Die ungleichen Schalen: Fünf einaktige Dramen. Jakob Wassermann

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Die ungleichen Schalen: Fünf einaktige Dramen - Jakob Wassermann

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wenn der Wissende sich bescheidet, als wenn der Getäuschte verkommt?

      Rasumowsky

      (die Worte tief aus seiner Brust ringend)

      Zweiunddreißig Jahre, Graf Orlow, war ich mit Elisabeth Petrowna verbunden. Sie war eine musterhafte Christin und eine zärtliche Mutter Millionen Volks. Auch mich liebte sie, doch schien es mir so überflüssig wie sündhaft, meinen Ehrgeiz über das Maß dessen zu erheben, was sie mir als Weib gewähren konnte. Niemals in zweiunddreißig Jahren ist die Versuchung über mich gekommen, den geheiligten Glanz der Majestät für mich zu erborgen. Sie war auserwählt zu herrschen. Von den Ahnen her war ihr die Gnade verliehen. Woran soll das Volk glauben, diese Zahllosen, von denen wir keine Namen wissen und die nur aufblicken in ihrer Verlassenheit, um nach dem gottbestimmten Führer zu suchen, woran sollen sie denn glauben, wenn nicht an das Mysterium, das um eine Krone webt? Das ist ja ihr Märchen, die Botschaft, das Gesetz! Gesalbtes Haupt weiht das Diadem, königliches Blut rauscht vom Vater zum Sohn, vom Gatten zur Gattin, von Geschlecht zu Geschlecht. Raubt ihnen diesen Glauben, und ihr stürzt sie in Gemeinheit und Verzweiflung, die Welt steht da, ohne Ordnung, ohne Herrn. (Er erhebt sich, bewegt.) Wenn es ein Verdienst in meinem Leben gibt, Graf Orlow, so ist es das eine, daß ich die Kaiserin zu überzeugen vermochte, unsere Ehe, für die sie den Segen der Kirche gewünscht hatte, müsse ein Geheimnis für das Volk bleiben. Und so wurde Iwan fern vom Hof und fern von den Menschen erzogen, denn es ziemt sich nicht für den Halbgebürtigen, von einem Thron auch nur zu träumen.

      Orlow

      Phantome, Erlaucht, Phantome! Die Zeit hat sich verändert. Es handelt sich nicht um die Gnade, es handelt sich um die Kraft.

      Rasumowsky

      Ich bin kein Starrkopf, Graf Orlow, nicht einer, der denkfaul an Vergangenem hängt. Ich kenne die Zeit. Vieles tragen die Eimer des Jahres herauf aus dem dunklen Schacht, und wer wirklich lebt, wandelt sich mit jedem Becher, den er an die Lippen führt. Das Blut wird auch in alten Körpern neu. War ich nicht bereit, Graf Orlow? Ich war bereit, mehr kann ich nicht sagen. Aber ich bin gewohnt, in Menschenaugen zu lesen, und mehr noch auf den Stirnen, Graf, auf den Stirnen. Sie sind so unbehütet, die Stirnen; man kann sie eine Walstatt der Dämonen nennen. (Den Arm mit ausgestrecktem Finger gegen Orlow, stark.) Ich sehe Schicksale auf dieser Stirn, die ungeboren bleiben sollten.

      Orlow

      Alexei Grigorjewitsch! Nicht auf meiner Stirn, – in Ihrer Hand liegt jetzt ein Schicksal. Iwan ist in meiner Gewalt.

      Rasumowsky

      (scheu)

      Iwan ... ist ...

      Orlow

      In meiner Gewalt und nur mir erreichbar.

      Rasumowsky

      (mit weiten Augen)

      Sie wollen damit sagen: um Iwan ist’s geschehen, wenn ich mich weigere ...

      Orlow

      Vielleicht ist es das, was ich sagen will.

      Rasumowsky

      (nähert sich Orlow mit gebeugtem Oberkörper und mit der Unterwürfigkeit eines Bauern, hält ihm mit beiden Händen die Dokumente hin)

      Nehmen Sie, Graf Orlow ...

      Orlow

      (etwas überrascht von dem schnellen Erfolg, greift nach den Papieren).

      Rasumowsky

      (demütig)

      Nicht weil ich für Iwan fürchte, Graf Orlow ... nicht weil ich mir sein Leben erkaufen will, ... nicht deshalb, Graf Orlow, nicht deshalb ...

      Orlow

      (hält die Papiere fest, mit finsterem Trotz)

      Es wäre auch zu spät, Alexei Grigorjewitsch, Sie retten Iwan damit nicht. Er war zu gefährlich, als er seine Abstammung kannte. Er weilt nicht mehr unter den Lebenden.

      Rasumowsky

      (schmerzvoll)

      Gott, dein Wille geschehe! Ich habe es geahnt!

      Orlow

      Und Sie geben mir trotzdem diese Papiere –?

      Rasumowsky

      (mit der Hoheit des Grames)

      Ja, Graf Orlow! Ein Mann, der zu solchen Mitteln greift, den muß die eigene Tat vernichten. Und wenn es die Krone selbst wäre, sie hätte kein Gewicht mehr, wenn Sie sie halten. Nichts ... ein Schemen, ein Scheinbild. Nichts. Zeigen Sie die Dokumente der Kaiserin.

      Orlow

      (brütend)

      Darum also ... Es ist zu viel ... (als wöge er die Papiere) es scheint mir zu viel Erniedrigung für das gewährte Almosen. Bin ich denn ein Bettler? Soll es einen Menschen geben, der mich so einschätzen darf? (Aufflammend.) Nein, nein, nein! Die Schmähung greift ans Herz. Wenn ich diesem erbettelten, erschlichenen Wisch alles verdanken müßte, was mir das Leben gewähren soll, es fräße mir das Mark der Tat aus den Knochen. Ein Orlow, der alles Heil auf den Inhalt einiger vergilbter Papiere gründet? Bin ich verloren ohne diese Fetzen, so wie ich jetzt besudelt bin, wenn ich sie als billige Trophäe vor die Augen Katharinas bringe? Nein, Alexei Grigorjewitsch, nein! Die Genugtuung, daß es von Ihrer Gnade abhängig war, Rußland einen Zaren zu geben, kann ich Ihnen nicht überlassen. Jede Gegenwart wäre mir vergällt, und um Ihnen den Beweis zu liefern, daß ich diese Gnade verschmähe, daß ich sie verachte, nur darum tu’ ich, was ich tue! (Er eilt zum Kamin und wirft die Dokumente ins Feuer.)

      Rasumowsky

      (mit seltsam entzückter, schreiender Stimme, die zugleich etwas wie physischen Schmerz enthält)

      Ein Gottesurteil! Ein Gottesurteil!

      (Durch Rasumowskys Schrei alarmiert, kommen Lassunsky und Chidrowo mit bestürzten Mienen.)

      Lassunsky

      (bleibt unter der aufgerissenen Türe stehen, hastig)

      Was ist geschehen, Erlaucht?

      Chidrowo

      (tritt vor, zieht den Degen)

      Wir werden Sie schützen, Erlaucht.

      Rasumowsky

      (ohne sie zu beachten)

      So hat eine höhere Macht Ihren Arm gelenkt, Graf Orlow, und Sie haben nur den Beweis geliefert, daß es keinen Weg gibt aus Ihrer Menschentiefe zum Licht der Majestät. (Er bückt sich, als ob er bete.)

      Lassunsky

      (drängend)

      Erlaucht ... die Blässe Ihres Gesichts ... Sie sind krank ...

      Rasumowsky

      (immer

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