Neues Altes. Peter Altenberg

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Neues Altes - Peter Altenberg

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gegen Untergebene unter zwanzig Jahren wegen Diebstahls unter 100 Kronen werden zwar angenommen, aber sobald es sich um einen ersten Fall handelt, in den Papierkorb geworfen!

      Man vertröste die anzeigende »Canaille«, daß sich der Fall leider »verzögert« habe — — —.

       Inhaltsverzeichnis

      Liebes Fräulein Marion Kaulitz, ich habe gestern in der Wiener Werkstätte, erster Bezirk, Graben 15, die Puppenausstellung besichtigt. Ich war ganz gerührt. Wie schrecklich sind doch diese Puppengespenster gewesen aus der Kindheit unsrer geliebten Schwestern und Cousinen! Wie starrten sie uns blöde herzlos an, erwiderten alle Liebe und Sorge mit einem nichtssagenden kretinartigen Grinsen, das unsre kleinen Herzen hätte lieblos machen müssen, wenn wir damals nicht so viel an selbstloser Liebe aufgespeichert hätten zu adeliger Verschwendung!

      Aber nun schufen Sie, Fräulein, Puppen, die wie edle, zarte Menschenkinder blicken, träumerisch lächelnde, und solche, die sich anschicken zu weinen und es dennoch unterdrücken! Kleine, zarte Kindchen schufen Sie, nicht Puppen!

      »Das Beste ist für unsre Kinder gerade noch gut genug«, sei der Wahlspruch von verständnisvollen Eltern. Eine meiner kleinen zartfühlenden Freundinnen, zwölfjährig, hat am Lande im Garten einen Zentralkäfig aus spinnwebdünnem Stacheldraht. Innerhalb ein kleiner ovaler Teich von Quellwasser, und blühende kleine Gesträuche. Dieser Käfig ist bewohnt von siebzig herrlichen Vogelarten. Hier genießt sie die Märchen der mysteriösen Natur aus allererster Hand, hat einen kleinen bequemen Fauteuil davor gerückt, sitzt stundenlang, beglückt und entrückt — — —.

      Geradeso könnte man mit Ihren Püppchen sitzen, stundenlang, Fräulein Marion Kaulitz! Ich denke mir kinderlose zarte Damen, die dieselben sanft an ihr Herz drückten. Im Schlafzimmer sollten sie in Sofaecken kauern, wie kleine zarte Lebewesen! Es gibt einige darunter, die man direkt lieb gewinnt. Ich kann es mir vorstellen, daß eine alte Jungfer solche fünfzig ankaufte und so in ihrem Zimmer eine Welt erblühen ließe, die ihr im realen Leben versagt geblieben ist. Eine Welt von Poesie und ohne die Enttäuschungen. Eine ist darunter, dreißig Kronen, von der man es sich vorstellen muß, daß sie unbedingt eine weltentrückte Dichterin werden würde. Ich sagte zu der wunderbar schönen bleichen Verkäuferin mit den aschblonden Haaren und der sanftmütigen Stimme: »Melden Sie es mir seinerzeit, welche Dame diese scheinbar unscheinbare Puppe erstanden habe! Es wird jedenfalls eine ›innerlich Adelige‹ sein — — —.« Die bleiche Verkäuferin errötete und sagte: »Ein fremder Herr hat sie heute bereits von selbst für mich erstanden — — —.«

       Inhaltsverzeichnis

      »Sechs riesenstarke Männer und eine Sechzehnjährige, wunderbaren verklärten Antlitzes, und gewachsen wie ein edler Knabe. Man warf sie wie einen Gummiball, fing sie nach zahllosen Umdrehungen auf herkulischen Schultern geschickt auf. Dennoch zitterte man jedesmal für ihre edelzarten, unbeschreiblich rührenden, gebrechlichen Glieder. Sie blickte ekstatisch, ließ sich in die Luft wirbeln und auffangen und hätte, zufällig auf den Boden geschleudert und ermordet, zerbrochen, zerquetscht, keinen Laut von sich gegeben! Ekstatisch blickend wäre sie gestorben. Da dachte ein Graf: »Ich werde sie ihren Peinigern entziehen und ihrem Selbstmorde. Ich werde sie schützen, pflegen und behüten!« Aber das wunderbar verklärte Antlitz hätte sie dann sogleich verloren, und den edlen süßen Heldenblick wie in einer Schlacht, in der man gern vor dem Tode steht! Denn »leben ohne Ehre« ist da überflüssig geworden! O, Fräulein, gedenken Sie eines armseligen Zeitungsreferenten, der es nicht drucken lassen darf, daß er vor Ihnen hätte hinknien mögen! Sondern er mußte schreiben: »Einen wirklichen Rekord in der Parterreakrobatik bot die jugendliche Tochter des Truppendirektors. Eine Vereinigung von Kraft und Anmut — — —. Stürmischer Beifall belohnte aber auch ihre Leistung!« O, Menschheit, pfui über dich, die du noch immer die »spanische Stiergefechtsseele« hast, ohne Erbarmen und ohne Liebe, pfui! Fräulein M., Ihre edelzarten Glieder sind mehr wert als das begeisterte Gejohle einer herzlosen Menge. Gott beschütze Sie, Allerzarteste, in Ihrem gefahrvollen Berufe! Möge dennoch ein Graf Sie zuletzt erretten!«

       Inhaltsverzeichnis

      »Sie luden ihn ein auf ihre Besitzung. Er könne dort tun und lassen, was er wolle, niemand würde Ansprüche an ihn stellen. Er habe seine Freiheit garantiert. Er kam nicht. Er hatte zu tiefe Achtung vor dem Fernverkehr zwischen Menschen, die sich wenigstens teilweise verstehen, zu viel Verachtung für den Nahverkehr, der unter allen Umständen Abgründe öffnet, in denen die Seelen zerschellen. Welche Freiheit konnte man ihm garantieren, nachdem er als Gast von selbst infolge seiner inneren Kultur unwillkürlich den Gastgeber ununterbrochen berücksichtigt hätte? Die großen Abgründe sind leicht mit Freundschaft zu überbrücken, unüberbrückbar sind die allerkleinsten; was ist es, wenn der fanatisch geliebte Hund des Gastgebers dem Gaste als ein verwöhntes, ekelhaftes Beest erscheint? Genügt das nicht, alle Werte umzuwerten und Verzweiflung in den Nerven zu erzeugen, wo früher edler Friede war? Ich will von Speisen und Getränken gar nicht reden, von Tageseinteilungen. Der Gast wird zum »hysterisch-empfindsamsten« Menschen, weil er eben der »Gast« ist, der Gastgeber ebenfalls, weil er eben der »Gastgeber« ist! Es entsteht eine Beziehung von Verantwortlichkeit für das Glück des anderen. Man bemüht sich, ein anständiges aber ungeschicktes Kompromiß zu schließen zwischen zwei Nervensystemen. Nun gibt es aber auch noch tragischere Verwicklungen. Zum Beispiel »Lieblingsspaziergänge«, oder »Lieblingsplätze im Garten«, ja sogar »Lieblingsbäume und -blumen«. »Gekränkt sein« ist eine von unserem guten, ja von unserem besten Willen unabhängige Emotion der Seele. Wodurch könnte man es besiegen!? Durch Entfernung! Napoleon kann bei seinem Kammerdiener zu Gaste sein, aber nicht bei einem Napoleon! Außerdem kann man sich auch noch zu allem anderen vielleicht in das Stubenmädchen der Hausfrau verlieben. »Distanzen lassen« in jeglichem Verkehr ist die »Genialität der Bescheidenen«, »Distanzen nicht einhalten« ist die »Stupidität der Größenwahnsinnigen«! Es gibt daher für einen »bescheidenen« Gast eine einzige Form der Einladung an ihn: »Liebster Freund, wir reisen heute abends ab, unsere Villa steht Ihnen daher zur Verfügung. Die Köchin wird kochen, was Sie anbefehlen; außerdem bekommen Sie Tagesdiäten von zehn Kronen. Gedenken Sie unser in Liebe!«

       Inhaltsverzeichnis

      Ich möchte ein einziges Mal im Leben ein Liebespaar, ein junges Ehepaar antreffen, bei dem der Mann nicht in überquellender sorgsamer Zärtlichkeit das Zigarettenrauchen der Geliebten bespräche! »Anna, du weißt, dein Pensum ist bereits überschritten, ich habe drei Zigaretten täglich gestattet, eine nach dem Frühstück, eine nach dem Mittagessen, eine nach dem Nachtmahl. Ich glaube, ich bin jedenfalls ein nachsichtiger Gatte — — —.« Nein, das bist du nicht, du Hund! Gerade hierin also willst du ihr helfen, hast nicht die geringste Ahnung, du Esel, wieviel Narkotika sie braucht, um deine Langweiligkeiten zu ertragen, oder sich zu betäuben einmal auf anständige Art! Keine Frau raucht mehr Zigaretten, als sie unbedingt braucht, denn in der Kontrolle ihrer Genußfähigkeiten sind die Frauen begabter als die Männer, da sie den Gesetzen der unbewußten Natur näher stehen, sie daher besser erlauschen! Ich hasse die Männer, die ihre hypokrite zärtliche Fürsorge gleichsam auf das scheinbar übertriebene Zigarettenrauchen ihrer geliebten Frauen konzentrieren. Sie haben überhaupt nicht die geringste

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