Martin Luther. Martin Luther
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Wir kommen damit in die Nähe der Brautmystik, wie sie in Anlehnung an das biblische Hohelied Salomonis in der frühen Kirche seit Origenes, Gregor von Nyssa, im Mittelalter seit Bernhard von Clairvaux oder Mechthild von Magdeburg und vielen anderen erlebt worden ist.18 Und selbst in einer der reformatorischen Hauptschriften, Von der Freiheit eines Christenmenschen aus dem Jahr 1520, lässt Luther dieses Motiv anklingen, wenn er dort von einem „fröhlichen Wechsel“ (Tauschhandel) spricht, bei dem der Mensch sein Sündersein dem Christus übergibt und von ihm in der Gestalt des Brautrings das Unterpfand des neuen Seins empfängt: In der Tat ein fröhlicher Austausch, ein lebensentscheidender Gewinn. Er ist nicht im Entferntesten zu vergleichen mit dem zeitgenössischen Gegenbild (Ablasshandel) von dem durch Geldgier motivierten äußeren Gewinn, dessen sich die römische Kirche seiner Zeit schuldig gemacht hat. Bei Luther kann man stets mit einer anschaulichen, oft zupackenden Redeweise rechnen. Und wenn in der erwähnten Freiheitsschrift von dem Angebot des Bräutigams Christus die Rede ist, von dem Bräutigam, der das arme, verachtete, „böse Hürlein“ zur Ehe nimmt, dann bedient sich Luther wiederum des Sprachguts und der Symbolik der Mystik. Gewiss geschieht dies nicht mehr in der erotisch gesteigerten Poesie einer Mechthild von Magdeburg19, die Martin Luther für seine theologischen Kernaussagen heranzieht, um hervorzuheben, in welcher Weise er die Lebens- und Liebesgemeinschaft mit Christus verständlich machen will. Aber außer Frage steht, dass die von ihm vorgetragene Botschaft von der auf Befreiung von einem frommen Leistungsdenken ausgerichteten reformatorischen Erkenntnis maßgebliche Anstöße durch die mittelalterliche Mystik empfangen hat. Mit an vorderster Stelle ist nochmals der Zisterzienser-Mönch und Ausleger des Hohenliedes, Bernhard von Clairvaux, zu nennen. Man wird jedoch kaum fehl gehen mit der Annahme, dass es die deutschsprachigen Mystikerschriften in besonderer Weise gewesen sind, die Luther schließlich in seiner große Unternehmung der Verdeutschung der Schrift bestärkt haben.
Verweisen lässt sich schließlich auf Luthers Mystik-Definition, die schon anklang, wenn er den Satz prägte: „Die mystische Theologie ist eine auf Erfahrung, nicht auf Lehre bezogene Weisheit [sapientia experimentalis et non doctrinalis].“
Insofern ist es mit Blick auf die weitere Entwicklung gerechtfertigt zu sagen, dass die Mystik im Protestantismus bei und mit Luther ihren Anfang nimmt.20 Darüber ist freilich nicht zu übersehen, dass auch der antimystische Affekt in einer kritischen Phase des reformatorischen Prozesses ebenfalls bei Luther beginnt. Das trifft zu, weil einige seiner frühen Anhänger – an ihrer Spitze der aus dem mainfränkischen Karlstadt stammenden Andreas Bodenstein (genannt Dr. Karlstadt), Thomas Müntzer sowie Sebastian Franck – Missbilligung durch die Wittenberger erfuhren. Martin Luther diffamierte sie als „himmlische Propheten“. Damit setzte ein für den Fortgang des Protestantismus durch Luther mitinitiierter Verdrängungsprozess ein. Er hat sich ebenfalls über Jahrhunderte erhalten; er wurde im Zeichen der Aufklärung verstärkt und ist bis heute in Theologie und Kirche spürbar. Doch festzuhalten ist, was ins Zentrum seines geistlichen Lebens als erklärter Schrifttheologe gehört und worin er selbst – wenngleich nur kurze Zeit – mit den als Schwarmgeister“ seiner Zeit Gebrandmarkten einig ist: „Christus, der Meister, lehret im Herzen, doch durch das äußerliche Wort seiner Prediger, die es in die Ohren treiben, aber Christus treibts in das Herz.“21
1Klaus Ebert (Hrsg.), Protestantische Mystik. Eine Textsammlung, Weinheim 1996. – Gerhard Wehr, Mystik im Protestantismus. Von Luther bis zur Gegenwart, München 2000.
2Adolf von Harnack, Lehrbuch der Dogmengeschichte (1886 ff.), Bd. III, Tübingen 1910, 434.
3AaO., 436.
4Gerhard Wehr, „Nirgends, Geliebte, wird Welt sein als innen“. Mystik im 20. Jahrhundert, Gütersloh 2011, 123 – 164.
5Paul Althaus, Die Christliche Wahrheit, Bd. I, Gütersloh 1947, 162.
6AaO., 169.
7Gerhard Wehr, Christliche Mystiker. Von Paulus und Johannes bis Simone Weil und Dag Hammarskjöld, Regensburg 2008.
8Karl Rahner, Frömmigkeit heute und morgen, in: ders., Schriften zur Theologie, Bd. 7, Einsiedeln 1966, 22.
9Vgl. die entscheidenden Daten seines Lebens und der Reformationgeschichte auf der Zeittafel.
10Hans Norbert Janowski (Hrsg.), Geert Grote, Thomas von Kempen und die Devotio moderna, Olten/Freiburg 1978.
11Gerrit Grote, Die Nachfolge Christi oder das Buch vom inneren Trost, Olten 1947, 17.
12Einschränkend wird anzumerken sein, dass es die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes war, auf die Luther im paulinischen Römerbrief die entscheidende Antwort erhielt.
13Der Franckforter – Theologia Deutsch. Kritische Textausgabe von Wolfgang von Hinten, München 1982. – Gerhard Wehr (Hrsg.), Theologia Deutsch. Eine Grundschrift der deutschen Mystik, Andechs 1989.
14Der Frankfurter, Eine Deutsche Theologie. Übertragen und eingeleitet von Joseph Bernhart, München 1946, 120.
15Martin Brecht, Martin Luther. Sein Weg zur Reformation 1483 – 1521, Stuttgart 1981; 1990. – Ivar Asheim (Hrsg.), Kirche, Mystik, Heiligung und das Natürliche bei Luther. Vorträge des Dritten Internationalen Kongresses für Lutherforschung, Göttingen 1967. – Berndt Hamm/Volker Leppin (Hrsg.), Gottes Nähe unmittelbar erfahren. Mystik im Mittelalter und bei Martin Luther, Tübingen 2007.
16Josef Sudbrack, Trunken vom Hell-Lichten Dunkel des Absoluten. Dionysios der Areopagite und die Poesie der Gotteserfahrung, Freiburg 2001. – Beate Regina Suchla, Dionysius Areopagita. Leben, Werk, Wirkung, Freiburg 2009.
17Bonaventura, Itinerarium mentis in Deum – Pilgerbuch der Seele zu Gott, München 1961.