Das Dekameron. Giovanni Boccaccio

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Das Dekameron - Giovanni  Boccaccio Literatur (Leinen)

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Ursache) den Namen Elisa führen. Durch bloßen Zufall und ohne besondere Verabredung gelangten sie in eine Ecke der Kirche, wo sie sich im Kreise niedersetzten und (ohne daran zu denken, ihren Rosenkranz abzubeten) nach manchem Seufzer vieles über die Zeitläufte miteinander sprachen. Nachdem ein kurzes Stillschweigen ihre Unterredung unterbrochen hatte, begann Pampinea folgendermaßen zu reden: „Ihr habt wohl, liebe Mädchen, so gut wie ich, oft gehört, dass der keinem anderen Unrecht tut, der auf erlaubte Weise sich seiner eigenen Rechte bedient. Jeder, der geboren wird, hat das natürliche Recht, sein Leben nach Kräften zu fristen, zu erhalten und zu beschützen, und es hat sich schon zugetragen, dass jemand, um das eigene Leben zu retten, Menschenblut vergossen hat, ohne dass man ihm daraus einen Strick gedreht hätte. Wenn nun dies die Gesetze gutheißen, von deren Wachsamkeit die Wohlfahrt aller Menschen abhängt, wie viel mehr muss es uns und jedem andern erlaubt sein, ohne Schaden anderer uns aller Mittel zu bedienen, die in unserer Gewalt stehen, um unser Leben zu erhalten. So oft ich es recht betrachte, wie wir diesen Morgen und manchen andern zugebracht haben und unter was für Gesprächen, um so mehr glaube ich einzusehen (und ihr werdet es wohl auch einsehen), dass eine jede von uns für ihr Leben fürchtet. Und das ist gar kein Wunder. Aber das wundert mich sehr, da wir doch alle viel weibliches Gefühl haben, dass wir uns nicht für alles, was wir billigerweise befürchten müssen, einigermaßen entschädigen. Wie es mir scheint, halten wir uns hier zu keinem andern Endzweck auf, als ob wir Zeugen sein sollten oder sein müssten, wie viele Leichen zur Bestattung hierher gebracht werden, oder als wollten wir hören, ob die Mönche dieses Klosters, deren Zahl fast auf Null herabgesunken ist, ihre Messen zu gehöriger Stunde singen, oder als ob wir durch unsere Trauerkleider jedem, der hierher kommt, die Größe und Menge unserer Leiden andeuten wollten. Und wenn wir aus der Kirche weggehen, so sehen wir entweder Leichen oder Kranke vorübertragen, oder wir sehen, dass zur Verbannung verurteilte Verbrecher jetzt, da die Vollstrecker der Gerechtigkeit entweder tot oder krank sind, den Gesetzen zum Hohn, mit wildem Ungestüm durch die Stadt schweifen, oder dass die Hefe des Pöbels, die Pestknechte, von unserm Blute erhitzt und zu unserer Schmach, umherreiten und -fahren und in schändlichen Liedern uns unser Unglück vorwerfen. Wir hören nichts anderes als: ‚Der und der ist tot, dieser und jener liegt im Sterben.‘ Wir würden überall nichts als Klagelieder hören, wenn nur noch jemand da wäre, um sie anzustimmen. Und wenn wir nach Hause kommen – ich weiß nicht, ob es euch so geht wie mir, aber wenn ich von allen Meinigen keine Seele mehr vorfinde als mein Kammermädchen, so wird mir angst und bange, die Haare stehen mir zu Berge, und es erscheinen mir allenthalben, wohin ich auch gehe, die Schatten der Verstorbenen, nicht in ihrer sonst gewohnten Gestalt, sondern als schreckten sie mich mit einem fürchterlichen Aussehen, das ihnen, ich weiß nicht woher, gekommen ist. Deswegen finde ich es hier und zu Hause und außer dem Hause nirgends behaglich, umso weniger, da ich glaube, dass außer uns niemand, der einiges Vermögen und einen Zufluchtsort hat wie wir, sich noch hier aufhält. Wenn aber doch noch einige hier sind, so habe ich wohl vernommen oder gehört, dass sie, ohne sich um das, was anständig oder unanständig ist, zu kümmern, bloß ihren eigenen Trieben nachleben und bei Nacht und bei Tage, allein oder in Gesellschaft das tun, was am meisten Vergnügen gewährt. Und das tun nicht nur die freien Personen, sondern auch die in den Klöstern (indem sie glauben, dass ihnen das, was andere sich erlauben, nicht weniger erlaubt sei) überlassen sich mit Hintansetzung ihrer Regel den fleischlichen Lüsten und meinen, durch Wollust und Ausschweifung ihr Leben zu retten. Verhält es sich aber so – und dass es sich so verhält ist offenbar: Was tun denn wir hier? Was erwarten wir? Wovon träumen wir? Warum verweilen und zaudern wir mehr als andere Einwohner, an unsere Rettung zu denken? Ist an uns weniger gelegen als an den andern? Oder bilden wir uns ein, unser Leben sei mit stärkeren Ketten an unsere Leiber gebunden als das ihrige? Und sollen wir uns deswegen um nichts bekümmern, was dem unsrigen schaden kann? Wir irren, wir betrügen uns – wie töricht sind wir, wenn wir so denken! Wenn wir uns erinnern wollen, wie viele und welche Jünglinge und Mädchen schon ein Raub dieser verheerenden Pest geworden sind, so müssen wir uns davon augenscheinlich überzeugen, damit wir demnach nicht aus Kleinmut oder Unvorsichtigkeit in den Fall geraten, den wir vermeiden können, wenn wir wollen, so deucht mich das beste zu sein (wenn ihr auch so gesinnt seid wie ich), dass wir so, wie wir sind, nach dem Beispiele, das uns viele andere gegeben haben und noch täglich geben, diese Stadt verlassen und nicht nur den Tod, sondern auch das böse Exempel der Übrigen fliehen, um uns in aller Ehrbarkeit auf unsere Landgüter zu begeben, deren wir jede genug besitzen, und uns dort solche kleine Feste, Lustbarkeiten und Zeitvertreib zu verschaffen, die wir, ohne die Regeln der Vernunft zu verletzen, genießen können. Dort hören wir den Gesang der Vögel, dort sehen wir die Hügel und Täler grünen und die Kornfelder wie Wogen des Meeres wallen, sehen mannigfaltige Bäume und sehen den freien, offenen Himmel, der, so sehr er uns auch zürnt, uns dennoch seine ewigen Schönheiten nicht entzieht, die unendlich lieblicher zu betrachten sind als die öden Mauern dieser Stadt. Überdies haben wir dort frischere Luft. Der Lebensunterhalt ist leicht bestritten und Ursache zum Kummer kaum vorhanden. Wenngleich die Bauern dort ebenso sterben wie hier die Städter, so ist doch der unangenehme Eindruck davon desto geringer, je entfernter die Häuser voneinander stehen und je kleiner die Zahl ihrer Bewohner ist, wenn man sie mit denen der Stadt vergleicht. Auch verlassen wir (wie mich deucht) niemanden, sondern wir können vielmehr mit Wahrheit sagen, dass wir verlassen sind. Die Unsrigen sind entweder gestorben oder haben, weil sie dem Tode entfliehen wollten, uns in der Not verlassen, als wenn wir nicht zu ihnen gehörten. Man kann uns also nicht tadeln, wenn wir einen solchen Entschluss fassen, der uns Verdruss und Schmerzen erspart und uns vielleicht vor dem Tode bewahrt, der uns sonst bevorstände. Lasst uns demnach, wenn es euch gefällt, unsere Mädchen und die notwendigsten Sachen mitnehmen und heute an diesem Orte, morgen an jenem, uns solche Vergnügungen zu verschaffen suchen, als die Zeitläufte uns verstatten, und lasst uns diese Lebensweise so lange fortsetzen, bis wir sehen, welch ein Ziel der Himmel den jetzigen Prüfungen setzt, wenn nicht etwa in der Zwischenzeit der Tod uns selbst ereilt. Und lasst mich euch zugleich erinnern, dass es uns wohl ebenso ansteht, in Ehrbarkeit uns zu entfernen, als vielen andern, in Ehrlosigkeit hierzubleiben.“

      Als die übrigen Damen Pampinea angehört hatten, gefiel ihnen nicht nur ihr Vorschlag, sondern, vor lauter Eifer, ihn auszuführen, fingen sie schon an zu ratschlagen, wie sie gleichsam stehenden Fußes auf und davon gehen könnten. Allein die sehr verständige Filomena sagte: „Freundinnen, so vortrefflich auch alles ist, was uns Pampinea gesagt hat, so müssten wir uns doch nicht so sehr damit übereilen, wie es scheint, dass ihr zu tun geneigt seid. Bedenkt, dass wir lauter Frauen sind, und welche unter uns allen ist so jung, dass es ihr nicht auffallen sollte, eine Gesellschaft von lauter Frauen könne ohne männlichen Rat und Beistand unter sich bestehen bleiben? Wir sind wankelmütig, launisch, misstrauisch, furchtsam und verzagt; deswegen fürchte ich, wenn wir uns keiner andern Führung anvertrauen als unserer eigenen, dass unsere Gesellschaft sich weit schneller wieder trennen würde, und weniger zu unserer Ehre, als uns lieb wäre. Darum ist es besser, uns vorzusehen, ehe wir anfangen.“ „Freilich“, sprach Elisa, „sind die Männer das Haupt der Weiber, und ohne ihre Anordnung gedeihen unsere Werke selten zu einem rühmlichen Ende. Aber wo finden wir diese Männer? Ihr alle wisst, dass unsere Verwandten meistens gestorben und dass die wenigen, die noch am Leben geblieben sind, hier und dort in verschiedenen Gesellschaften (wir wissen nicht wo) dasselbe fliehen, was wir zu vermeiden suchen. Fremdlinge zu wählen wäre ebenfalls nicht ratsam, denn wenn wir unser wahres Wohl befördern wollen, so müssen wir uns bestreben, uns so einzurichten, dass uns da, wo wir Ruhe und Vergnügen suchen, nicht Verdruss und Schande ereilen.“

      Indem die Damen noch so untereinander sprachen, traten drei junge Herren in die Kirche, von denen jedoch der jüngste wenigstens schon sein fünfundzwanzigstes Jahr zählte, deren Liebe weder die Widerwärtigkeit der Zeitläufte noch der Verlust ihrer Bekannten und Verwandten, noch die Besorgnis für ihre eigenen Personen hatte zerstören oder auch nur im Mindesten wankend machen können. Der eine nannte sich Pamfilo, Filostrato der andere, und der dritte hieß Dioneo, lauter wohlgesittete, anmutige junge Leute, die in diesen trübseligen Zeiten ihre einzige Glückseligkeit darin suchten, ihre Damen zu sehen, die sich zufälligerweise alle drei unter den schon genannten sieben befanden, von denen noch einige oder andere mit ihnen zum Teil verwandt waren. Die Damen wurden von ihnen nicht so bald bemerkt, als auch sie die Herren schon erblickten, weswegen Pampinea lächelnd sagte: „Seht ihr, wie das Glück

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