Die Herrin und ihr Knecht. Georg Engel

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Die Herrin und ihr Knecht - Georg Engel

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zuerst hier eintraten, sobald aus den eingebuchteten Mauerwölbungen immer noch die bunten Mosaikgebilde der Evangelisten in verdämmerten Farben herausleuchteten. Einen förmlichen Schrecken aber verursachte es dem Unvorbereiteten, wenn hinter dem umfangreichen Schreibtisch des Großkaufmanns, nur von dem elektrischen Licht der grünbeschirmten Arbeitslampe getroffen, die überlebensgroße, riesenhafte Holzstatue des Apostelfürsten Petrus mit blauem Mantel und goldenem Heiligenschein auftauchte, genau so, wie sie einstmals an dieser Stelle das Ziel für die Verehrung unzähliger Frommer gebildet hatte. Die Holzstatue aber ragte auf ihrem Marmorquader auf, als wolle sie gegen die neue Zeit und gegen alles, was sie in ihr erblicken mußte, Verwahrung einlegen. Den goldenen Hirtenstab, der unten abgebrochen war, hielt sie gegen das zornige, volkstümliche Herz gepreßt und ihren mächtigen verrosteten Eisenschlüssel streckte sie weit von sich, voll Abscheu und grobem Eifer.

      Und der Heilige hatte manchen Grund zu seinem Verhalten. Denn obwohl der neue Besitzer der Probstei ein gewisses feinsinniges Kunstinteresse für die bunten Zeichen einer innerlicheren Epoche besaß, und obwohl es ihm schmeichelte, häufig berühmte Sammler und Gelehrte in seinen Räumen zu empfangen, um ihre Bewunderung für seine Besitztümer zu vernehmen, so lehnte er es doch auf der anderen Seite entschieden ab, sein eigenes Leben mit seiner Umgebung in Einklang zu bringen. Dunkle Gerüchte durchflogen die Stadt, es würden in der alten Probstei unter den Augen der Evangelisten und des Himmelspförtners gelegentlich erlesene Feste gefeiert, die weitab von strenger Daseinsführung lagen und die deshalb das Ziel und die Sehnsucht aller unverheirateten Herren der bevorzugten Kreise bildeten. Etwas Genaues indessen vermochten selbst die neugierigsten Damen der Stadt nicht in Erfahrung zu bringen. Man flüsterte wohl hie und da, daß der Konsul, dieser wohlgepflegte Vierziger mit der schlanken eleganten Gestalt und den schwärmerischen, lang bewimperten Augen, die so gar nicht zu den im Grunde kalten Zügen passen wollten, man flüsterte wohl, daß Konsul Bark in seinem weit ausgreifenden Kunstinteresse auch die Damen des Theaters mit seinen Einladungen beehrte, allein von den Beteiligten wurde dies stets mit sonderbarem Lächeln geleugnet. Äußerlich jedoch zeigte der Goldene Becher dauernd die gleiche patrizische Würde, und da der Konsul sogar in den Zirkeln der Frau Regierungspräsidentin sichtbar wurde, wo nur die dreimal Gesiebten verkehrten, so sanken alle unheiligen Vermutungen immer wieder in sich zusammen. Nur ein einziges Wesen lebte, das über den Wandel des Hausherrn genauen Aufschluß hätte geben können. Das war jener merkwürdige Einsasse des Goldenen Bechers, über den in der Stadt infolge seiner erstaunlichen Vielseitigkeit mindestens ebensoviel Erzählungen umliefen, als über den eleganten Großkaufmann selbst. Es war der Kammerdiener des Konsuls, Pawlowitsch, wie er von dem Chef im Scherz wegen seiner russischen Abkunft genannt wurde.

      Ja, Pawlowitsch besaß das Ohr des Großkaufmanns. In einem weißen Leinenanzug war er seinem Herrn frühmorgens bei der Toilette behilflich; er rasierte ihn, und kein Friseur hätte das dunkelbraune Haar des Konsuls so korrekt zu scheiteln vermocht, wie dieser Halbrusse. Bei solcher Gelegenheit erfuhr dann der Herr des Goldenen Bechers, was Pawlowitsch für nützlich hielt, ihm zufließen zu lassen.

      »Herr Konsuhl,« flüsterte der Weißkopf, denn er betonte diesen Titel auf der letzten Silbe und dabei beugte er sich während des Einseifens geschmeidig bis zu dem Ohr des Gebieters herab, »die kleine Schwarz vom Stadttheater hat heute abend ihr Benefiz. – Rosen?«

      »Jawohl.«

      »Vorzüglich –« alle Anordnungen des Chefs beehrte Pawlowitsch mit dieser begeisterten Zensur, »vorzüglich – Teerosen?«

      »Gewiß.«

      Der weiße Kittel verbeugte sich. Es war ja selbstverständlich, daß er diese gelben Blumen hinter die Bühne zu tragen hatte. Dunkelrote schickte sein Gebieter nur beim Beginn einer vielbegehrten Bekanntschaft. Die ruhigere Epoche wurde dann durch die mattere Farbe gekennzeichnet. Und Pawlowitsch wußte ganz genau, wann die weißen an die Reihe kamen, die den Rückzug des Konsuls einläuteten.

      »Vorzüglich.«

      Zu derselben Stunde, als Johanna Grothe in ihrer majestätischen Blondheit über den Markt wandelte, beherbergte Konsul Bark in dem Refektorium, aus dessen Mauerhöhlungen noch immer die Mosaikbilder der Evangelisten hervorschimmerten, einen besonders fröhlichen und lauten Besuch. Zur Seite des großen Schreibtisches, dicht neben der Riesenstatue des heiligen Petrus, dessen deutsches Antlitz noch unwilliger als sonst flammte, lehnte ein gewaltiger, muskulöser Russenoffizier behaglich in dem dunklen Ledersessel und hob eben sein Weinglas prüfend gegen die grünbeschirmte Lampe, so daß der gelbe Trank spiegelte und glitzerte. Die Sporen an den hellgelben Reiterstiefeln, die er vor Vergnügen leise aneinander rieb, ließen dazu einen feinen silbernen Sang ertönen, und das laute Gelächter des Fremden schlug schallend gegen die Decke der Wölbung.

      »Ja, was sagen mein bester Freund,« rief er wohlgelaunt und stieß den Hausherrn mit dem langen Säbel, den er nicht abgelegt hatte, vertraulich gegen die eleganten schwarzen Lackschuhe, »dumme Tiere von Grenzkosacken haben sich richtig durch Ihren Agenten von Pflicht – wie sagt man? – abwendig machen lassen.«

      Der Konsul reckte sich und zupfte verärgert an seinem kurzgeschorenen englischen Schnurrbärtchen.

      »Der Jude handelte auf sein eigenes Risiko,« entgegnete er unmutig, »ich habe ihm nicht geraten, Ihre Leute zu bestechen.«

      »Bestechen?« Jetzt lachte der Russe noch behaglicher und schüttelte das blondbebartete Haupt. Seine blauen Augen sahen ganz erstaunt aus. »Bestechen?« wiederholte er in seinem gebrochenen Deutsch, »nicht doch. Hat Mann gar nicht beabsichtigt. Ist Gewohnheit bei diesen deutschen Spitzbuben. Pardon – pardon,« verbesserte er sich, und die großen Kinderaugen begannen ihm in der Wirkung des Weins oder aus Verlegenheit zu tränen, »sehr ehrenwerte Leute. Versuchen es nur immer wieder. Aber diesmal hat mir heilige Mutter von Kiew beigestanden. Sieben Wagen vor Brücke zurückgehalten, und zweitausend Rubel in meiner Tasche. Was sagen bester Freund?«

      Konsul Bark rückte ein wenig mit seinem Stuhl und blickte seinen Gast zweifelnd von der Seite an. Das Gespräch schien ihm durchaus nicht zuzusagen.

      »Ich nehme an,« begann er endlich nach einem Moment der Überlegung, während sein schmales, feingeschnittenes Gesicht durch nichts irgendeine Bewegung verriet, »ich nehme an, Herr Rittmeister Sassin, daß Sie gekommen sind, um das Geld wieder an mich abzuliefern.«

       »Oh nein, ist Irrtum. Geld gehört Gossudar, russischen Zaren, unserem allergnädigsten Herrn.« Der Russe verbeugte sich, so daß seine Stirn fast die Platte des Schreibtisches berührte.

      »Jawohl, ich kann es mir denken,« meinte der Konsul mißfällig, »sprechen wir nicht mehr darüber.«

      »Serr gut, ist ganz meine Ansicht, sind hervorragender Kaufmann. – Händler erster Gilde!«

      Jetzt warf der Hausherr seinem Gast von neuem einen scharfen Seitenblick zu. Unwillkürlich faltete sich seine Stirn. Sollte dieser große ungeschlachte Mensch sich etwa über ihn lustig zu machen gedenken, gerade jetzt, da der Fremde ihn um eine erhebliche Summe geschädigt? In diesem Augenblick hatte der kühle Geschäftsmann völlig vergessen, wie oft er jenseits der Grenze in dem kleinen elenden Fabrikstädtchen die reiche und ausgelassene Bewirtung des Grenzoffiziers genossen, eine Gastfreundschaft, die sich manchmal bis zu tobendem Wahnsinn gesteigert hatte. Nein, die Erinnerung hieran war dem Prinzipal des Goldenen Bechers wie in dunklem Rauch aufgegangen. Denn Konsul Bark besaß die Fähigkeit, geschehene Dinge, die ihm nicht mehr behagten, kaltblütig auszustreichen, als wären sie nie gewesen. Seine dunkelgrauen, lang bewimperten Augen blickten noch etwas berechnender drein als gewöhnlich, da er sich auf die Huldigung des Offiziers zu der lässigen Erwiderung anschickte:

      »Ich bin Ihnen für Ihre gute Meinung sehr verbunden, Herr Rittmeister. Aber gerade, weil ich ein nüchterner Kaufmann bin, so werden Sie es mir nicht

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