürmt durch alle Zimmer. Sie sollten allenfalls Ihre Begierde etwas verstecken. Erinnern Sie sich, was man zu Jungfrau Lisbeth in Erasmus Montanus sagt: Es passt sich nicht, dass ein junges Mädchen derart lüstern nach dem Beischlaf ist Selbstverständlich, Ihr Rendez-vous ist eines von den unschuldigen. – – – Ein Rendez-vous zwischen Geliebten wird gewöhnlich als das Schönste angesehen. Ich selbst erinnere noch so deutlich als wäre es gestern, das erste Mal, da ich zum verabredeten Platz eilte, mit einem Herzen so reich und doch so unbekannt mit der Freude, die mich erwartete, das erste Mal, da ich dreimal in die Hände klatschte, das erste Mal, da sich ein Fenster öffnete, das erste Mal, da eine kleine Gartenpforte von einem Mädchen unsichtbar geöffnet wurde – das erste Mal, dass ich ein Mädchen in der hellen Sommernacht unter meinem Mantel verbarg. Doch in ein Urteil darüber mischt sich viel Illusion. Der ruhige Beobachter findet nicht immer, dass die Geliebten in diesem Augenblick am schönsten sind. Ich bin Zeuge gewesen, wo der Totaleindruck, trotzdem das Mädchen reizend und der Mann schön war, fast widrig berührte. Wenn man erfahrener wird, gewinnt

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