Die ungleichen Schalen: Fünf einaktige Dramen. Jakob Wassermann

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Die ungleichen Schalen: Fünf einaktige Dramen - Jakob Wassermann

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Alexei Grigorjewitsch! Die Würfel liegen zwischen uns. Werfen Sie jetzt und zählen wir die Augen.

      Rasumowsky

      (kalt)

      So spricht ein Spieler. Im Würfelspiel mögen Sie gewinnen, Graf Orlow, im Schicksalsspiel nicht.

      Orlow

      Auch das Schicksal kann man zwingen, alter Mann.

      Rasumowsky

      Wie den Teufel in der eigenen Brust.

      Orlow

      Wer würde anders handeln an meiner Stelle? Nur wenn ich zaudere, verliere ich.

      Rasumowsky

      Und Gott soll mit bei diesem ... Spiele sein?

      Orlow

      Gott ist auf meiner Seite, weil ich will. Ich fühle die Bestimmung.

      Rasumowsky

      Über Blutbestimmung und Gottes Wahl läßt sich nicht rechten.

      Orlow

      Lügendunst! Zar Peter war ein Narr, ein Verräter, Affe des Preußenkönigs, ein Schwächling. Herrliche Bestimmung!

      Rasumowsky

      Besser ein Schwächling als ein gewissenloser Emporkömmling.

      Orlow

      (hochmütig)

      Die Brücke zwischen uns fängt an zu krachen, Erlaucht.

      Rasumowsky

      So mag sie bersten.

      Orlow

      Ich habe keine Zeit mehr zu verlieren.

      Rasumowsky

      Doch die Zeit wird Sie auffressen.

      Orlow

      Jetzt, da Sie mich überzeugt haben, daß Sie die Dokumente besitzen und sie in Ihrer Hand halten, kann ich Sie zwingen, Alexei Grigorjewitsch.

      Rasumowsky

      Sie wollen damit sagen, daß Ihre Helfershelfer mein Haus umstellt halten?

      Orlow

      Leute, die mir blindlings ergeben sind, ja.

      Rasumowsky

      Und wozu ich mich freiwillig nicht mehr entschließen würde, das glauben Sie mit Gewalt durchsetzen zu können. Mit eigener Faust oder mit dem Beistand fremder Fäuste.

      Orlow

      Wenn Sie mich zu dieser Notwendigkeit drängen, – ja. Ich kann nicht zurück. Ich kann nur vorwärts.

      Rasumowsky

      Bis zum Abgrund. – Sie vergessen nur eines, Graf Orlow. Sobald Ihre Leute diese Schwelle übertreten, oder sobald Sie selbst, von dieser Sekunde ab, eine Bewegung machen, die auf Gewalttat zielt, fallen die Dokumente hier in das Feuer. Sie sehen, es brennt loh genug, um ein paar Papiere rasch verzehren zu können. (Pause. Beide blicken einander schweigend ins Gesicht.)

      Orlow

      (mit verschränkten Armen)

      So also steht es.

      Rasumowsky

      Ja.

      Orlow

      (langsam und mit Nachdruck)

      Eines noch, Alexei Grigorjewitsch: ich könnte Sie belohnen, wie nie ein Sterblicher belohnt worden ist.

      Rasumowsky

      Lohn? Für mich? Welchen Lohn? Reichtum? Paläste? Titel und Würden? Für mich?

      Orlow

      (wie oben)

      Wenn auch nicht für Sie, Erlaucht, so doch für einen Knaben ...

      Rasumowsky

      Einen Knaben –?

      Orlow

      Für Iwan, den Sohn Rasumowskys und der Kaiserin Elisabeth.

      Rasumowsky

      (schwankt einen Augenblick, hält sich am Rand des Sessels, sinkt dann darauf nieder).

      Orlow

      Der Pope Maximow hat mich zu ihm geführt.

      Rasumowsky

      Möge Gott ihm verzeihen. Es gibt keine Treue mehr.

      Orlow

      Fürchten Sie nichts mehr von der verräterischen Geschwätzigkeit dieses Priesters, Erlaucht. Ich habe dafür gesorgt, daß seine Zunge keinen Schaden mehr stiftet. Sie und ich, wir sind die beiden einzigen Menschen auf Erden, die um Iwan wissen ...

      Rasumowsky

      (dumpf)

      Einer zu viel, Graf Orlow.

      Orlow

      Ich habe den Knaben gesehn. Es war eine weite Fahrt auf das Gut Domnina im Epifanskischen Kreis. Ein schöner, blonder Knabe. Welche Einsamkeit für einen Vierzehnjährigen. Wie durstig er in die Ferne blickte! Er wußte nichts von Vater und Mutter, die Leute, bei denen er ist, halten ihn für den Sohn von Euer Erlaucht verstorbenem Bruder. Er ahnt nicht, welche Versprechungen das Leben ihm schenken könnte, und wer nur sein Gesicht sieht (deutet auf das Bild der Kaiserin Elisabeth), braucht keinen andern Beweis seiner Abkunft. Grausam schien es mir, die junge Blüte in der Steppenwüste verkommen zu lassen. Ich habe ihn über seine Geburt aufgeklärt.

      Rasumowsky

      (springt auf)

      Das haben Sie getan?

      Orlow

      Ich habe es getan.

      Rasumowsky

      (sinkt wieder auf den Sessel, umklammert krampfhaft die Dokumente vor der Brust.)

      Großer Himmel! Sie hatten kein Mitleid mit dem arglos spielenden Geschöpf? Frevlerisch das Gift des Ehrgeizes und der ungenügenden Begierde in die junge Brust versenkt! Fruchtlose Erwartungen geweckt, die ein gläubiges Gemüt zerfleischen müssen! So war meine Entbehrung vergeblich, vergeblich, daß ich mein Herz von ihm entwöhnt habe, vergeblich das Opfer, vergeblich der Gram der Mutter, alles vergeblich!

      Orlow

      (mit leisem Spott)

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