Gesammelte Erzählungen von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann
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So geschah es. Jeden Abend um die zehnte Stunde flammte von Goldrein und von Morter aus ein brennendes Scheit übers Tal: wie zwei irdische Sterne, die einander grüßen. Aber schon am vierten Tag fühlte sich Franz sterbensmatt, und bevor er im Fieber die Besinnung verlor, zwang er der Mutter, deren Herz schon erstorben und hoffnungslos war, das Versprechen ab, an seiner Statt das Flammenzeichen zu geben. Die Greisin übte diese Pflicht treu, und nur der Untergang einer Welt vermochte ihr Gewissen zu betäuben, denn was lag jetzt noch an Zuchtlosigkeit und Entehrung. Aber als der Einzige und Letzte des Stammes langsam zu genesen anfing, fand sie sich belohnt, und sie bekehrte sich zu der Meinung, daß Gott diesen Bund begünstigte, denn es gab nur wenige, die, von der Pest einmal erfaßt, wieder ins Dasein treten durften. Am neunten Tag war er imstande, das Bett zu verlassen; zwei Tage später versuchte er, nach Goldrein zu wandern, doch am Fluß überfiel ihn die wiederkehrende Schwäche des Kränklings, und er mußte von seinem Vorhaben abstehen. Nachdem er den ersten Schein des nächtlichen Fackelbrandes vom Ladurnerhof gewahrt, indes die Mutter willig über seinem Haupt die Lohe hinausreckte, fiel er in einen gesundenden Schlaf. Und wieder zwei Tage später machte er sich kraftvoller auf den Weg, und er wählte den Abend hiezu, weil er sich bei hellem Licht der Beachtung der feindseligen Sippe nicht aussetzen wollte. Er wußte nicht, daß es keine Feinde mehr dort drüben gab und daß der Gau entvölkert war.
Die Dunkelheit war längst eingebrochen, als er über die Brücke ging, und er entnahm dem Aussehn des Sternenhimmels die Stunde. Noch sah er die Fackel nicht, so daß er wähnte, die nahen Häuser des Dorfs entzögen sie seinem Auge. Aber plötzlich flammte sie auf; die Straße noch, der Platz, und nun das Haus. Er pochte; er rief, erst leise, dann laut. Da ihm keine Stimme antwortete, auch kein Schritt hörbar wurde, öffnete er ungeduldig die Türe und eilte ermattend durch den finstern Gang, der ihn zu einer niedrig gewölbten Küche führte. An der linken Seite befand sich ein vergittertes Fenster; durch dieses Fenster wurde die Fackel hinausgehalten, und ihr Schein erhellte düster und mit beweglichen Schatten rückstrahlend den Raum. Aber es war nicht Romild, in deren Händen das Holz brannte, sondern es war die Gorilla-Äffin. Das Tier kauerte am Fenster, zähnefletschend und mit den Lippen in gräßlicher Possierlichkeit schmatzend. Die Gebärde sinnloser Nachahmung, die sich im Hinausstrecken des Armes mit dem brennenden Scheit kundgab, war noch schrecklicher als der Anblick des entseelten Mädchenkörpers, der knapp vor den Beinen des Gorilla über die Herdsteine hingebreitet lag, die Gewänder halb vom Leib gerissen, die schneeige Haut blutbesudelt, der Hals wie gebrochen zur Seite geneigt, die toten Augen weit geöffnet und von der Kohlenglut unterm Rost mit täuschendem Leben bestrahlt. Franz Tappeiner stürzte nieder wie einer, dem der Schädel gespalten wird. Der Affe schleuderte die Fackel weg, packte den Wehrlosen und zerbrach ihm mit einer spielenden Gleichgiltigkeit das Genick. Dann begann er abermals, stumpfsinnig wie die Nacht, die Bewegungen der schönen Romild nachzuahmen, die er überfallen haben mochte, während sie, im Fieber vielleicht, dem Geliebten das sehnsüchtig erwartete Zeichen gab. Es war aber in seinen großen Urwaldaugen die instinktvolle Melancholie der Kreatur, die von weiter Ferne ahnt, was Verhängnis und Menschenschmerz bedeuten, jedoch in ihren Handlungen nur das willenlose Werkzeug eines unerforschlichen Schicksals bleibt.
Die Pestplage soll damit ihr Ende erreicht haben.
Sicher ist, daß die Äffin, als kurz hernach Regengüsse eintraten, während welcher sie, von Bauern und Hirten verfolgt, durchs Martelltal irrte, bei einem Ausbruch des Stausees am Zufallferner von den eisigen Fluten erfaßt wurde und elend ersoff.
Der Stationschef
»Den Affen lob ich mir, das ist ein Affe nach meinem Herzen, so einen Affen möcht ich haben,« sagte Cajetan, indem er sich die Hände rieb, »der macht einen doch ordentlich gruseln, ist nicht so harmloser Philister wie gewisse Quäcolas.«
»Die Gorillas gelten ja für so gefährliche Tiere, daß man die Männchen gar nicht in der Gefangenschaft halten kann,« sagte Hadwiger. »Ich habe ein einziges Mal ein gefangnes Männchen gesehen; es war dermaßen wild, daß mich eine Gänsehaut überlief, als ich in seine infernalische Fratze blickte.«
»Das Geheimnisvollste auf der Welt ist für mich ein Tier«, äußerte sich Borsati. »Wenn mich ein Hund anschaut, ist mir, als ob sämtliche Philosophen bloß Schwätzer gewesen wären. Beobachtet doch das Pferd, das mit einer unergründlich tiefen Geduld seinen Karren zieht; oder die erhabene Gleichgiltigkeit, mit der eine Katze an euch vorüberschleicht; oder die Kuh, wie furchtlos verwundert euch das braune Auge mißt! Wart ihr einmal Zeuge, wie ein Kalb zur Schlachtbank gezerrt wurde? Wenn ich für das Wort Verzweiflung ein Bild geben sollte, ich könnte kein anderes wählen als dieses Schauspiel. Während meiner Studienjahre befand sich auf der psychiatrischen Klinik ein Knabe namens Martin Egger, den ein wahrhaft indisches Gefühl für Tiere in den Wahnsinn getrieben hatte. Dem Willen seines Vaters gehorsam, hatte er die Metzgerei erlernen müssen. So lange er das Fleisch nur auszutragen hatte, ging es leidlich; er hatte ein angenehmes Betragen, ein frisches, rotbackiges Gesicht, freundliche blaue Augen, und alle Kunden hatten ihn gern. Als er zum erstenmal schlachten sollte, vermochte er den Hieb nicht zu führen und brach in Tränen aus. Er wurde gezüchtigt, entlief von der Lehrstelle und beschwor den Vater, daß er ihn ein anderes Handwerk treiben lasse; seinen Lieblingswunsch, studieren zu dürfen, wagte er gar nicht zu verraten. Aber er mußte zurück, mit Schimpf und Spott nötigte man ihn ins Schlachthaus, und er wurde gezwungen, ein Kälbchen zu schlagen. Sie führten ihm den Arm und er schlug zu, ungeachtet ihn das Tier um Erbarmen flehte, denn er war überzeugt, daß eine Seele in der Kreatur wohne, und das brechende Auge bezichtigte ihn des Mordes. Da man ihn von seiner Torheit heilen wollte, ward ihm keine Ruhe vergönnt und Tag für Tag mußte er nun ausführen, was so zerstörend auf sein Gemüt wirkte. Die ganze Erde wurde ihm zur Blutbank, er konnte nicht mehr essen und nicht mehr schlafen, seine Wangen wurden bleich, sein rascher Knabenschritt hinfällig, er spürte Ekel, wenn er sich selbst berührte, dünkte sich überall verfolgt von dem vorwurfsvollen Glanz brechender Tieraugen, und in seiner Bedrängnis wußte er keine andere Hilfe mehr als den Branntwein. Unter elendem Gesindel saß er nächtelang in den Schnapsbutiken der Vorstadt, bald kindisch schluchzend, bald trübsinnig vor sich hinstarrend. Sein Geist blieb für immer umnachtet.«
»Daraus könnte man eine Legende machen«, sagte Georg Vinzenz, »und ich würde sie ›der junge Hirt‹ nennen. Wie rein und wie edel zeigt sich hier die Menschennatur! Vielleicht hätte eine Belehrung, ein befreiendes Wort genügt, um den Knaben aus seiner Verstrickung zu retten. Wie gering wir auch sind, wir können immer noch für Geringere zur Vorsehung werden.«
Borsati schüttelte den Kopf. »Das glaube ich so ohne weiteres nicht«, erwiderte er. »Wenn der vorgezeichnete Weg uns nicht in die Existenz des Nebenmenschen führt und uns selbst zu Schicksalsbeteiligten macht, können wir keinen Einfluß haben. Worte sind Luft.«
»Mir