Gesammelte Erzählungen von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann
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Читать онлайн книгу Gesammelte Erzählungen von Jakob Wassermann - Jakob Wassermann страница 14
Tarnow erwiderte den Gruß.
Der Amtmann schwieg lange. Er starrte unbeweglich vor sich hin. »Nun, mein lieber Tarnow,« sagte er endlich, »wollen Sie denn wirklich die Leutholdin heiraten? Sie dürfen ganz offen mit mir reden. Aber ich komme jetzt daherein zu Ihnen wie ein guter Freund. Passen Sie auf, sie hat ja eine ganz hübsche Fratze, das läßt sich nicht leugnen. Aber sie hat keine Bildung, sie hat keine Erziehung, sie hat kein Vermögen. Na, sind das nicht große Fehler in Ihren Augen? Mein Gott, sie kann ja nähen und flicken und kochen und sie hat ein ganz gutes Herz, aber da giebt’s viele. Haben Sie sich denn das nu genau überlegt?«
Tarnow blickte furchtsam auf die Lippen des Amtmanns. Jedes neue Wort vermehrte diese unbestimmte Furcht. Als Truchs schwieg und ihn forschend ansah, sagte er leise: »Ich hätte ja nie daran gedacht, wenn der Herr Amtmann nicht selbst –. Ich habe keine Stellung. So lange ich kein Brot für meine Frau habe, kann ich nicht heiraten.«
Jetzt wurde der Amtmann auf einmal ganz heiter. Er stand auf, klopfte Tarnow auf die Schulter und sagte: »Ein guter Kerl sind Sie, Tarnow, ein verflucht guter Bursche. Heute müssen wir zusammen anstoßen beim Trinken!« Und kameradschaftlich zurückwinkend verließ er die Stube.
Die Essenszeit kam, aber Tarnow hatte heute nicht Lust zu essen. Er versuchte sich zwar einzureden, daß er Hunger habe, aber seine Gedanken irrten bald wieder zu ganz anderen Dingen und fesselten ihn an seinen Platz. Als er später hinunterging, war es schon dunkel geworden. Niemand hatte nach ihm gerufen. In einem Winkel des Hofes sah er auf übereinandergeschichteten Backsteinen Stauff und die Libuhn sitzen, engumschlungen. Sie küßten sich, er konnte es sehen, seine Augen schienen ihm doppelt so scharf als sonst. Die beiden achteten auf nichts was rings um sie vorging. Tarnow wurde die Kehle trocken; er ging hin zum Brunnen und schlürfte Wasser. Dann rief er seinen Kater und als er den Hof verließ, hatte der Kuß des Stauff und der Libuhn sein Ende noch immer nicht erreicht.
Die Sonne war in Dünsten untergegangen; schlechtes Wetter stand bevor. Ein kühler Nachtwind strich über das Thal. Tarnow glaubte den Fluß lauter rauschen zu hören als sonst. Scharf und durchdringend gellten die Pfiffe der Maschinen vom Bahnhof, Schwalben flogen dicht über dem Wasserspiegel und das Gebimmel einer Kapelle stimmte ihn ganz elegisch. Der Kater quietschte bisweilen oder blieb stehen und fixierte mit flammenden Augen einen Nachtvogel.
Als der Zapfenstreich lang und melodisch über die Wiesen hallte, kehrte Tarnow zurück. Er suchte sofort sein Zimmer auf, aber eine peinigende Unruhe überfiel ihn zu gleicher Zeit. Er entledigte sich der schweren Stiefel und ging in Strümpfen auf und ab. Hierauf öffnete er die Thüre, lauschte hinaus, lehnte sie dann, als er keinen Laut vernahm, wieder vorsichtig an, ohne sie ins Schloß fallen zu lassen. Da der Wind draußen an Stärke zunahm und ein Zug entstand, schloß er das Fenster und setzte seine Wanderung im Dunkeln fort. Alles im Hause schien zu schlafen.
Aber als es zehn Uhr geschlagen hatte (man konnte deutlich die Turmuhren von der Stadt hören), wurde ein knarrendes Geräusch, wie wenn eine Thüre geöffnet wird, im Flur laut. Tarnow wußte, es war vom Schlafzimmer des Amtmanns, das dem seinen schräg gegenüber lag. Als das Knarren zum zweitenmal, durch das Schließen der Thüre vernehmlich wurde, schlich Tarnow hinaus in den Gang. Zehn Schritte vor ihm ging der Amtmann. Er schien nicht besorgt, seine Schritte zu dämpfen, sondern trat mit der ganzen Sohle auf. Seine Füße waren nackt; das Fleisch leuchtete durch die Dunkelheit.
Der Amtmann betrat das Zimmer der Schaffnerin, das unverschlossen gewesen war. Und als er die Thüre wieder hinter sich geschlossen hatte, hörte Tarnow auch nicht, daß er den Riegel vorschob oder das Schloß umdrehte.
Nun ist er also drin, dachte Tarnow mit einem Herzen, das ihm schwer war von Bekümmertheit. Und er wartete wieder wie damals auf streitende Stimmen und auf Geschrei, nur wartete er diesmal mit vielmehr Zuversicht darauf.
Aber es blieb alles still. Nein, ich begreife das nicht, dachte Tarnow jetzt und schlich an der Thür der Schaffnerin vorbei, hockte sich einige Schritte davon auf die Fließen des Flurs und beschloß zu warten. Alles war finster um ihn. Er konnte nicht die Mauer sehen und nichts außerdem. Nur gleichsam in weiter Ferne fiel das Licht der Nacht durch das Glasfenster über den Hauseingang.
Einen Augenblick dachte Tarnow daran, hineinzugehen, aber diese Vorstellung versetzte ihn in einen tötlichen Schrecken. Quälende Bilder sah er, quälender wie die eines bösen Traums. Er hatte Durst; die Finsternis flimmerte vor seinen Augen, hämmerte vor seinen Ohren und die Nacht schritt vor um manche Viertelstunde. Es wäre ihm gleich gewesen, wenn der Amtmann mit einem Licht herausgekommen wäre und ihn gesehen hätte.
Endlich, nach wie langer Zeit konnte er nicht schätzen, kam Truchs wieder heraus. Er schloß die Thür ziemlich heftig und murmelte auf ein Pst von drinnen etwas in den Bart. Er wankte schläfrig den Flur entlang. Bald war wieder alles ruhig.
Auch Tarnow erhob sich nun. In seinem Zimmer warf er sich aufs Bett und die Thränen flossen ihm zu den Wangen herunter.
V.
Es kamen Fuhrleute von Strelentin, die Balkenholz für den Neubau brachten; denn Strelentin war von Wald umgeben und Zimmerleute waren dort fortwährend beschäftigt. Tarnow stand hinter den Wagen und notierte. Als er damit fertig war, wischte er sich den Schweiß von der Stirn, trotzdem es heute weder heiß, noch die Arbeit da sehr anstrengend war. Er schaute dann ermüdet auf die Chaussee hinüber, die auf dem jenseitigen Stromufer lag, als ihn die Schaffnerin rief.
Sie wandte sich um, da er ihr langsam nahte und fast mechanisch folgte er ihr in die Küche. Dort stand er vor ihr, kreideweiß im Gesicht. »Was haben Sie heute Tarnow?« fragte sie mit dumpfer Stimme.
»Warum fragen Sie mich, Fanny?« entgegnete Tarnow und sah sie fremd an. »Sie wissen es doch selbst! Sie wissen doch selbst, was geschehen ist und daß er stundenlang bei Ihnen war.«
»Ach Tarnow!« rief die Schaffnerin aus und schloß hastig die Thüre. »Kann man unglücklicher sein als ich? Was soll ich thun, wenn er kommt und wenn er sagt, er schlägt mich, wenn ich mich rühre?«
»Ach, Schaffnerin,« unterbrach sie Tarnow leise und kopfschüttelnd, »sagen Sie das nicht. Können Sie nicht zusperren? Und kein Laut war, Fanny, kein Laut war in Ihrem Zimmer.«
»Zusperren!« rief die Schaffnerin aus und schlug stürmisch die Hände zusammen. »Er thäte die Thür zerbrechen in seiner Wut und mich dazu. Und kein Laut war, – ja freilich kein Laut«, fügte sie bitter hinzu, »weil ich stumm war wie ein Fisch, weil ich ihn angespieen hab, Tarnow, wie er mir zu nahe kam. Da blieb er sitzen und sitzen, bis es ihm zu dumm worden ist. Da haben Sie’s, Tarnow. Ach wär ich doch tot, wär ich doch tot!«
Sie setzte sich auf den Backtrog und schlug die Hände vors Gesicht.
Tarnow empfand ein tiefes Mitleiden. Er ging und streichelte ihr übers Haar. »Ich glaub’s Ihnen ja, Fanny,« sagte er gütig. »Seien Sie doch ruhig. Fassen Sie sich, Fanny. Es muß ja ein Ende nehmen, es muß ja, sonst, – ich weiß nicht.«
Die Schaffnerin erhob sich und schlang ihre Arme um seinen Hals und sah ihm mit glühenden Blicken in die Augen. »Jetzt gehn Sie nur, Tarnow,« sagte sie dann, indem sie sich zum Herd wandte und im Suppentopf rührte. »Es wird schon werden.« Und sie lächelte über die Schulter zurück ihm zu.
»Ja, ich gehe,« sagte Tarnow, betroffen von diesem Lächeln. »Ich gehe zum Amtmann