Gesammelte Erzählungen von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann
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»Fanny, was haben Sie mit dem Amtmann gehabt?« fragte er endlich ohne weitere Überlegung.
Sie schüttelte den Kopf und sagte nichts. Es quälte ihn, daß sie schwieg, aber er wiederholte seine Frage nicht.
Da reichte sie ihm einen Zettel. Er nahm ihn und las mit Bleistift geschriebene Worte: Ich darf nichts reden, wenn ich Ruhe haben will. Heiraten werd ich ihn nicht, nein. Ich werd mich nicht mit dir auseinanderbringen lassen, Tarnow. Eher zieh ich fort.
Der Umstand, daß sie dies geschrieben hatte und offenbar schon lange vorher geschrieben, und daß sie nicht redete, machte einen furchtbaren Eindruck auf Tarnow. Flüsternd, als könne selbst die Stille sie belauschen, fragte er: »Warum sprechen Sie denn nichts, Fanny?«
Sie sah ihn an und blickte dann deutend nach den Fenstern, nach der Thüre, als sei sie gewiß, daß des Amtmanns Ohr eifersüchtig daran gepreßt sei, oder als sei sie gewiß, daß die Luft, in die sie ihre Worte hauchte, ihm den Schall zutragen müßte. Das erfüllte Tarnow mit Schrecken, und er schwieg gleichfalls, obwohl er wußte, daß Truchs in Wirklichkeit mit den beiden Männern fortgegangen war, da er sie selbst bis zur Hausthür begleitet und noch von ferne das dröhnende Lachen des Amtmanns gehört hatte.
Und es dauerte auch noch eine Viertelstunde, bis er zurückkam. Er schien in sehr heiterer Stimmung, that aber, als ob Tarnow gar nicht da sei.
Dieses Verhalten erregte Tarnow auf unerklärliche Art. Aufmerksam verfolgte er jeden Schritt, jede Geste des Amtmanns, und erst als man dann aufbrach, um sich zu Bett zu begeben, hatte sich die Unruhe in ihm etwas gelegt. Aber schlafen konnte er nicht. Er setzte sich an das kleine Tischchen, das zwischen dem Bett des Jägers und dem seinen stand, zündete eine gebrechliche Lampe an, die auf dem eisernen Ofen stand und die ein mageres Licht in der Stube verbreitete, und schrieb einen Brief an seine Mutter, die in einem Weiler in der Nähe von Aschaffenburg wohnte. Er schrieb, daß es ihm gut gehe und daß er sich für ihre sorgliche Nachfrage bedanke; daß er seine Stelle nicht so bald zu verlassen gedenke wegen der Mutter, und daß er bald eine einträgliche Beförderung zu erfahren hoffe; daß er sich zwar nicht viel ersparen könne, daß ihm aber trotzdem an leiblichen Dingen nichts abgehe. Sein Stil war plump, aber zärtlich; all das sanfte Licht, das in seiner Seele wohnte, strömte dabei in die Zeilen über, die ganze Güte seines Wesens kam in wunderlichen Wortverschnörkelungen zum Ausdruck, wie diese: daß du, meine so hochgeliebte Mutter, mich immer ermahnst, beim Rechten zu bleiben, ist ein herrliches Zeugnis deiner Tugend und kann mir nichts Lieberes geschehen. Diese altmodischen Banalitäten nahmen in seiner Schrift, unter seiner langsam sich über das Papier schiebenden Hand etwas Edles und Rührendes an und zeigten, wie sein Gemüt an diesem Tag noch sein Gleichgewicht besaß.
Als Tarnow am nächsten Morgen in das Bureau trat, war der Amtmann schon anwesend. Tarnow war erstaunt, denn es war das erste Mal, daß dies der Fall war. Der Amtmann erwiderte seinen Gutenmorgengruß nicht. Er war mit keiner Arbeit beschäftigt, sondern starrte nur dumpf vor sich hin. »Ich muß mit Ihnen reden, Tarnow,« sagte er einmal, aber als Tarnow den Kopf erhob und lauschte, schwieg der Amtmann. Dagegen wurde er plötzlich aufgeräumt und redselig, als Tarnow sagte, er müsse nach den Vorwerken und dann nach Strelentin hinüber und käme erst Nachmittag zurück.
Aber Tarnow kam schon früher zurück und begegnete am Kloster Himmelspforta der Schaffnerin, die in der Stadt gewesen war. Es hatte zu regnen begonnen, auch der Wind hatte seit gestern noch nicht aufgehört. Tarnow hatte keinen Schirm und bat die Schaffnerin, ihn unter ihrem Schirm mitzunehmen. Förmlich gepeitscht, rasten zerfaserte Wolken über den Himmel. Kein Mensch war weitherum zu sehen. Das Kloster lag in einer gleichsam steinernen Stille da, und die Akazien, die zum Portal führten, krümmten sich und ächzten und die Blätter rauschten laut. Die Schaffnerin war wieder schweigsam und in Tarnow kehrte die Furcht des letzten Abends zurück. Oft glaubte er, die Schaffnerin lächle, aber dann schloß er, daß er sich getäuscht haben müsse. Er meinte es immer dann zu sehen, wenn sie beide schwer gegen den Wind ankämpften, und wenn sie sich dann an ihn preßte oder seine Hand zufällig die ihre berührte. Sein Herz klopfte, wenn er sie ansah, – das liebliche Oval ihrer Wangen, das duftige Rot, das der Sturm darüber gehaucht, die feine, weiße Haut des Halses, unter der die Adern pochten, das blaue Band, das den Nacken umschloß; und er dachte sich aus, was er ihr vielleicht sagen könnte, um ihr zu gefallen. Aber es blieb beim Denken. Sie näherten sich dem Gut und aus dem Fenster des Bureaus blickte der Amtmann nach ihnen.
Kurze Zeit nachher kam der Krüger Kitz, der eine Zahlung leisten wollte, und Tarnow hatte die Quittung zu schreiben. Er datierte sie, wie es richtig war, auf den 28. Juni, den Tag der Zahlung. Die Zahlung war schon im Mai zu leisten gewesen. Der Amtmann geriet plötzlich in große Wut, als er das Datum der Quittung sah. Er warf das Quittungsbuch des Krügers auf den Tisch und schrie Tarnow aus allen Kräften an: »Herr, zum tausend Teufel, was haben Sie da wieder für dummes Zeug gemacht!«
Tarnow fragte gelassen: »Wieso, Herr Amtmann?«
»Mit dem dummen Quittieren!« schrie der Amtmann. »Der Kitz bezahlt den Branntwein, den er im Mai schuldig geblieben ist, und der muß auch bei dem Monat quittiert werden! Sie sind ein Mensch, der nie eine richtige Rechnung geführt haben kann. Sie sind nichts wert.« Dabei warf er die Sandbüchse mit solcher Heftigkeit auf den Tisch, daß er sich an der Hand verwundete, und daß das Tintenfaß aufflog und die Tinte auf das Papier und auf die Möbel verspritzte. Zugleich schrie er, der Tarnow solle binnen acht Tagen aus dem Hause; er habe sich durch seine Untreue und Durchstechereien der Kondition unwürdig gemacht. »Ich werde Sie unglücklich machen,« schrie er, »ich werde Sie ins Zuchthaus bringen.«
Der Krüger Kitz machte sich ängstlich davon, aber der Amtmann hörte nicht auf zu toben. »Herr, ich schwöre zu Gott, ich halte mein Wort, – ich will Sie verfolgen, Sie mögen sein, wo Sie wollen, Sie Duckmäuser und Heuchler! Ich werde Sie schon aus ihrer Ruhe bringen, da können Sie sich drauf verlassen.«
Die Leute im Hof waren zusammengelaufen und horchten. Tarnow erlitt ruhig diese Beschimpfungen, als wäre er schon stumpf dagegen geworden. Er hatte sich still an den Ofen gestellt und nur darüber nachgedacht, wie er aus dieser Kondition kommen könne. Dann fragte er mit bebender Stimme: »Was wollen Sie von mir, Herr Amtmann?«
Der Amtmann blickte stier in Tarnows Gesicht. Er geriet in eine unsinnige Wut und stieß Tarnow mit der geballten Faust ins Auge.
Diese Mißhandlung brachte eine Wandlung in das Innere Tarnows.
VII.
Auf einmal erhielt er diesen Stoß, der so heftig war, daß er mit dem Kopf gegen den Ofen zurückstieß. Er fühlte plötzlich ein Kribbeln in der Nase. Dieses stieg ihm dann nach dem Kopfe, und es war ihm zu Mute, als wenn das Gehirn gleich einem Uhrwerk sich ihm herumdrehe. Dann lief es ihm ganz kalt durch das Genick in die Schultern und er meinte, es falle ihm durch die Zimmerdecke geschmolzener Schnee auf den Rücken. Darauf versetzte es ihm einen heftigen Ruck in der Brust und er hatte eine heftige äußere und innere Hitze. Die Brust wurde ihm aufgetrieben, und er mußte sich Rock und Weste aufknöpfen, um sich Luft zu verschaffen. Er bemerkte nicht mehr, daß die Schaffnerin bleich und aufgeregt hereinkam, um den Amtmann zu beruhigen; er hörte nicht, daß sie ihm leidenschaftlich zuredete und ihm seine Hitze verwies, und daß sie dann die beiden Männer zum Abendessen bat. Etwas später fand er sich am Tisch sitzend, ohne daß er wußte, wie er herübergekommen.
Der