Die politischen Ideen. Ulrich Thiele
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Indem Hobbes andeutet, dass zwischen dem Willen der Beauftragenden und dem des Beauftragten selbst dann ein Symmetrieverhältnis besteht, wenn letzterer gesetzlichen Zwang ausübt, verwendet er eine Sprache, die eigentlich nicht mehr dem Modell der Magna Carta Libertatum gehorcht, sondern zu den Gesellschaftsvertragslehren passt. Denn die Befugnisse des Herrschaftsinhabers werden aus dem Willen derjenigen abgeleitet, denen ursprünglich alle Souveränität eigen ist: den sich vertraglich als Staatsvolk konstituierenden Individuen. Allerdings entspricht der Inhalt der Beauftragung noch ganz der Tradition des Herrschaftsvertrages: Unbedingten Rechtsgehorsam sind die Untertanen nämlich jedem von ihnen eingesetzten Herrscher schuldig, der sie effektiv vor privater Gewalt schützen kann: Da der Zweck dieser Einsetzung Frieden und Verteidigung aller ist, und jeder, der ein Recht auf den Zweck hat, auch ein Recht auf die Mittel dazu hat, so gehört es zu dem Recht jedes souveränen Menschen oder jeder souveränen Versammlung, Richter über die Mittel zum Frieden und zur Verteidigung sowie über das zu sein, was diese hindert oder stört (II, 18, 160).
Die Entscheidung darüber, in welchen Formen, d. h. in welchen Grenzen die Souveränität ausgeübt werden soll, scheint mit dem Vertragsschluss zur ausschließlichen Angelegenheit des Herrschers geworden zu sein. Doch das ist nicht die ganze Wahrheit!
Hobbes’ Vertragslehre ist durch diese spezifische Ambivalenz zwischen einer gesellschaftsvertraglichen Sprache und einem herrschaftsvertraglichen Inhalt als ein Übergangsphänomen gekennzeichnet: Auf der einen Seite erscheint der Staat als Mittel der Selbstnormierung der Bürger und auf der anderen wird die Souveränität der Gesellschaft auf eine einzige Handlung beschränkt: den Vertragsabschluss. Damit steht der Leviathan an der Schwelle, die den vormodernen Souveränitätsübertragungvertrag vom modernen Souveränitätsausübungsvertrag trennt.
Bereits bei John Locke (1632–1704) ist diese Schwelle zu einer demokratischen Variante der Vertragstheorie überschritten. In seiner Perspektive nämlich ist der Gesellschaftsvertrag zugleich ein Akt, der den Souverän bestimmt und damit mindestens die Staatsform festlegt, ohne dass jedoch eine endgültige Übertragung der Souveränität stattfände. Der Lockesche Typ der Gesellschaftsvertragstheorie lässt sich am besten mit dem Attribut volkssouveränitär kennzeichnen.
Demokratisch ist die Vertragskonzeption des Second Treatise of Government aus zwei Gründen: Erstens enthält sie normative Aussagen über Staatsverfassungen, die mit den ursprünglichen Rechten der Individuen auf Leben, Freiheit und Eigentum unvereinbar sind. So sei insbesondere die absolute Monarchie inconsistent with civil society. Insofern nämlich ein absoluter Monarch Richter in eigener Sache bliebe, würde er im Unterschied zu seinen Untertanen den Übertritt in den bürgerlichen Zustand verweigern: [T]hose persons are still in the state of nature (Second Treatise, VII, 90).
Zweitens ist Lockes Gesellschaftsvertragstheorie als volkssouveränitär zu bezeichnen, weil sie die Staatsgründung aus einen demokratischen Akt der Gesetzgebung hervorgehen lässt, der seinerseits zuallererst eine gesetzgebende Gewalt zu institutionalisieren hat: Das erste und grundlegende positive Gesetz aller Staaten ist daher die Begründung der legislativen Gewalt [the establishing of the legislative power] – so wie das erste und grundlegende natürliche Gesetz, welches selbst über der legislativen Gewalt gelten muss, die Erhaltung der Gesellschaft und […] jeder einzelnen Person in ihr ist. Diese legislative Gewalt ist nicht nur die höchste Gewalt des Staates, sondern sie liegt auch geheiligt in jenen Händen, in die die Gemeinschaft sie einmal gelegt hat (XI, 134).
Nach Locke ist der Staat kein Zweck an sich selber, sondern wesentlich Mittel. Es dient dem überpositiven Naturrecht der Menschen, welches die Selbsterhaltung der Gesellschaft sowie aller ihrer Mitglieder fordert. Der schlechterdings für jede Staatsgründung elementare Akt sei aber nicht etwa wie bei Hobbes die Errichtung einer monopolisierten Zwangsgewalt, sondern die Einrichtung einer gesetzgebenden Gewalt. Die Bestimmung des Legislativorgans sei eine derart folgenschwere Entscheidung, dass sie unbedingt durch ein positives Verfassungsgesetz festgeschrieben werden müsse.
Doch der Gesellschaftsvertrag ermächtigt nicht nur eine Personengruppe zur Gesetzgebung, sondern er legt dem Gesetzgeber auch bestimmte Verpflichtungen auf. Lockes Second Treatise of Government enthält normative Aussagen, die dem Souverän Schranken auferlegen, indem sie die rechtstaatlichliberale Komponente der Volkssouveränitätslehre betonen:
So sei es der parlamentarischen Legislative erstens untersagt, willkürliche Macht über Leben und Schicksal des Volkes auszuüben. Insofern nämlich die Legislativkörperschaft als vermittelndes Organ der rechtlichen Selbstorganisation der Gesellschaft anzusehen sei, könne sie niemals das Recht haben, die Untertanen zu vernichten, zu versklaven oder mit Vorbedacht auszusaugen (XI, 135). Denn Gesetze, die die Untertanen wie willenlose Sachen behandelten, könnten unmöglich aus dem Willen der Bürger hervorgegangen sein.
Zweitens kann sich die Legislative oder höchste Gewalt nicht die Macht anmaßen, durch willkürliche Maßnahmeverordnungen [extemporary arbitrary decrees] zu regieren, sondern ist gehalten, nach öffentlich verkündeten stehenden Gesetzen und durch anerkannte und autorisierte Richter für Gerechtigkeit zu sorgen und Recht zu sprechen (XI, 136).
Die Hierarchie der verschiedenen Normsetzungskompetenzen an deren Spitze die Gesetzgebung stehen soll, verlangt strikte Gewaltenteilung und zwar sowohl in organisatorischer als auch in normlogischer Hinsicht. Die Gesetzgebung darf sich nur eines bestimmten Typs von Rechtsnormen bedienen, die nicht nur durch einen formellen Gesetzesbegriff, sondern auch durch einen materiellen bestimmt sind: Gesetze haben positive, öffentlich verkündete, dauerhaft geltende Rechtsnormen zu sein, die dem Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz genügen, also auf jede Diskriminierung von Minderheiten verzichten.
Außerdem wird dem Souverän untersagt, sich seiner Gesetzgebungskompetenz ganz oder teilweise zu entäußern. Indem das Volk vermöge des Gesellschaftsvertrages eine moralische Person mit der Legislationskompetenz ausstattet, überträgt sie ihr demnach sowohl ein Recht als auch eine Pflicht, die von Seiten des Verpflichteten nicht aufgekündigt werden kann: [Die] Legislative [kann] die Gewalt, Gesetze zu geben, nicht in andere Hände legen. Da diese Gewalt ihnen vom Volk übertragen wurde, können sie diejenigen, die sie in Händen haben, nicht an andere weitergeben. Einzig das Volk kann die Staatsform [the form of the commonwealth] bestimmen (XI, 140).
Als oberste vom Volk verliehene Gewalt kann demnach Souveränität weder geteilt werden noch auf andere Personen übertragen werden. Denn die Legislation ist kein ursprüngliches Recht jenes Organs, sondern stammt aus einer allem positiven öffentlichen Recht normativ vorausliegenden Rechtsphäre, dem Naturrecht. Das Volk, dem naturrechtlich alle Gewalt zukommt, beauftragt nämlich zuallererst eine besondere Personengruppe mit der stellvertretenden Ausübung seines Gesetzgebungsrechtes. Kein Parlament kann demnach von sich behaupten, Eigentümer der Souveränität zu sein.
Im Original wird noch deutlicher, dass die Legislative eine vom Volk entliehene Kompetenz besitzt, die ursprünglich diesem eigen ist und jederzeit dem jetzigen Stellvertreter genommen und auf eine andere Körperschaft übertragen werden könnte: The Legislative cannot transfer the power of making laws to any other hand; for it being but a delegated power from the people, they who have it cannot pass it over to others. The people alone can appoint the form of the commonwealth, which is by constituting the legislative, and appointing in whose hand that shall be (XI, 141).
Da aber auch die Gesetzgebung