Friedrich v. Bodelschwingh: Ein Lebensbild. Gustav von Bodelschwingh

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Friedrich v. Bodelschwingh: Ein Lebensbild - Gustav von Bodelschwingh

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Die übergroße Freude ließ das Blut des Kranken aufwallen, sodaß sich die Wunde aufs neue öffnete. Aber gerade das war der Anfang der Genesung. Denn aus einem verborgenen Eiterherd kamen Reste der Uniform zum Vorschein, die bisher die Heilung gehindert hatten.

      Freilich blieben die Kräfte noch lange geschwächt. Als 1815 der Krieg mit Napoleon abermals ausbrach, verweigerten darum die Eltern ihrem Sohn, sich bei der Truppe zu stellen. Da machte er sich zu Fuß von Göttingen, wo er studierte, querfeldein auf den Weg nach Velmede, seiner Heimat. „Mutter, ich kann wieder marschieren,” so trat er ins Zimmer und erkämpfte sich die Erlaubnis der Eltern.

      An dem Tage, wo er von Unna aus zur Armee aufbrach, erlitt dicht vor Unna das Gefährt zweier junger Mädchen, der beiden Schwestern von Diest, die denselben Weg zum Rhein reisen wollten, einen Unfall. Die Pferde hatten gescheut, der Kutscher war schwer verwundet, und so blieb den beiden nichts anderes übrig, als zur Weiterreise den Postwagen zu nehmen. Das war derselbe Weg und derselbe Wagen, den auch der junge Leutnant v. Bodelschwingh benutzen mußte, um die Truppe zu erreichen. So lernte Ernst v. Bodelschwingh in einer der beiden Schwestern seine spätere Lebensgefährtin, Charlotte v. Diest, kennen, und durch diesen Unglücksfall wurde der Grund gelegt zu einer Ehe, durch die ein Strom von Glück über ungezählte Unglückliche kommen sollte.

      So spärlich die Nachrichten über die Bodelschwinghs fließen, so reich sind sie andrerseits über die Familie v. Diest. Über Ort und Gau der im Jahre 838 zum ersten Male erwähnten deutsch-niederländischen Stadt Diest erwarb Otto v. Diest im Jahre 1090 das Herrschaftsrecht und wurde zum Stammvater eines Hauses, dem die Herzöge von Brabant und Flandern und manche andere alte und berühmte niederländische Geschlechter ihre Töchter zu Frauen und ihre höchsten Ämter zur Verwaltung gaben. In Münster, Lübeck, Utrecht und Straßburg finden wir Bischöfe v. Diest; und Arnicus v. Diest, der in seiner Einsiedelei als „ein Freund Gottes”, aber auch als Freund der Tiere, Kinder und Kranken lebte, wurde um das Jahr 1200 heilig gesprochen.

      Früh bekannte sich die Familie zum evangelischen Glauben. Johann v. Diest, Prediger zu Antwerpen, wurde 1571 von seinem Krankenbett zum Scheiterhaufen geführt, und sein Sohn wurde auf dem Heimwege von der Synode in Dordrecht 1583 aufgegriffen und in einem Sacke ertränkt. Schließlich konnten sich die Evangelischen der belgischen Niederlande nur noch durch die Flucht ihren Verfolgern entziehen; und so finden wir von jetzt ab die Familie v. Diest im kurbrandenburgischen Staatsdienst oder, wie einst auf den Bischofsstühlen, so jetzt auf evangelischen Kanzeln und Lehrstühlen der rheinischen Städte. Samuel v. Diest, Professor der Theologie und Philosophie an der Universität Duisburg, trat als ein entschlossener Kämpfer für den Frieden der in bitterem Streit liegenden Lutheraner und Reformierten hervor, „um gegenseitige Duldung und brüderliche Gesinnung herbeizuführen, welche vor allem auch bis zur Gemeinschaft des Wortes und Sakramentes gehen müßte”. Und doch blieb solche edle Weitherzigkeit bei den Diests frei von feigem Nachgeben. Denn als der preußische Resident v. Diest in Cöln im Jahre 1714 von den dortigen Studenten durch Gewalt an der Abhaltung evangelischer Versammlungen in seinem Hause verhindert werden sollte, wandte er sich an König Friedrich Wilhelm I., der mit zähem Nachdruck sich hinter seinen Residenten stellte und Kur-Cöln zum Nachgeben zwang.

      Eins der wenigen übriggebliebenen Glieder dieses alten Geschlechts war der Tribunals-Präsident Heinrich v. Diest, der erst in Cleve, dann in Burgsteinfurt gelebt hatte. Er und seine Frau aber waren vor und während der Freiheitskriege gestorben und hatten ihre Kinder in bescheidenen Verhältnissen zurückgelassen. Zu diesen Kindern gehörten auch jene beiden jungen Mädchen, Charlotte und Angelie v. Diest, mit denen Ernst v. Bodelschwingh in Unna zusammentraf und von denen die ältere später seine Frau wurde.

      Nach seiner Rückkehr aus dem Feldzuge vollendete Ernst v. Bodelschwingh sein Studium und arbeitete als Referendar in Arnsberg, Berlin und Münster. Die Ferienzeiten aber führten ihn immer wieder zurück ins Elternhaus nach Velmede.

      Nur anderthalb Stunden von dem väterlichen Gute entfernt lag Kappenberg, der Wohnsitz des vielleicht besten deutschen Mannes des ganzen Jahrhunderts, des Reichsfreiherrn vom Stein. Sein Auge fiel auf den jungen Referendarius, und Stein zog ihn in seine Nähe. So kam eine Freundschaft zustande, die bis zum Tode des Reichsfreiherrn anhielt und die für Leben und Amt Ernsts v. Bodelschwingh die größte Bedeutung gewann.

      1822 wurde er zum Landrat des Kreises Tecklenburg ernannt. Das Landratsamt in dem Städtchen hatte keine geeignete Wohnung. Aber die Witwe des früheren Landrats, Frau v. Diepenbrock-Grueter, die dicht unterhalb der Stadt Tecklenburg in Haus Mark wohnte, bot einen Teil des Hauses zur Wohnung an. So konnte denn der Landrat sein „Lottchen”, wie er zeitlebens seine Frau nannte, heimführen. Die junge Landrätin war freilich ihrer Schwiegermutter keine willkommene Tochter. Die alte Frau v. Bodelschwingh stammte aus dem Hause Plettenberg, das einst dem deutschen Ritterorden in Hans v. Plettenberg einen seiner größten Ordensmeister gestellt hatte. Sie war bei kleinem, zartem Körper eine stolze und sehr willenskräftige Natur. Im Stillen hatte sie sich eine der Töchter des Freiherrn vom Stein an die Seite ihres ältesten Sohnes gewünscht. Darum blieb sie lange Zeit ihrem Sohne gram, obwohl er, wie sie selbst sagte, ihr niemals Kummer gemacht hatte. Namentlich aber mußte ihre Schwiegertochter viele Jahre hindurch unter schwerer Zurücksetzung leiden. Doch die junge Landrätin trug es still und gewann dadurch das Herz ihrer Schwiegermutter in einer Weise, daß die alternde Frau schließlich niemand lieber um sich hatte als ihr „Lottchen”. „Kinder, vergeßt es nie, was ihr für eine Mutter habt!” rief sie einmal ihren Enkeln zu. Und als es zum Sterben mit ihr ging, war es wiederum ihre Schwiegertochter, der sie ihr ganzes Herz ausschüttete, wie ein Beichtkind dem Beichtvater, und von der sie sich Trost und Stärkung holte für den letzten Gang.

      Ihr Mann, der „Franzherr”, wie ihn seine Leute nannten, war ihr im Tode längst vorangegangen. Er war ein Mann von gewissenhafter Treue und größter Herzensgüte. Das Gut war zum Teil verpachtet, und der Pachtzins mußte jährlich in bar bezahlt werden. Ein Pächter, der in jenen schweren Zeiten die Summe nicht rechtzeitig hatte aufbringen können, kommt zum Gutsherrn, um ihn um Stundung zu bitten. Der weist ihn an seinen Rentmeister, dem die Einkassierung des Pachtgeldes oblag. Dieser aber bleibt hart. So kehrt der bedrängte Pächter zum Gutsherrn zurück und bittet ihn, ihm das Geld vorzustrecken, damit er es dem gestrengen Rentmeister zahlen könne. Der Franzherr gibt ihm das Geld, und der Pächter trägt es zum Rentmeister hinüber. Aber der findet unter der Summe ungängige Münzen und lehnt sie ab. Und noch einmal kommt der Pächter zu seinem Herrn, um sich die gewünschten Münzen einzutauschen und so mit dem Gelde seines eigenen Pachtherrn die Pacht zu bezahlen.

      Die Landrätin in Tecklenburg, seine Schwiegertochter, hatte nach einer beängstigenden Nacht eines Morgens zu ihrem Mann gesagt: „Ich weiß nicht, warum ich so unruhig bin, ich glaube, unserm Vater geht es nicht gut.” Noch denselben Morgen kam ein reitender Bote mit der Nachricht, daß der Vater krank sei. Sofort warf sich der Landrat aufs Pferd. Aber als er Velmede erreichte und die Magd, die ihm begegnete, fragte: „Wie geht es dem Vater?” sagte sie nur: „Der ist eingegangen zu seines Herrn Freude.” Der Sohn dieses Vaters aber, der Landrat von Tecklenburg, stand mit gleicher Treue und mit großer Umsicht in seinem Amt. Noch nach Jahrzehnten haben die Augen der Tecklenburger geleuchtet, wenn der Name ihres ehemaligen Landrats genannt wurde.

      Der Osten Deutschlands hatte in den Jahren 1813–15 den großen Frühling vaterländischen Erwachens erlebt. Jetzt erlebte der Westen ein neues Erwachen des alten Glaubens der Väter. Statt des Rationalismus, der keinen Menschen mehr befriedigte, wurde der Geschmack an dem Evangelium lebendig. Auf vielen Kanzeln erstanden Männer, die den sehnenden Herzen und Gewissen den Sünderheiland predigten.

      Die Kirche in dem Städtchen Tecklenburg blieb freilich von diesem neuen Frühlingshauch unberührt; aber im benachbarten Lengerich spürte man ihn und drüben in dem kleinen Walddorf Ledde, nur eine kurze Stunde von Haus Mark entfernt. So sehen wir auch die Tecklenburger Landrätin mit ihrem Mann in Ledde unter der Kanzel des feurigen jungen Predigers Walter wie auch in Lengerich, wo Pastor Smend stiller, aber auch tiefer von dem neuen Leben erfaßt war.

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