Der Gott, der uns nicht passt. Tobias Wolff
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Das Erscheinen der 3. Auflage zeugt von einem anhaltenden Interesse an diesem Band. Zu diesem Anlass wurden erneut einzelne Beiträge ergänzt und aktualisiert.
Wir wünschen den Lesern dieses Buches auch weiterhin, dass ihnen die hier vorliegenden Beiträge den Zugang zum oftmals fremd empfundenen Wesen des Alten Testaments sowie dessen Lebens- und Erlebenswelt erleichtern.
Mathias Nell
(Herausgeberkreis FThG)
1 Andreas Michel, Gott und Gewalt gegen Kinder im Alten Testament (Forschungen zum Alten Testament), Tübingen 2003, 344f.
I. Teil: Einführung und Grundlagen
A Das Alte Testament als Herausforderung
Rudolf Fichtner
1 Das scandalum des Alten Testaments
Das Böse ist und bleibt das große scandalum, die Frage nach seinem Woher das eigentliche tormentum des Geistes … Zum Ärgernis vieler Leser schreibt das Alte Testament Gott Taten zu, die … in einem schreienden Gegensatz zu seiner oft gepriesenen Güte und Barmherzigkeit stehen.1
Ein Reeder-Millionär vom Schwarzen Meer namens Marcion (ca. 85–160), der um 140 mit einer enormen Geldspende im Gepäck der römischen Gemeinde beitrat, war der Erste, der eine radikale Trennung vollzog zwischen AT und NT (als er übrigens um 144 wegen seiner Lehren die Gemeinde verlassen musste, gab man ihm das Geld anstandslos zurück). Marcion verwarf auch viele Texte im NT als irrelevant. Letztlich blieben nur das Lukas-Evangelium und zehn Paulusbriefe als „rein“ stehen. Vor allem aber galt ihm der Gott des AT, der Weltschöpfer (Demiurg), als Urheber des Bösen, Anstifter der Kriege, unbeständig in seinen Entschlüssen und sich selbst widersprechend und längst nicht allwissend. So habe er z. B. erst fragen müssen, wo Adam sich denn befinde (Gen 3,9).2
Dieser unsachgemäßen Interpretation biblischer Texte begegnet man häufiger (s. u.). Die Kontroverse um das AT begann also bereits in der Alten Kirche. Spielte das AT noch im 1. Klemensbrief und in der Didache eine große Rolle, so wurde doch schon kaum 100 Jahre nach Jesu Erdenleben der gewaltsame Versuch der Entjudaisierung der christlichen Botschaft unternommen.
Marcions Ansichten haben bis in unsere Tage in der einen oder anderen Form ihre Anziehungskraft beibehalten. Der protestantische Theologe und Kirchenhistoriker Adolf von Harnack (1851–1930) setzte ihm ein literarisches Denkmal. Der Ausgangspunkt der Kritik Marcions am Alten Testament könne nicht verfehlt werden. Es sei der „Gegensatz von Gesetz und Evangelium, übelwollender, kleinlicher und grausamer Strafgerechtigkeit einerseits [Hervorhebung von mir] und barmherziger Liebe andererseits“!3 Auch für Harnack war das AT „kein kanonisches Buch“,4 sondern „das Buch des minderwertigen jüdischen Gottes“!5 Mit Berufung auf Luthers Unterscheidung von Gesetz und Evangelium erklärte Harnack: „Da aber das Gesetz durch das gesamte AT … hindurchgeht, so liegt das ganze einheitliche Buch unterhalb der Christenheit“.6 Und wiederum: „mit zwingender Notwendigkeit und Evidenz … [ist] jede Art der Gleichstellung des AT mit dem NT und jede Autorität desselben im Christentum unstatthaft“.7
Die Psychoanalytikerin Hanna Wolff war überzeugt, es sei „für Christen absolut unmöglich, das Alte Testament weiterhin als ihre Heilige Schrift und Grundlage ihres Glaubens anzuerkennen.“8 Will Durant beschrieb den altisraelitischen Gott in seiner „Kulturgeschichte der Menschheit“ folgendermaßen: „dieser Gott … kann sehr wohl Fehler begehen, und sein schlimmster Fehler war, den Menschen erschaffen zu haben. Zu spät bedauerte er, dass er Adam den Lebensodem einhauchte … Ab und zu ist er gefräßig, jähzornig, blutdürstig, launisch und eigensinnig …“9 Man könnte mit ähnlichen Urteilen fortfahren, wie einige Lesefrüchte aus Dawkins Bestseller zeigen: „… ein kleinlicher, ungerechter, nachtragender Kontroll-Freak, ein rachsüchtiger, blutrünstiger ethnischer Säuberer …, launisch-boshafter Tyrann“.
Auch wenn, so der Tübinger Alttestamentler Bernd Janowski, die „intellektuelle Anspruchslosigkeit dieser monströsen Gottesbeschimpfung für sich selber spricht“,10 ist zu beobachten, dass es viele Menschen gibt, die mit dem Gott des Alten Testaments nicht zurechtkommen und für die dieses Buch eine Herausforderung darstellt. Es berichtet von Gewalt und gewalttätigen Menschen – die gleichwohl als fromme Jahwe-Verehrer gelten.
Ein Beispiel: In 1Sam 18,7 singen Frauen dieses Preislied auf David: „Saul schlug seine Tausende, und David seine Zehntausende.“11 David kennt man als Psalmdichter und als König, der die Bundeslade nach Jerusalem bringt, es heißt sogar an einer Stelle: „Auf ihm war der Geist Gottes“ (1Sam 13,16). Er war aber auch ein Mensch, der seine Karriere mit äußerster Brutalität verfolgen konnte. Der Benjaminiter Schimi nennt David „Mann der Bluttaten“ (isch haddamim; 2Sam 16,7f). „Es gibt kaum ein Kapitel in den Davidserzählungen, in dem Gewalt keine Rolle spielt“.12 Er sichert sich und seinen Anhängern den Lebensunterhalt durch Schutzgelderpressung (1Sam 25), er verdingt sich bei Israels Feinden, den Philistern, die er gleichzeitig hintergeht und, damit sein Schwindel nicht auffliegt, „bringt er bei seinen Angriffen grundsätzlich alle Männer und Frauen um, ‚denn er sagte: Niemand soll etwas über uns berichten und sagen können‘“ (1Sam 27). Die Moabiter behandelt er mit „grausamer Willkür“ (2Sam 8,2)13. Und doch lesen wir in diesem Kapitel, dass Gott ihm half „bei allem, was er unternahm“ (2Sam 8,14).
Was haben wir von diesem David – und noch wichtiger – von einem solchen Gott zu halten? Gott war mit David, weil dieser trotz aller Härte bußfertig war. David konnte weinen vor Gott und sehnte sich nach seiner Nähe mit einer Vehemenz, die immer wieder im AT zu finden ist (!), und die uns modernen Menschen auch gut zu Gesicht stünde.14
Bemerkenswerterweise ist der oben erwähnte Schimi der Einzige, der in den Davidserzählungen David als Gewalttäter darstellt, während sonst betont wird, dass David trotz aller Gewalt „unschuldig“ (naqi), eben frei von Blutschuld bleibt (1Sam 19,5; 2Sam 3,28; 2Sam 14,9; vgl. 1Sam 25,26). David wusste andererseits um die selbstzerstörerische Macht des Zorns: „Sei still vor Jahwe und harre auf ihn! Entrüste dich nicht über den, dessen Weg gelingt, über den Mann, der böse Pläne ausführt! Lass ab vom Zorn und verlass den Grimm! Entrüste dich nicht! Das ist nur zum Bösen.“ (Ps 37,7f) Interessant ist in diesem Zusammenhang nun, dass David wegen seiner Bluttaten nicht das Recht hat, für Gott einen Tempel zu bauen: „Und David sagte zu Salomo: Mein Sohn, ich selbst hatte in meinem Herzen vor, dem Namen Jahwes, meines Gottes, ein Haus zu bauen. Aber das Wort Jahwes kam über mich: Du hast Blut in Menge vergossen und große Kriege geführt. Du sollst meinem Namen kein Haus bauen! Denn viel Blut hast du vor mir auf die Erde fließen lassen.“ (1Chr 22,7f) Ja, man kann sagen, dass sich die Gewalttaten Davids am Ende gegen ihn selbst kehrten (2Sam 16,8).15
In der Bibel (nicht nur im AT) gibt es Texte, die Gewalt und Blutvergießen zum Thema haben16. Die Bibel ist demnach ein realistisches Buch. Sie verschweigt nicht, dass Menschen gewalttätig sind. Was uns irritiert, sind solche Texte, die Gewalt religiös zu rechtfertigen scheinen oder gar Gott selbst als gewalttätig darstellen.
Warum scheint dies gerade im Alten Testament so deutlich hervorzutreten? Amos 9,7 zeigt: Neben dem Gott Israels gibt es keinen anderen Initiator von Geschichte in der Völkerwelt.
Der eigentliche Ort, an dem Gott wirkt und sich offenbart, ist die Geschichte Israels … Es reicht hin, die alttestamentlichen Geschichtssummarien in Jos 24,2–13; Dtn 26,5–9 oder Neh 9,6–37 zu vergleichen, um zu der Überzeugung zu gelangen, daß Jahwe und sein geschichtliches Handeln den wesentlichen Inhalt der Geschichte bilden. Eine solch enge Verbindung zwischen der Geschichte Israels und Gott selbst bewirkt, daß auf ihn auch alle Verantwortung für das Böse fällt …17
Dieser Problematik, die bislang in der Theologie eher ein Schattendasein führte, werden „gegenüber