Die Ratten: Berliner Tragikomödie. Gerhart Hauptmann
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Die Piperkarcka
Zu Hause darf ick mir nu janz natürlich nich blicken lassen, wie ick verändert bin. Mutter schreit doch auf’s ersten Blick! Vater haut mir Kopf an die Wand und schmeißt mir Straße. Jeld hab ick nu ebenfalls och weiter nu weiter keens nich! als wie Stücker zwei Joldstücke, was ick mich Jackettfutter einjenäht. Hätte mich, schlechter Mensch nich Mark nich Pfennig übrig gelassen.
Frau John
Freilein, mein Mann ist Mauerpolier. Freilein: wenn Se bloß wollten Obacht jebn ... jebn Se doch um Jotteswillen Obacht, wat ick Ihn for Vorschläge unterbreiten tu. Freilein, denn is doch uns beede jeholfen. Ihn is jeholfen und so desselbijen jleichen och mir. Außerden is Pauln, wat mein Mann is, jeholfen, wo sterbensjerne een Kindeken will, weil det uns doch unser eenziget, unser Adelbertchen, an de Bräune jestorben is. Ihr Kind hat et jut wie’n eechnet Kind. Denn kenn Se jehn Ihrem Schatz wieder ufsuchen, kenn wieder in’n Dienst, kenn wieder bei Ihre Eltern jehn, det Kind hat et jut und keen Mensch uf die janze Welt nich braucht wat von wissen.
Die Piperkarcka
I jrade! Ick stürze mir Landwehrkanal! — (sie steht auf.) — Ick schreibe Zettel, ick lasse Zettel in mein Jackett zurück: du hast mit deine verfluchte Schlechtigkeit deine Pauline im Wasser jetrieben! dann setze vollen Namen Alois Theophil Brunner, Instrumentenmacher zu. Denn soll er sehn, wie er mit sein Mord auf Jewissen man meinswegen fertig wird.
Frau John
Warten Se, Freilein, ick muß erst ufschließen.
Frau John stellt sich, als wolle sie die Piperkarcka hinausbegleiten.
Noch bevor beide Frauen den Gang erreichen, tritt Bruno Mechelke langsam forschend aus der Tür links und bleibt stehen. Bruno Mechelke ist eher klein, als groß, hat einen kurzen Stiernacken und athletische Schultern. Niedrige, weichende Stirn, bürstenförmiges Haar, kleiner runder Schädel, brutales Gesicht mit eingerissenem und vernarbtem linken Nasenflügel. Die Haltung des etwa neunzehnjährigen Menschen ist vornübergebeugt. Große, plumpe Hände hängen an langen, muskulösen Armen. Die Pupillen seiner Augen sind schwarz, klein und stechend. Er bastelt an einer Mausefalle herum.
Bruno
pfeift seiner Schwester wie einem Hunde.
Frau John
Ick komme jleich, Bruno. Wat wiste denn?
Bruno
scheinbar in die Falle vertieft.
Ick denke, ick soll hier Fallen ufstellen.
Frau John
Haste dem Speck denn rinjemacht? — (zur Piperkarcka) — ’T is bloß mein Bruder. Erschrecken sich nicht, Freilein.
Bruno
wie vorher.
Ick ha heute dem Kaisa Wilhem jesehn, Jette. Ick war mit de Wachparade jejang.
Frau John
zur Piperkarcka, die durch Brunos Erscheinung angstvoll gebannt ist.
Et is bloß mein Bruder, bleiben Se man. — (zu Bruno) — Junge, wie siehst du bloß wieder aus? Det Freilein muß sich ja von dich Angst kriejen.
Bruno
wie vorher. Ohne aufzublicken.
Schuberle buberle, ick bin ’n Jespenst.
Frau John
Mach uf’n Boden und stell deine Mausefallen.
Bruno
wie vorher. Tritt langsam an den Tisch.
Jawoll, det is och man wieder so’n Jeschäft zum Vahungern. Wenn ick mit Streichhölzer handeln du, denn ha ick wahrhaftig mehr Pinke von.
Die Piperkarcka
Atje, Frau John.
Frau John
wütend auf den Bruder los.
Wiste woll jehn und wist mir in Frieden lassen.
Bruno
geduckt.
Hab dir man nich. Ick jeh ja schonn.
Er zieht sich folgsam wieder in das anstoßende Zimmer zurück, dessen Tür Frau John resolut hinter ihm schließt.
Die Piperkarcka
Den mecht ick Tierjarten Jrunewald nich bejejnen. Bei Nacht nich und nich ma bei Dage nich.
Frau John
Jnade Jott, wo ick Brunon hetze und der ma hinter een hinter is.
Die Piperkarcka
Atje. Hier jefällt mir nich. Wenn mich wieder sprechen wollen, lieber Bank bei Wasserkunst Kreuzberg, Frau John.
Frau John
Pauline, ick ha Brunon mit Sorje un Kummer Tag un Nacht jroßjebracht. Ihr Kindeken hat et noch zwanzigmal besser. Also Pauline, wenn et jeboren is, nehm ick det Kind un, bei meine in Jott vastorbene Eltern, wo ick an Totensonntag immer noch und keen Mensch mich zurückhält nach Rüdersdorf jeh und Lichter uf beede Jräber ansteche: det kleene Wurm soll et madich jut habn, wie et besser keen jeborener Prinz und keene jeborene Prinzessin haben tut.
Die Piperkarcka
Ick jeh, mit meine letzten Pfennig kaufen mir Vitriol — trefft wen trefft! — un jießen dem Weibsbild, wo mit ihm jeht — trefft wen trefft! ... mitten in Jesicht! trefft wen trefft! brennt ihm janze verfluchte hübsche Visage kaput! Mir jleich! Brennt ihm Bart kaput! Brennt ihm Augen kaput! wenn er mit andres Frauenzimmer jeht. Trefft wen trefft! Hat mir betrogen! zu Jrunde jerichtet! hat mir Jeld jeraubt! hat mich Ehre jeraubt! hat mich verfluchtiger Hund verführt, verlassen, belogen, betrogen, in Elend jestoßen! Trefft wen trefft! Soll blind sein! Nase soll wegjefressen sein! soll jar nich mehr überhaupt auf Erde sein!
Frau John
Freilein Pauline, bei meine ewige Seligkeit, von Stund an, wo det kleene Wurm erstma uf de Welt is ... von den Augenblick an! ... det soll et haben, als wenn et, ick weeß nich wo! in Samt und Seide jeboren wär. Bloß jutes Zutrauen! und, det Se „ja“ sachen! — Ick habe mir allens ausjedacht. Et jeht zu machen, Pauline, et jeht, et jeht sach ick Ihn! Und weder ’n Dokter, noch Polizei, noch Ihre Wirtin merkt wat von. — Und denn kriegen Se erst ma hundertunddreiundzwanzig Mark, wat ick mir von det Reinmachen hier beim Direkter Hassenreuter abjespart habe, ausjezahlt.
Die Piperkarcka
Denn lieber bei die Jeburt erwürgen! verkaufen nich!