Die Ratten: Berliner Tragikomödie. Gerhart Hauptmann
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Читать онлайн книгу Die Ratten: Berliner Tragikomödie - Gerhart Hauptmann страница 5
Frau John
in höchstem Schreck.
Mund zu! — Et hat jemand dem Schlüssel im Schloß jestochen.
Walburga
Auslöschen!
Frau John
bläst schnell die Lampe aus.
Walburga
Papa!
Frau John
— Freilein, ruf uf’n Oberboden.
Sie und Walburga verschwinden über die Treppe durch den Bodenverschlag, der verschlossen wird.
Zwei Herren, der Direktor Harro Hassenreuter und der Hofschauspieler Nathanael Jettel, erscheinen durch die Flurtür im Gange. Der Direktor ist mittelgroß, glattrasiert, fünfzig Jahre alt. Er pflegt große Schritte zu nehmen und bekundet ein lebhaftes Temperament. Sein Gesichtsschnitt ist edel, das Auge von kühnem Ausdruck. Sein Betragen ist laut. Sein Wesen überhaupt durchaus feurig. Er trägt einen hellen Sommerüberzieher, den Zylinder nach hinten gerückt und übrigens Frackanzug und Lackschuhe. Der leger geöffnete Paletot enthüllt eine mit Ordensternen überdeckte Brust. — Hofschauspieler Jettel trägt unter dem leichtesten Sommerüberzieher einen weißen Flanellanzug. Er hat einen Strohhut nebst elegantem Stock in der linken Hand, gelbe Schuhe an den Füßen. Er ist ebenfalls glattrasiert und über die fünfzig alt.
Direktor Hassenreuter
ruft.
John! — Frau John! — Ja, das sind nun hier meine Katakomben, lieber Jettel! Sic transit gloria mundi! Hier hab ich nun alles, mutatis mutandis, untergebracht, was von meiner ganzen Theaterherrlichkeit übrig geblieben ist: alte Scharteken! alte Lappen und Lumpen! — John! John! Sie ist hier gewesen, denn der Lampenzylinder ist heiß! — (Er zündet mit einem Streichholz die Lampe an.) — Fiat lux pereat mundus! So! Jetzt können Sie mein Motten-, Ratten- und Flohparadies bei Lichte besehen.
Nathanael Jettel
Haben Sie also meine Karte bekommen, bester Direktor?
Direktor Hassenreuter
Frau John! — Ich werde mal sehn, ob sie auf dem Boden ist. — (Er steigt sehr gewandt die Treppe hinauf und rüttelt an der Bodenklappe.) — Verschlossen! Den Schlüssel hat die Kanaille natürlich am Schürzenband. — (Er pocht wütend mit der Faust gegen die Klappe.) — John! John!
Nathanael Jettel
etwas ungeduldig.
Direktor, geht es nicht ohne die John?
Direktor Hassenreuter
Was? Glauben Sie, daß ich Ihnen den miserablen Lappen, den Sie gerade da für Ihr Gastspiel brauchen, aus meinen dreihundert Kisten und Kasten, ohne die John, im Frack und mit sämtlichen Orden, so wie ich vom Prinzen komme, selber heraussuchen kann.
Nathanael Jettel
Erlauben Sie mal! In Lappen absolviere ich meine Gastreisen nicht.
Direktor Hassenreuter
Mensch, spielen Sie doch in Unterhosen! meinethalben! Mich stört das nicht! Nur vergessen Sie nicht, wer vor Ihnen steht. Deshalb, wenn der Hofschauspieler Jettel — na wenn schon! — gnädigst zu pfeifen geruhen, springt der Direktor Harro Hassenreuter noch lange nicht. Sapristi! wenn irgendein Komödiant einen schäbigen Turban oder zwei alte Transtiefel braucht, muß sich ein pater familias, ein Familienvater den einzigen Sonntagnachmittag unter den Seinen abknapsen? Soll womöglich wie ’n Tackel auf allen Vieren in alle Bodenwinkel hinein? Nein, Freundchen, da müßt Ihr Euch andere aussuchen.
Nathanael Jettel
sehr ruhig.
Könnten Sie mir nicht sagen, Direktor, wer Ihnen in Gottes Namen auf die Krawatte getreten hat?
Direktor Hassenreuter
Mein Junge, ich habe noch vor kaum einer Stunde die Beine unterm Tisch eines Prinzen gehabt: post hoc, ergo propter hoc! — Ich setze mich Ihretwegen in einen verfluchten Omnibus und kutsche in diese verfluchte Gegend ... wenn Sie meine Gefälligkeit nicht zu würdigen wissen: scheren Sie sich!
Nathanael Jettel
Sie haben mich auf vier Uhr hierher bestellt. Sie haben mich eine volle geschlagene Stunde in dieser entsetzlichen Mietskaserne, auf diesem lieblichen Korridore unter dem Kinderpöbel warten lassen ... Ich habe gewartet, Ihnen nicht den geringsten Vorwurf gemacht! und jetzt sind Sie geschmackvoll genug, mich als eine Art Spucknapf zu betrachten ...
Direktor Hassenreuter
Mein Junge ...
Nathanael Jettel
In’s Teufels Namen, der bin ich nicht! Eher mache ich Sie zu meinem Hanswurst und lasse Sie für sechs Groschen Purzelbaum schießen!
Er nimmt entrüstet Hut und Stock und geht.
Direktor Hassenreuter
stutzt, bricht dann in ein tolles Gelächter aus und schreit hinter Jettel her:
Machen Sie sich nicht lächerlich! — Und übrigens bin ich kein Maskenverleiher.
Man hört die Flurtür ins Schloß knallen.
Direktor Hassenreuter
zieht die Uhr.
— Rindvieh verdammtes! — Schafskopf verfluchter! — Ein Segen, daß das Rindvieh, verdammte, gegangen ist!
Er steckt die Uhr ein, zieht sie gleich darauf wiederum und lauscht. Hierauf geht er unruhig hin und her, bleibt stehen, blickt in den Zylinderhut, dessen Inneres einen Spiegel enthält, und kämmt sich sorgfältig. Er tritt an den Mitteltisch und öffnet einige von den Briefschaften, die dort gehäuft liegen. Dazu singt er trällernd:
„O Straßburg, o Straßburg,
du wunderschöne Stadt.“
Abermals sieht er nach der Uhr. Plötzlich geht die Türschelle über seinem Kopf.
Direktor Hassenreuter
Auf die Minute! Was doch die Dinger, wenn es drauf ankommt, pünktlich sind!
Er eilt und öffnet die Flurtür, jemand laut und fröhlich begrüßend. Die Trompetentöne seiner Stimme werden bald von glöckchenartigem Lachen einer weiblichen akkompagniert. Sehr bald erscheint der Direktor wieder, von einer eleganten jungen Dame begleitet, Alice Rütterbusch.
Direktor Hassenreuter
Alice! Kleine Alice! Komm erst mal näher, kleine Alice! Komm mal ans Licht! Ich muß doch sehen, ob du noch dieselbe kleine, schockscharmante, tolle Alice aus den besten Tagen meiner reichsländischen