PLÖTZLICH ZAUBERER. Scott Meyer

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PLÖTZLICH ZAUBERER - Scott  Meyer Magic 2.0

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Als er seine genauen Koordinaten in der Datei fand, entschied er, sich probehalber zu bewegen und zu sehen, ob sie sich ebenfalls änderten. Langsam ging er rückwärts, während er auf den Monitor starrte und dabei immer mehr schielte. Die Zahlen schienen sich tatsächlich zu ändern, während er sich bewegte, doch statt die absolute Position einer Person über den Weltraum festzumachen, spürte das System sie in Relation zur Erde auf. Unter den Koordinaten stand noch eine Zahl, von der er wusste, dass sie die Höhe über dem Meeresspiegel darstellte. Martin sprang hoch, obwohl es schwer war, dabei die Zahl zu entziffern. Er konnte sehen, dass diese sich änderte, während er in der Luft war. Als er landete, stand wieder die Ausgangszahl dort.

      Martin wusste, was als Nächstes zu tun war. Wenn er es nicht versuchte, würde er sich den Rest seines Lebens Gedanken darüber machen.

      Nein, das ist nicht wahr, dachte er. Ich würde mir Gedanken machen, bis ich letzten Endes zusammenbreche und es dann trotzdem versuchen. Also kann ich es auch genau so gut jetzt gleich ausprobieren.

      Ohne sich hinzusetzen, beugte er sich über den Schreibtisch, schluckte schwer und veränderte dann den Höhenmeter um dreißig Zentimeter. Anschließend atmete er langsam aus.

      »Jetzt schauen wir doch mal, ob ich fliegen kann«, sagte er laut, als wäre es für die Nachwelt gedacht. In diesem Moment war das leere Apartment die Nachwelt. Er drückte auf die Enter-Taste.

      Sofort befand er sich dreißig Zentimeter über dem Boden, doch unmittelbar danach fiel er wieder nach unten. Er kam mit seinem vollen Gewicht auf dem Schreibtisch auf, verstauchte sich beide Handgelenke und verdrehte sich seinen rechten Knöchel. Fast hätte er es geschafft, aufrecht stehen zu bleiben, aber schließlich fiel er doch nach hinten, direkt in seinen Schreibtischstuhl hinein. Der Aufprall war so hart, dass sich der Stuhl unter der Belastung durchbog und die gesamte Luft aus seiner Lunge wich. Als er so dasaß und versuchte, wieder Luft zu holen, konnte er die Nachbarin unter ihm hören. Mit einem Besen stieß sie gegen die Decke und brüllte, dass er endlich ruhig sein sollte.

      Okay, dachte Martin. Ich kann zwar nicht fliegen, aber ich kann fallen, wann immer ich es will.

      Er richtete seine Aufmerksamkeit nun wieder auf den Längen- und Breitengrad, brachte sein Smartphone zur anderen Ecke des Schlafzimmers und notierte sich dort die GPS-Daten. Dann kehrte er zum Computer zurück, setzte sich hin und gab die Koordinaten ein.

      Er atmete tief durch, drückte auf Enter und befand sich plötzlich am anderen Ende des Schlafzimmers. Seine Füße standen zwar auf festem Boden, aber der Rest von ihm befand sich noch in einer sitzenden Position, obwohl er keinen Stuhl mehr unter sich hatte. Mit seinem gesamten Gewicht landete er deshalb genau auf seinem Steißbein. Er brach es sich zwar nicht, aber es fühlte sich so an, als hätte es genau das vorgehabt. Einen Moment lang nahm er sich Zeit. Dann stand er auf und ging zum Computer zurück. Die Nachbarin unter ihm stieß nun fester gegen die Decke und brüllte noch lauter. Er stellte sich vor, wie sie versuchte, ihre Kaution zurückzubekommen, und behauptete, dass die unzähligen Besenstielabdrücke schon dort gewesen waren, als sie eingezogen war. Das brachte ihn zum Lächeln.

      Jetzt wusste er, dass er sich teleportieren konnte! Er wusste auch, dass er darüber nachdenken musste, wie er es tat, denn ansonsten würde er sich über kurz oder lang ernsthaft verletzen. Wieder schaute er auf die GPS-App. Er suchte sich eine Stelle aus, die anderthalb Kilometer entfernt war. Ein Ort, der gut beleuchtet sein würde, aber wo ihn gleichzeitig niemand sehen würde: ein Parkplatz an der Seite einer Boston Market Filiale. Er gab die Koordinaten ein, stand auf und winkelte dann die Beine etwas an, um etwaige Stöße dämpfen zu können. Für eine bessere Balance streckte er außerdem die Arme aus. Dann biss er die Zähne zusammen und drückte auf Enter.

      Martin stand tatsächlich auf dem Parkplatz des Boston Market. Er war froh, dass er seine Arbeitskleidung nicht ausgezogen hatte, als er nach Hause gekommen war und dass sein Portemonnaie immer noch in seiner Tasche steckte. Er wünschte nur, er hätte seine Schuhe angelassen und seine Schlüssel in der Tasche, aber man konnte eben nicht alles haben. Er lebte in Seattle, darum war er dankbar, dass nur der Bürgersteig, und nicht die Luft selbst nass war. Sein Computer stand immer noch zu Hause. Darum konnte er sich nicht einfach dorthin zurück teleportieren. Stattdessen ging er zu Fuß, während er ein Boston Market Hackbratensandwich aß und darüber nachdachte, was er als Nächstes tun würde. Mit der Datei und auch mit dem Ersatzwohnungsschlüssel, der bei der Nachbarin unter ihm war.

      Wer wäre besser geeignet?, dachte er. Sie ist schließlich immer zu Hause. Sie beobachtet stets ganz genau, was vor sich geht.

      Seine Handgelenke, sein Knöchel und sein Steißbein schmerzten, aber der Heimweg und die ruinierten guten Wollsocken waren es ihm vollkommen wert. Sowohl wegen der Zeit, die er zum Nachdenken hatte, als auch wegen des Gesichtsausdrucks seiner Nachbarin.

      »Warum sind Sie da oben die ganze Zeit so laut?«, fragte sie genervt.

      »Was meinen Sie? Ich war doch gar nicht zu Hause. Ich war im Boston Market. Sehen Sie?«, entgegnete er und hielt seine Sandwichverpackung und seinen nun leeren Trinkbecher hoch.

      »Warum tragen Sie dann keine Schuhe?«

      Er schaute auf seine Füße.

      »Ich mag es, leise zu gehen. Das wissen Sie doch.«

      »Woher weiß ich denn, dass Sie die Sachen nicht vorher schon gekauft und sie jetzt einfach nur hier herunter gebracht haben?«

      Martin kicherte. »Was macht denn mehr Sinn? Dass ich etwas Fast Food gegessen, meinen Müll aufbewahrt, absichtlich einen Haufen Lärm gemacht und mich dann aus meinem eigenen Apartment ausgesperrt habe, nur um hier runterzukommen und Sie zum Spaß anzulügen? Oder, dass ich einfach nur ohne Schuhe und Schlüssel losgelaufen bin, um beim Boston Market zu essen?«

      Darauf wusste sie keine Antwort, denn keine dieser Optionen machte wirklich Sinn. Martin kehrte als müder, aber glücklicher Mann in sein Apartment zurück.

      Er minimierte das Fenster der Datei nun und rief den App-Store für Android-Smartphones auf. Dort fand er eine Reihe von Emulatoren, mithilfe derer er die Datei auch auf seinem Handy aufrufen könnte. So musste er nicht mehr zwangsläufig zu Hause sitzen oder überhaupt irgendwohin gehen.

      Doch auf seiner geistigen To-do-Liste stand noch ein weiterer Punkt.

      Martin musste ziemlich lange suchen, bis er die Felder für Datum und Zeit fand. Er war nicht besonders überrascht, dass er diese Einträge in einer Form vorfand, die er verstehen konnte. Er vermutete einmal, das Programm hatte diese Einträge aus Zeitgründen genau so an die Menschen, die es erstellt hatten, weitergeleitet. Warum Generationen damit verbringen, neue Notationssysteme zu entwerfen, wenn man den Menschen das geben konnte, was sie bereits kannten? Etwas, das funktionierte und leicht zu verwalten war.

      Eine lange Zeit schaute er intensiv auf die Zeitangabe. Im Grunde war sie die genaueste Uhr der Welt. Nur die Zahlen schienen danebenzuliegen. Doch dann stellte er fest, dass es sich um die Greenwich Mean Time handelte.

      Er würde jetzt eine Zeitreise versuchen. Es nicht zu probieren, ging einfach nicht, auch wenn ihm diese Idee natürlich verständlicherweise Angst machte. Vorsichtig fügte er der Zeitangabe dreißig Sekunden hinzu, drückte auf Enter und … nichts passierte. Er überprüfte es noch einmal. Das Programm hatte seine Eingabe anscheinend nicht akzeptiert. Abermals versuchte er es, aber das Resultat war dasselbe.

      Martin stieß einen langen Atemzug aus. »Wahrscheinlich ist es auch besser so.«

      Eine Stimme aus der Ecke des Zimmers sagte plötzlich: »Versuch, in der Zeit zurückzureisen, und nicht vorwärts.«

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