Kult-Krimis: 26 Romane & Detektivgeschichten. Friedrich Glauser

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Kult-Krimis: 26 Romane & Detektivgeschichten - Friedrich  Glauser

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hatte er decken wollen? Pieterlen? Das Naheliegendste. Er war mit Pieterlen jeden Sonntag spazieren gegangen, die beiden hatten miteinander b'richtet: Gilgen hatte von seinen Schulden erzählt und Pieterlen von seiner Untat… Es war schwer, nach den Ausführungen des Dr. Laduner den Kindsmord als eine Untat zu betrachten… Immerhin… Pieterlen war zu einer kritischen Zeit verschwunden, sein Entweichen fiel mit dem Tod des Direktors zusammen, obwohl man den Beweis hatte, daß bei dem Tod des Direktors auf alle Fälle der Sandsack keine Rolle gespielt hatte… Die Präparate, die man angefertigt hatte mit Hilfe des Assistenten Neuville, bewiesen diese Auffassung. Aber irgend jemand hatte den Direktor die Eisenleiter hinuntergestoßen.

      Jutzeler? Es sprach manches gegen ihn. Seine Ruhe, seine Abgeklärtheit; aber seine Stellung stand auf dem Spiel. Mit der Schwarzen Liste war nicht zu spaßen. Auch in Spitälern nicht. Sie konnten dem tüchtigsten Manne den Hals brechen… Man war noch nicht so weit, daß berufliche Tüchtigkeit wichtiger war als politische Gesinnung. Es würde lange gehen, bis man so weit war…

      Aber Jutzeler hatte nicht telephonieren können. Wer in der Anstalt hatte telephoniert und weswegen?… Denn daß der Direktor auf das Telephon hin sich in jener Ecke eingefunden hatte, in jener Ecke, in der der Schrei um halb zwei erklungen war, das deckte sich dermaßen mit allen andern Untersuchungsergebnissen, daß es Zeitverschwendung gewesen wäre, nach einer andern Lösung zu suchen…

      Aber wer hatte geschrieen? Der Direktor? Oder sein Angreifer?… Angreifer!… Billige Benennung. Wer konnte sagen, daß es sich um einen Angreifer gehandelt hatte?

      Pieterlen hatte an der ›Sichlete‹ Handharpfe gespielt. Pieterlen war mit seiner Handharpfe verschwunden. Pieterlen hatte Grund, den Direktor abzupassen, dachte er doch, seine Entlassung werde durch die Umtriebe des Direktors vereitelt… Dagegen sprach wieder, daß Dr. Laduner in der Heizung niedergeschlagen worden war… Daß Dr. Laduner gewußt hatte, daß der Inhalt der Mappe im Ofen versteckt worden war…

      Und das Portefeuille, das man hinter den Büchern in Dr. Laduners Wohnung gefunden hatte, kurz nach Gilgens Besuch? Die Handharpfe!… Studer dachte an die Melodien, die durch die Decke seines Zimmers gesickert waren; dachte an Matto, der aus dem Fenster über seinem Zimmer vorschnellte und zurück…

      Und während der Pfleger Knuchel, Dirigent der Randlinger Blasmusik (wenn sie spielte, durfte nicht getanzt werden, wohlgemerkt!), vom Gottesreich und von der Erlösung sprach, denn er hielt Studers Schweigen für eine Zustimmung und hoffte, es werde ihm eine Bekehrung gelingen, dachte Studer so intensiv nach, daß seine Stirnhaut sich runzelte – auch dieses wertete der Pfleger Knuchel als Zeichen einer nachdenklichen Besinnlichkeit…

      Um so erstaunter war er, als Studer plötzlich mit kurzem Gruß sich empfahl und eilig davontrabte. Sein Rücken war rund…

      Der Gang über Dr. Laduners Wohnung roch nur nach Staub. Der Geruch von Apotheke und Bodenwichse fehlte vollständig. Links eine Reihe Zimmer. Dienstbotenzimmer… Einige Türen waren verschlossen, die letzte nur angelehnt…

      Als Studer sie aufstieß, war das erste, was er sah, eine Handharpfe. Dann: auf alten Koffern und Kisten lagen fettige Papiere, Brotresten… jemand mußte ziemlich lange in dem Raum gehaust haben… Wann hatte er ihn verlassen? Studer betastete die Brotresten… Sie waren nicht sehr hart… Gestern?

      Und ihm fiel wieder der Einbruchsversuch in der Verwaltung ein, nachdem der Pfleger Gilgen Selbstmord begangen hatte, weil er Angst gehabt hatte, nicht schweigen zu können…

      Aber außer dem Pfleger Gilgen war doch noch jemand anders zum Portier gekommen, um etwas zu kaufen… Nicht Stumpen, nicht Rauchzeug… Schokolade!

      Die Irma Wasem… Auch sie war in den kritischen fünf Minuten im Mittelbau gewesen… Man mußte die Irma Wasem fragen, ob sie etwas gesehen hatte…

      Aber als der Wachtmeister in Laduners Arbeitszimmer die Nummer des Frauen-B eingestellt hatte und sich nach der Pflegerin Irma Wasem erkundigte, hieß es, sie habe heute ihren freien Sonntag und werde vor Abend kaum zurückkommen… Und als die Stimme sich weiter erkundigte, wer denn am Apparat sei, hängte Studer kurzerhand ein… Sie hatten ein schönes Leben, die Jungfern, ständig frei…

      Der Nachmittag wurde lang… Dr. Laduner war aufgestanden; mit verbundenem Kopf saß er auf dem Ruhebett im Arbeitszimmer, trank literweise schwarzen Kaffee und begründete diese Beschäftigung mit seinem Kopfweh. Er trug eine dicke Bandage um die Stirn und den Hinterkopf.

      Aber auf alle Fragen Studers, wer ihn niedergeschlagen habe, warum er in die Heizung gegangen sei – schwieg er. Es war kein angenehmes Schweigen, sogar sein Maskenlächeln hatte der Arzt verloren. Er sah müde aus und verzagt.

      Wie gesagt, der Nachmittag schlich sich hin, ein richtiger Sonntagnachmittag mit Handharpfenspiel, das diesmal unzweifelhaft von den Abteilungen herübertönte – mit Gähnen, Unlust…

      Es war Zeit, daß der Fall beendigt wurde…

      Gegen halb sieben empfahl sich Studer und bat Frau Laduner, sie möge nicht mit dem Nachtessen auf ihn warten. Er könne wirklich nicht genau sagen, wann er zurückkehren werde. Vor der Loge des Portiers hielt Studer an, trat ein und fragte nach Gilgens Haus… Die Lage wurde ihm beschrieben… Es lag etwas außerhalb des Dorfes, ganz in der Nähe des Flusses, der etwa anderthalb Kilometer von Randlingen vorbeifloß.

      Und wieder die Allee mit den grünsauren Äpfeln. Die Abenddämmerung war grau… Es war wohl eine Art Instinkt, die den Wachtmeister zu Gilgens verschuldetem Hüüsli führte… Es lag am Ende einer Reihe gleichgebauter Einfamilienhäuser mit spitzzulaufenden Dächern. Alle schienen leerzustehen, nur aus dem Schornstein des einen quoll grauer Rauch in die abendliche Dämmerung. Studer sah sich die Namen an den Briefkasten an. Endlich:

      »Gilgen-Furrer, Pfleger.«

      Er strich ums Häuschen, prüfte die Klinken aller Türen… Verschlossen… Im Garten wuchsen Astern, die Sonnenwirbel waren noch klein. Sauber war der Garten, kein Unkraut… Studer beschloß, zu warten. Er hätte in die Anstalt zurückgehen können, um sich noch einmal nach Irma Wasem zu erkundigen, er unterließ es. Ge-wiß, wie Dr. Laduner sagte, das Hüüsli schien unbewohnt… Schien!… An was spürte man, daß doch jemand darinnen hauste? An einem Vorhang, der sich kaum bewegte?…

      Der Wachtmeister verließ den Garten, ging ein Stück die Straße entlang, die an der Siedlung vorbeilief. Da war ein Busch, groß genug, um sich dahinter zu verstecken. Noch ein Blick ringsum, Studer trat hinter den Busch, setzte sich… Es konnte ein langes Warten werden…

      Die Abenddämmerung verging, die Nacht stieg auf. Am Himmel, der flaschengrün war wie Mattos Fingernägel, trat zuerst ein Stern hervor, dessen Schein blau war wie die Lampe im Wachsaal B. Und dann kam die Dunkelheit. Sie war schwarz. Kein Mond leuchtete.

      Schritte… Harte Schritte, wie von Stöckelschuhen. Studer lugte vorsichtig hinter dem Busch hervor. Eine Frau kam das Sträßlein entlang, sie wandte sich oft um, als ob sie Angst habe, verfolgt zu werden. Und vor Gilgens Haus blieb sie stehen, sah nach rechts, sah nach links… Dann betrat sie den Garten. Sie klopfte an der Haustüre, wartete. Langsam öffnete sich die Türe. In der sehr stillen Nacht hörte Studer deutlich die Worte der Frau:

      »Ich glaub, du kannst ein wenig mit mir spazierengehen. Es redet sich besser draußen. Und ich hab' dir etwas zum Essen mitgebracht.«

      Eine männliche Stimme antwortete: »Wie d'meinscht!«

      Das Paar trat aus dem Garten, ging die Straße entlang in der Richtung zum Fluß. Studer ließ es vorausgehen, dann folgte er vorsichtig. Die Vorsicht

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