Tagebuch des Verführers. Søren Kierkegaard

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Tagebuch des Verführers - Søren Kierkegaard

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bald mich mit seinem Licht blendend, bald mich beschattend, welch ein Genuss, sich so auf dem zitternden Wasser zu wiegen, – welch ein Genuss, bewegt zu werden!

      21. April. Die Tage vergehen und immer bin ich noch in demselben Zustand. Mehr als jemals finde ich an den jungen Mädchen Freude und habe doch zum Genuss keine Lust. Das verstimmt mich oft, umschleiert mein Auge und stört mich. Bald kommt jetzt die schöne Zeit, wo man im öffentlichen Strassenleben das aufkaufen darf, was man im Laufe des Winters im Gesellschaftsleben teuer genug bezahlt hat; denn alles kann ein junges Mädchen vergessen, aber nie eine Situation. Das Gesellschaftsleben bringt einen wohl in die Nähe des schönen Geschlechtes, aber es hat nicht Schwung genug, um dort eine wirkliche Geschichte anzufangen. Im Salon ist das junge Mädchen gewappnet, die Situation ist toujours le même, sie bekommen niemals ein wollüstiges Zittern. Auf der Strasse aber sind sie auf hoher See, da wirkt alles viel eingehender, weil alles viel rätselhafter ist. Für das Lächeln eines jungen Mädchens auf der Strasse gebe ich 100 Thaler, dagegen nicht zehn für einen Händedruck im Salon. Erst wenn die Geschichte angefangen hat, sucht man sich seine Beute im Salon. Man ist in seinem Verhältnis zu ihr in eine geheimnisvolle und verführerische Kommunikation getreten – das ist das wirksamste Insitament, welches ich kenne. Sie wagt nicht, davon zu reden und doch denkt sie daran. Sie weiss nicht, ob man es vergessen hat oder nicht; bald täuscht man sie auf die eine, bald auf die andere Weise. Dieses Jahr aber verschaffe ich mir gewiss keinen grossen Vorrat; dieses junge Mädchen beschäftigt mich zu viel. Mein Vorrat wird gewiss auf diese Weise mager, aber dadurch habe ich Aussicht, das grosse Los zu gewinnen.

      5. Mai. Verfluchter Zufall! Ich habe Dich nie verflucht, wenn Du Dich zeigtest, aber jetzt verfluche ich Dich, weil Du Dich nicht zeigen willst. Oder soll es vielleicht von Dir eine neue Erfindung sein, unbegreifliches Wesen, unfruchtbare Mutter von allem, der einzige Rest, der noch von jener Zeit blieb, da die Notwendigkeit die Freiheit gebar, da die Freiheit sich wieder in den Mutterleib zurücknarren liess? Verdammter Zufall! Du mein einziger vertrauter Freund, einziges Wesen, das ich für würdig halte, mein Verbündeter und mein Feind zu sein, immer wechselnd und immer Dir selbst ähnlich, immer unbegreiflich, immer ein Rätsel! Du, den ich mit ganzer Hingabe meiner Seele liebe, in dessen Bild ich mich selbst schaffe, warum zeigst Du Dich nicht? Ich bettle nicht, ich rufe Dich nicht demütig an, dass Du Dich so oder so zeigen solltest, eine solche Gottesanbetung wäre ja Abgötterei und Dir nicht behaglich – ich fordere Dich zum Streit auf, – warum zeigst Du Dich nicht? Oder hat die Unruhe des Weltalls sich gelegt, ist ein Rätsel gelöst, dass auch Du Dich in das Meer der Ewigkeit gestürzt hast? Furchtbarer Gedanke, so ist ja die Welt vor Langeweile stehen geblieben. Verdammter Zufall, ich erwarte Dich. Ich will Dich nicht durch Prinzipien, oder was die Narren Charakter nennen, besiegen. Nein, ich will Dich dichten. Ich will nicht ein Dichter für andere sein, zeige Dich, ich dichte Dich, ich zehre mein eigenes Gedicht auf, und das ist meine Nahrung. Oder findest Du mich nicht würdig? Wie eine Bajadere zur Ehre Gottes tanzt, so habe ich mich Deinem Dienst geweiht. Leicht, dünn gekleidet, geschmeidig, unbewaffnet, entsage ich allem. Ich besitze nichts, ich will nichts besitzen, ich liebe nichts, ich habe nichts zu verlieren, aber bin ich dadurch Deiner würdiger geworden, Du, der wohl vor langer Zeit müde geworden ist, den Menschen das zu entreissen, was ihnen lieb ist, müde von ihren feigen Seufzern und Gebeten. Überrasche mich, ich bin bereit, kein Einsatz, lass uns nicht um die Ehre streiten. Zeige sie mir, zeige mir eine Möglichkeit, die eine Unmöglichkeit scheint, zeige sie mir in dem Schatten der Unterwelt; ich hole sie herauf, lass sie mich hassen, mich verachten, gegen mich gleichgültig sein, einen anderen lieben, ich fürchte mich nicht; aber bewege das Wasser, brich die Stille ab, so in dieser Weise mich auszuhungern, ist elend von Dir, der sich einbildet, stärker als ich zu sein.

      6. Mai. Der Frühling ist da. Alles schlägt aus, auch die jungen Mädchen. Die Mäntel werden fortgelegt, vermutlich wird mein grüner auch fortgelegt. Das kommt davon, wenn man ein Mädchen auf der Strasse kennen lernt und nicht im Salon, wo man sofort Bescheid bekommt, aus welcher Familie sie ist, wo sie wohnt, ob sie verlobt ist. – Das letzte ist eine sehr wichtige Auskunft für alle ruhigen und ernsthaften Freier, denen es nie einfällt, in ein verlobtes Mädchen verliebt zu werden. So ein Passgänger würde in tödlicher Angst sein, wenn er an meiner Stelle wäre, er wäre ganz zerstört, wenn seine Bestrebungen, sich Aufklärung zu verschaffen, vom Glück gekrönt würden, und wenn er noch dazu erführe, dass sie verlobt wäre. Mich kümmert das nicht viel. Ein Verlobter ist nur eine komische Schwierigkeit. Ich fürchte weder komische noch tragische Schwierigkeiten. Was ich fürchte, ist nur die Langeweile. Noch habe ich keine einzige Auskunft erlangt, trotzdem ich gewiss nichts versäumte und oft fühlte ich die Wahrheit des Dichterwortes: nox et hiems longaeque viae saevique dolores mollibus his castris, et labor omnis inest.

      Vielleicht wohnt sie gar nicht hier in der Stadt, vielleicht ist sie vom Lande, vielleicht, vielleicht, ich kann wahnsinnig über alle diese »vielleicht« werden, und je rasender ich werde, desto mehr »vielleicht«! Immer habe ich Geld liegen, um eine Reise zu machen. Vergebens suche ich sie im Theater, auf Konzerten, Bällen, Promenaden. In einem gewissen Grad freut es mich, denn ein junges Mädchen, das an vielen Vergnügen teilnimmt, ist gewöhnlich nicht wert, erobert zu werden; ihr fehlt meistens Ursprünglichkeit, welches für mich ein conditio sine qua non ist und bleibt. Es ist nicht so unmöglich, unter Zigeunern eine Preciosa zu finden, als in den Ballsälen, wo junge Mädchen sich zum Verkauf bieten – in aller Unschuld natürlich, Gott behüte, wer sagt etwas anderes!

      12. Mai. Ja, mein Kind, warum blieben Sie nicht ruhig unter dem Thor stehen. Es ist gar nichts Auffallendes, wenn junge Mädchen beim Regenwetter sich unter ein Thor stellen. Das thue ich auch, wenn ich kein Parapluie habe, zuweilen auch, wenn ich es habe, wie jetzt zum Beispiel. Übrigens weiss ich mehrere geachtete Damen, die es ohne Bedenken thun. Man bleibt ganz ruhig stehen, kehrt den Rücken gegen die Strasse, so dass die Vorübergehenden nicht einmal wissen, ob man da steht oder ob man im Begriff ist, zu jemanden ins Haus zu gehen. Dagegen unvorsichtig ist es, sich hinter das Thor zu verbergen, wenn dieses noch dazu halb offen steht, das ist unvorsichtig wegen der Folgen; denn je mehr man sich versteckt, desto unangenehmer ist es, überrascht zu werden. Hat man sich indessen versteckt, so muss man ganz ruhig stehen bleiben, sich seinem guten Genius und Schutzengel empfehlen, besonders muss man nicht immer hinausgucken, – um zu sehen, ob der Regen vorbei ist. Will man das nämlich wissen, so macht man entschlössen einen Schritt vorwärts und schaut den Himmel ernst an. Wenn man dagegen ein bischen neugierig, verlegen, ängstlich, unsicher den Kopf vorsteckt und zurückzieht, – so versteht jedes Kind diese Bewegung, man nennt dieses »Verstecken spielen«. Und ich, der immer gern mitspielt, ich würde nicht antworten, wenn ich gefragt würde. . . . Glauben Sie jedoch nicht, dass ich einem beleidigenden Gedanken über Sie Raum gebe. Sie hatten nicht die fernste Absicht, den Kopf herauszustrecken, das war die unschuldigste Sache von der Welt. Als Gegenleistung dürfen Sie mich nicht in Ihren Gedanken beleidigen, mein guter Name und mein Ruf erträgt das nicht. Ich rate Ihnen, nie einem Menschen von dieser Begebenheit zu sprechen. Auf Ihrer Seite wäre das Unrecht. Ich habe nichts anderes zu thun gedacht, als was jeder Kavalier thun würde, Ihnen mein Parapluie anzubieten. . . . – –Wo ist sie hin verschwunden? Brillant, sie hat sich in der Thür des Hausmeisters versteckt – Es ist ein wundervolles kleines Mädchen, so munter und zufrieden. – »Vielleicht könnten Sie mir über eine junge Dame Aufklärung geben, die in diesem heiligen Moment den Kopf aus dem Thor heraussteckte, die sicher wegen eines Parapluies in Verlegenheit ist, ich und mein Parapluie suchen sie.« – »Sie lachen, erlauben Sie vielleicht, dass ich morgen meinen Diener schicke und es abholen lasse, oder wünschen Sie, dass ich einen Wagen für Sie holen soll?« – Keinen Dank, es ist nur schuldige Höflichkeit. – Sie ist eine von den fröhlichsten Mädchen, die ich seit langem gesehen, ihr Blick ist so kindlich und zugleich so herausfordernd, ihr Wesen entzückend sittsam und doch ist sie neugierig. Ziehe in Frieden, mein Kind, wenn nicht ein grüner Mantel wäre, hätte ich wohl gern die nähere Bekanntschaft mit Dir gewünscht. – Sie geht die grosse Strasse hinunter, wie unschuldig, wie vertrauensvoll war sie, keine Spur von Prüderie. Wie leicht sie geht, wie keck sie den Nacken wirft, – der grüne Mantel fordert Selbstüberwindung. –

      15. Mai. Danke, guter Zufall, nimm meinen Dank. Schlank war sie und stolz,

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