Konstruktive Rhetorik. Jürg Häusermann

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Konstruktive Rhetorik - Jürg Häusermann страница 7

Автор:
Серия:
Издательство:
Konstruktive Rhetorik - Jürg Häusermann

Скачать книгу

href="#litres_trial_promo">23 sein; andernorts hält man sich mehr oder weniger unbewusst an traditionelle Formen. Wie der Pfarrer bei der Taufe spricht (in welcher Kleidung, welchen Worten, an welchem Platz in der Kirche und mit welchen Gesten), ist in der Liturgie des Gottesdienstes festgeschrieben. Was im Parlament möglich ist und was nicht, schreibt die Geschäftsordnung vor. Aber auch wenn Jugendliche einen Debattierclub gründen, stellen sie ad hoc Regeln auf, die nicht sehr von den überlieferten Gebräuchen abweichen, obwohl sie es in der Hand hätten, völlig neuartige Formen auszuprobieren.

      imageDer Einfluss des Veranstalters:

      imagePlatzierung der Rede im Programm: im Kontrast zu anderen Reden

      imageRegeln zur Form: von der Kleidung bis zum sprachlichen Ausdruck

       image Festlegung inhaltlicher Grenzen

      imageEntscheidung über die Weiterverbreitung: Kontakt zur Presse, Internetauftritt, Aufnahme in Publikationen

      Alle diese Formen der Einflussnahme lassen einen wichtigen Grundton des Redens in der Öffentlichkeit erkennen: Es geschieht in einem Kontext der Autorität. Der Rollenunterschied zwischen Redner und Zuhörenden fügt sich ein in das Machtgefälle von Veranstalter und Publikum. Wenn der Redner sich den Vorgaben des Veranstalters fügt, profitiert er von dessen Macht. Wenn er (wie Hanauer) Thesen vertritt, die den Interessen des Veranstalters widersprechen, oder formale Vorgaben unterläuft (wie es gelegentlich bei Oscar-Verleihungen zu beobachten ist), nimmt er einen Machtkampf auf, den er auch verlieren kann. Auf der anderen Seite ist der Erfolg von Reden oft gerade darauf zurückzuführen, dass der Redner in Maßen auf Distanz zum Veranstalter geht, mit dessen Regeln kokettiert oder sie explizit missachtet.

      In der Fernsehserie Wie man mit Mord davonkommt24 steht eine Juraprofessorin im Mittelpunkt, die ihre Strafrechtsvorlesung nicht als Theorie von Recht und Unrecht konzipiert hat, sondern als Anleitung, das Gesetz zu umgehen. Damit hebt sie sich explizit von ihren Kollegen ab. Gleichzeitig erzielt sie auf diese Weise einen enormen Zulauf von Studierenden und nützt damit nicht nur ihrem eigenen Renommee, sondern auch dem ihrer Universität.

      Zu berücksichtigen bleibt, dass institutionelle Vorgaben auch etwas Gutes haben. Auch wenn sie in vielen Fällen lächerlich oder veraltet wirken, erleichtern sie andererseits auch die Kommunikation. Sie unterstreichen die Funktion der betreffenden Person und verleihen ihr damit mehr Autorität. Zur rhetorischen Praxis gehört es, sich zu überlegen, inwieweit es möglich ist, von den Normen des Veranstalters zu profitieren, aber auch von ihnen abzuweichen, um nicht nur als Vertreter einer abstrakten Instanz, sondern auch als Individuum in den Dialog mit dem Publikum zu treten.

      4Normen von Kultur und Gesellschaft

      Antoine de Saint-Exupéry berichtet in seiner Geschichte vom Kleinen Prinzen über die Entdeckung des Planeten, von dem er stammt. Ein türkischer Astronom habe ihn als erster erspäht. Als dieser aber seine Entdeckung beim internationalen Astronomen-Kongress bekannt machte, habe ihm niemand geglaubt, „und zwar ganz einfach seines Anzuges wegen“.

image

      Abb. 4: Antoine de Saint-Exupéry: Der Astronom in traditioneller Kleidung.

      Es dauerte elf Jahre, bis die wissenschaftliche Community den Mann ernst nahm. Dazwischen lagen die Gesellschaftsreformen unter Atatürk, und als der Astronom seinen Vortrag wiederholte, trug er einen Anzug nach westlicher Mode. „Und diesmal gaben sie ihm alle recht“25, berichtet Saint-Exupéry.

image

      Abb. 5: Antoine de Saint-Exupéry: Der Astronom elf Jahre später.

      Die Geschichte erinnert daran, dass Verhaltensnormen sich von Kultur zu Kultur unterscheiden – und dass diese auch für Voraussetzungen des öffentlichen Redens, seiner Organisation und seiner Funktion gilt. Die Vertreter einer vermeintlich überlegenen Kultur verlangten die Unterwerfung unter ihre Normen, um den Redner überhaupt als solchen anzuerkennen.

      Das Redeverhalten wird oft als Kriterium der Beurteilung der Persönlichkeit missbraucht. Am 6. Dezember, abends, wenn es dunkel war, besuchte uns der Nikolaus. Er hatte einen Sack mit Nüssen, Äpfeln und Lebkuchen bei sich und war ein Vorbote der Bescherung zu Weihnachten. Nur stellte er uns Kinder auch vor eine Aufgabe, die nicht allen leichtfiel. Wir mussten in den Tagen zuvor ein kurzes Verslein auswendig lernen. Am Nikolausabend galt es dann, vor diesem Mann, den wir als ziemlich bedrohlich empfanden, und vor der ganzen versammelten Familie dieses Verslein vorzutragen.

      Wer dies gut hinter sich brachte, wurde als „brav“ gelobt. Nun hat zwar brav zu sein, nichts mit der Fähigkeit zu tun, ein Gedicht auswendig zu sprechen. Aber es ist nicht ganz untypisch dafür, wie im Alltag mit Sprachnormen umgegangen wird. Eine persönliche Eigenschaft, die damit nichts zu tun hat, wird damit verknüpft, wie sich jemand sprachlich äußert. Uns wurde damals mit der Pflichtübung vor dem Nikolaus eingebläut, dass öffentliches Reden etwas Besonderes ist.

      Was für den kleinen Jungen im Vorschulalter galt, gilt für ihn auch im späteren Leben. Eine rednerische Aufgabe ist zu lösen und das Resultat wird dazu genutzt, den Redner als Gesamtpaket zu beurteilen. Das Reden – die Sprachverwendung überhaupt – dient als Indiz für Charaktermerkmale und Fähigkeiten, die damit wenig zu tun haben. Die rednerische Brillanz oder das rednerische Ungeschick überdeckt alle anderen, wichtigeren Fähigkeiten.

      Derartige Voraussetzungen lassen sich nicht durch einen einzigen Auftritt torpedieren. Das Spiel muss im Rahmen seiner Regeln gespielt werden. Aber es lässt sich sanft in einer Richtung korrigieren, die es sowohl dem Redner leichter macht als auch die Informationsvermittlung verbessert: in Richtung Dialog. Die Schwerpunkte im praktischen Teil dieses Buchs haben genau dies zum Ziel.

      Tradition, Ritual, Macht

      Dass gesprochene Sprache und Ritual eng zusammengehören, wird zu einem gewissen Grad immer so bleiben. Ohne den rituellen mündlichen Vortrag, der noch im Mittelalter weit wichtiger war als der Umgang mit der Schrift, wäre unsere Literatur arm dran.26 Reden werden gehalten, um Jubilare zu ehren, um Begräbnissen einen würdigen Rahmen zu geben oder auch um an einem politischen Feiertag ein Zeichen zu setzen. Nicht was gesagt wird, sondern dass etwas gesagt wird, ist wichtig. Ohne gesprochene Formeln bei Gründungsakten, Taufen oder Ernennungen könnte die betreffende Handlung gar nicht durchgeführt werden. Einen negativen Einfluss auf den Umgang mit dem Reden hat erst der Umstand, dass in vielen Fällen Äußerlichkeiten, Form und Gehabe wichtiger genommen werden als der Inhalt. Und so lange es das Reden als Ritual gibt, wird man es auch mit Werten verknüpfen, die sich weitab vom Inhalt des Gesagten bewegen.

      Dies ist in der öffentlichen Rede ständig präsent. Umso wichtiger ist es für den Einzelnen,

Скачать книгу