Turmschatten. Peter Grandl

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Turmschatten - Peter Grandl

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packte Udos Hand und zog sie nach oben, so dass Karl sie sehen konnte. Udos kleiner Finger war mit einem Geschirrtuchfetzen umwickelt worden, der sich blutrot gefärbt hatte und bereits tropfte. Ein Klebeband, das um die ganze Hand reichte, fixierte das Stück Stoff.

      »Siehst du das? Wir haben nicht ewig Zeit!«, meinte Gottfried wütend.

      Udo riss seine verletzte Hand aus Gottfrieds Umklammerung. »Mann, das ist ein alter Itzig, der nackt unter der Dusche steht. Scheiß auf den Finger, aber je früher wir hier wegkommen, desto besser.«

      Gottfried nickte und sah seinem Kumpel in die Augen.

      »Okay, packst du das?«

      Udo nickte und grinste wieder.

      Karl war außer sich vor Wut und klopfte mit dem Schlagring auf die Brüstung.

      »Habt ihr sie noch alle? Wir könnten das hier jetzt einfach aussitzen, der duscht doch nicht ewig!«

      »Schnauze, Karl! Du bist so eine Pussy im Knast geworden. Wir machen das Arschloch jetzt kalt, und du wartest hier oben, für den Fall, dass er es doch irgendwie schafft, uns zu entkommen.«

      Er glaubte nicht an diese Möglichkeit, sondern wollte Karl nur ruhigstellen.

      Udo hatte das Messer in die unverletzte linke Hand genommen und den Schlagstock, der am unteren Ende einen Griff hatte, in die Rechte. Der Schlagstock bildete eine Parallele zum rechten Unterarm. Selbst mit der Verletzung konnte er den Stock so als tödliche Waffe einsetzen und gleichzeitig Schläge abwehren. Udo war ein Experte mit dieser Waffe.

      Er stand näher an der Wendeltreppe und ging voraus.

      »Verdammt, warte, Udo!«, rief Gottfried ihm nach.

      »Keine Chance, Steiner. Diesmal will ich den Job erledigen und nicht immer nur dein Assi sein.«

      Gottfried schüttelte irritiert den Kopf, dann folgte er Udo so leise es auf der knarrenden Wendeltreppe eben ging. Karl kam die Treppe herunter und blickte ihnen nach. Ihm war bewusst, dass es nicht mehr darum ging, den alten Sack nur einzuschüchtern. Durch den Tod von Esther hatte Thomas auch das Todesurteil für Zamir gefällt.

      Scheiße, wieso müssen die Dinge nur immer so aus dem Ruder laufen?

      Der Schlagring begann mittlerweile zu schmerzen. Er zog die Waffe von der Hand und betrachtete die tiefen Abdrücke in seinen Fingern. Damit das Blut wieder besser zirkulieren konnte, öffnete und schloss er die Hand mehrmals, dann steckte er die Hand in die Seitentasche. Da war sie, die Visitenkarte, die ihm die Stresemann gegeben hatte. Scheiß auf sie. Alles war schiefgelaufen, aber shit happens. Hauptsache, Thomas war in Sicherheit. Wenn sie jetzt den Itzig kalt machten, würde wenigstens keine fucking Synagoge gebaut werden. Alles andere war erst mal egal.

      Gottfried drängte sich an Udo vorbei und öffnete leise die schwere Holztür zum Treppenhaus.

      »Fuck, was machst du?«, zischte ihn Udo leise an.

      »Was, wenn der Alte gar nicht in der Dusche ist, sondern versucht abzuhauen?«, entgegnete Gottfried.

      Udo schüttelte verständnislos den Kopf.

      »Scheiße, Mann, du denkst immer so kompliziert!«

      Gottfried reagierte nicht darauf, sondern verschwand im Treppenhaus, während er hinter sich die Tür offen stehen ließ.

      Du mich auch, dachte Udo, und öffnete behutsam die Tür, die in die anderen Wohnräume führte. Er blickte in einen kleinen Vorraum, von dem links zwei große Schlafzimmer abzweigten, deren Türen weit geöffnet waren. Ihm gegenüber befand sich eine geschlossene Badezimmertür aus Milchglas. Das prasselnde Wasser der laufenden Dusche war nun sehr deutlich zu hören, ebenso wie die dumpfe Stimme eines Radiomoderators, der einen Song von U2 ankündigte.

      Ich brech dir alle Knochen, alter Mann …

      Udo drückte mit der rechten Hand ganz vorsichtig die Klinke der Glastür herunter. Vorsichtig schob er sie mit dem Fuß auf. Das Messer in der linken Hand war bereit, einen tödlichen Stich zu landen, während der Schlagstock in der Rechten einen Angriff parieren konnte. Alternativ konnte er auch mit dem Schlagstock dem Opfer den Kehlkopf zertrümmern.

      Aber den alten Knacker könnte ich auch unbewaffnet ins Jenseits schicken!

      Udo betrat ein großzügiges, weiß gefliestes Badezimmer mit zwei Waschbecken und einer Rundbadewanne, wie er sie im Leben noch nie gesehen hatte, und einer Duschkabine daneben, aus der heißer Dampf quoll.

      Der Duschstrahl prasselte laut und gleichmäßig. Es dauerte einen Moment, bis Udo merkte, dass das Geräusch irgendwie merkwürdig war. Richtig, der Duschstrahl klang monoton. Entweder verharrte der Jude regungslos in der Dusche, oder sie war … leer!

      Die Erkenntnis kam zu spät. Von hinten traf ihn ein heftiger Tritt in die rechte Kniekehle. Udo knickte ein und verlor das Gleichgewicht. Noch im Fallen versuchte er sich umzudrehen, um seinen Angreifer zu sehen, doch auch damit hatte Zamir gerechnet. Voller Wucht landete er mit dem Boden der Sprühdose einen Schlag in Udos Gesicht. Sein Hinterkopf schlug schmerzhaft auf den Fliesen auf, doch Udo war ein erfahrener Kämpfer und wusste instinktiv, dass er dem Schmerz keine Sekunde Zeit geben durfte. Noch während er auf dem Boden lag, riss er die linke Hand mit dem Messer hoch, um nach seinem Angreifer zu stechen, doch der trat ihm mit der Schuhspitze in den Schritt. Udo ächzte auf und ließ das Messer für ein Moment sinken. Das war der letzte Fehler, den er in diesem Zweikampf beging. Ephraim Zamir nutzte sein eigenes Körpergewicht und ließ sich mit den Knien auf Udos Brustkorb fallen. Udo schnappte nach Luft. Doch schon entriss ihm Zamir mit einer Hand den Schlagstock und packte mit der anderen die Messerhand am Gelenk. Lange hätte Zamir der Kraft des jungen Mannes nichts entgegenzusetzen gehabt, aber es reichte, um das gefährliche Messer für einen Augenblick auf Distanz zu halten, zumindest so lange, bis er Udo den Schlagstock an die Schläfe hämmerte. Udos Körper sackte in sich zusammen wie eine Luftmatratze, aus der die Luft entwich.

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