Schläferin. Sophie Reyer
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Sie schreckt aus dem Schlaf. Es hat geklopft. Sie öffnet die Türe. Lächelt ein verrunzeltes Gesicht an.
Mädchen, ich bin die Milchfrau. Ich versorg die Schläfer. Hab hier Milch für dich. Und Äpfel.
Danke.
Geht’s gut?
Verdammt still ist’s hier, antwortet sie vage.
Wird schon werden. Wir haben hübsche Gärtner. Und immer wieder Künstler, Stipendiaten.
Sie tut so, als hätte sie das nicht gehört und malt mit der großen Zehe kleine Muster auf den Holzboden.
Wenn Sie was brauchen, wir sind morgens im Backsteinbau auf einen Kaffee, fügt die Frau hinzu.
Ich glaube nicht, antwortet sie. Aber danke.
Sie betrachtet den breiten Rücken der Milchfrau und deren auftoupierte helle Haare. Die Milchfrau öffnet die Türe ihres Trucks. Schiebegeräusch. Es knallt. Der Motor startet. Ein Dröhnen. Dann kommt die Ruhe zurück, und ihr ist, als würde die Luft atmen. Sie knackst mit den Zehen. Seufzt. Öffnet die Milchpackung. Pack den Koffer aus, denkt sie. Aber sie bleibt regungslos stehen und kann nur starren. Auf die pelzigen Wollkörper der Karnickel starren. Sonst nichts. Plötzlich steht sie auf, eine abrupte Bewegung. Sie setzt sich an den Holztisch. Nowwhereland. Das Fotoalbum liegt schon da. Sie greift mit zittrigen Händen danach. Das Plastik macht ein leises Geräusch zwischen ihren Fingern. Auf den Bildern das Kind. Ein kleines Bündel aus Fleisch. Hässlich und runzelig. Das Gesicht uralt. Ein Greisengesicht. Sie sieht die Züge des Kindes an, das zusammengerollt auf weißem Frottee liegt. Die winzigen Hände zu Fäusten geballt. Dass sie nicht versteht, was so besonders sein soll an diesem Häufchen aus Haut, denkt sie und schließt die Augen. Öffnet sie wieder. Als sie aus dem Fenster sieht, erblickt sie Zoe am Gartenzaun. Der große schlanke Körper mit den stehenden Brüsten, die aussehen, als wären sie geschwollen, geht auf sie zu. Sie betrachtet Zoes Mund, der sich zu einem schiefen Lächeln nach oben schiebt. Sie grinst zurück. Ein wenig asymmetrisch. Steht auf und schiebt die Holztüre zur Seite. Zoe steigt über die Treppen auf die Veranda und drückt sie in eine Umarmung. Es ist wie ein Würgen, denkt sie.
Bist du gut angekommen?
Sie nickt.
Alles klar.
Blass schaust du aus.
Sie blickt zu Boden. Zoe greift nach ihren Fingern und nestelt daran herum.
Lass uns spazieren gehen. Ich zeig dir die Raketenstation.
Ja.
Sie trippelt die Holztreppe hinunter. Gemeinsam streifen sie durchs verwilderte Gärtchen. Hand in Hand. Die Handinnenflächen beginnen ihr zu schwitzen. Du klebst an Zoes Fingern fest, denkt sie. Zoe zeigt ihr das Areal.
Wie geht es dir denn?, fragt Zoe.
Sie versucht, zu lächeln.
Ich überleb’. Und du?
Zoe lacht.
Ich freu mich, dich zu sehen.
Da kommt Zoes Kind angerannt. Die Haare lockig in alle Richtungen stehend, der kleine kompakte Körper halbnackt. Wie idyllisch es hier ist, denkt sie. Zumindest außen.
Spiel mit mir, sagt das Kind.
Sie lässt sich also vom Kind in die Garage zerren.
Zieh mir Flügel an!, ruft das Kind.
Sie nickt. Dabei denkt sie, dass das Kind einen Froschmund hat.
Dann üben wir fliegen!
In Ordnung.
Sie fädelt die kleinen Arme durch filigrane Libellenflügel aus Papier. Dann muss sie das Kind hochheben und Flugzeug spielen auf der verwilderten Gartenwiese. Das Kind rutscht aus. Wetzt sich das helle Knie auf. Verzieht den Froschmund und schleudert ein Plärren aus dem Rachenraum heraus, sodass Zoe aufzuckt. Auf es zuläuft. Es hochhebt. Mit den Handflächen über das gewellte Haar fährt.
Ist schon wieder gut, hört sie Zoe sagen und sieht, wie sie ihr Kind an den weichen Bauch drückt. Sie weiß nicht, wie dreinschauen. Das Kind wimmert. Seltsam, dieses Muttersein, denkt sie.
Ich hab einen Fernseher, den ich nicht brauche, sagt Zoe. Willst du ihn haben?
Vielleicht.
Sie macht eine kurze Pause.
Die Ruhe hier lässt sich nur schwer ertragen, oder?, fragt sie dann.
Es ist so ruhig hier, damit du nur schläfst, sagt Zoe. Das wird dir guttun. Wirst schon sehen.
Er schält sich aus seinem Sakko. Knöpft sich das Hemd auf. An den Handgelenken, am Hals. Der Bunker ist einige Meter hoch, ein einziges riesiges Zimmer, in dem alles vorhanden ist: ein Bett in der Ecke, eine kleine Kochnische, eine Badewanne mit Duschkopf, eine Toilette. Er drückt gegen den Lichtschalter. Eine winzige Glühbirne flackert kurz auf. Wird dann heller. Er seufzt. Legt das Hemd zusammen. Fein säuberlich. Platziert es auf einem der beiden Sessel, die neben dem einfachen Holztisch stehen. Zieht die schwarze Schnürlsamthose aus. Nur in Unterhose und Socken steht er da, der Bauch, prall vom Abendessen, wölbt sich ein wenig über den Hosenansatz. Er seufzt erneut. Der Koffer liegt auf dem Bett. Er greift nach den Büchern, nimmt sie heraus. Eines nach dem anderen. Schlichtet sie in die Regale hinein, die am Kopfende des Bettes stehen. Das Handy läutet. Wieder stößt er einen Seufzer aus und umarmt den eigenen Körper. Das Handy hört zu läuten auf. Er fährt sich über die dunkle, sommersprossengesprenkelte Haut. Greift dann nach dem Mobiltelefon. Tippt die Nummer ein. Drückt die grüne Taste.
Bill, bist du gut angekommen?
Ja, bin ich.
Mach’s dir bloß nicht zu gemütlich, sag ich dir.
Er zieht die Beine an den Bauch. Spielt ein bisschen mit den Zehen herum. Lustige kleine Knubbel, denkt er und grinst.
Bist du noch da?
Ja, Alex. Keine Angst.
Ich sag dir, wir haben nicht viel Zeit.
Er blickt sich im Raum um. Das fahle Licht der Glühbirne, das immer wieder aufflackert. Irgendwie romantisch, so eine Garage zum Zeichnen, denkt er.
Ich weiß schon, das ist ein gefundenes Fressen für dich. Natur und Malen und so. Aber wir müssen mit den Infos raus, vor den nächsten Wahlen noch.
Ich weiß, sagt er.