Guste, Gretel und ich. Käthe van Beeker

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Guste, Gretel und ich - Käthe van Beeker

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      Alles sollte ich thun, wie diese Leute es wollten! – Ich verstand doch von dem, was sich schickt, mehr wie sie, die hier auf dem Lande verbauert waren!

      Was würde nur die kleine Baronesse denken, wenn ich so im Alltagskleide, ohne Handschuhe und ohne irgendwelchen Schmuck den ersten Besuch machte? Das quälte mich am meisten. In Gedanken hatte ich mir für diese Staatsaktion schon mein weißes, elegantes Wollkleid zurecht gelegt, mit der himmelblauen, breiten Schärpe, und dazu den großen Hut mit der weißen Feder, – Tilly hatte kaum eine längere!

      Aus all diesen empörten und traurig zornigen Gedanken riß mich Guste, indem sie ihren Arm energisch in den meinen schob.

      »Du, sag mal, bist du schläfrig, daß du gar nicht den Mund aufmachst?«

      »Nein, es paßt mir nur nicht,« sagte ich, recht mit Bedacht ungezogen und hochfahrend.

      Sie sollte nur sehen, daß ich nicht so ohne weiteres mit mir herumfahren und über mich bestimmen ließ, wie es diesen Leuten paßte.

      Aber wie ich es gesagt hatte, schämte ich mich doch schon. Guste zog ihren Arm hastig aus dem meinen und sah mich erschreckt an.

      »Du, das ist aber nicht hübsch von dir – für so habe ich dich nicht gehalten! Das nennt Muschchen ›maulen‹, und die strengsten Strafen, die ich je bekommen habe, sind mir dafür diktiert. Muttchen sagt, Maulen wäre eine Hinterlistigkeit, ein heimlicher, versteckter Groll, und ein ehrlicher, liebenswürdiger Mensch würde lieber mal heftig und sagte seinen Zorn gerade heraus, als daß er ihn still nergelnd nachhaltend mit sich herumtrüge. Nein, das will ich dir nur sagen, dann wird es mit unsrer Freundschaft nichts, wenn du maulen willst.«

      Jedes ihrer Worte traf mich wie ein Schlag. Sie hatte ganz recht, genau dasselbe sagte Mama auch. Ich hatte mich eben scheußlich benommen, und ich schämte mich bis in den tiefsten Winkel meiner Seele. Und da ich nichts Besseres zu thun wußte, brach ich in heftiges Schluchzen aus, dazwischen verzweifelt stammelnd:

      »Ach, ich habe es ja nicht so gemeint!«

      Guste besaß ein Herz von Gold, damals erfuhr ich es zum erstenmal, böse sein konnte sie nie. Sie sagte ihre Meinung gerade heraus und dann war sie mit jedem Groll fertig. So drückte sie mich jetzt auch zärtlich an sich und versuchte mich zu beruhigen.

      »Aber dann weine doch nicht, dann ist ja alles gut! Du bist mal grob gewesen und nun bereust du es, damit ist ja alles abgemacht. Gott, wie oft sind Gretel und ich grob miteinander, und dann fallen wir uns wieder um den Hals und versöhnen uns. Nein, das macht gar nichts. – Sei nur nicht bös, daß ich dir gleich so kurz meine Meinung gesagt hab', aber, siehst du, ehrlich müssen wir zu einander sein, sonst werden wir nie Freundinnen. Und nun schnaub' dir die Nase und weine nicht mehr, denn wenn Gretel das sieht, hast du es gleich mit ihr verdorben, die kann Thränensusen nicht leiden. Komm, jetzt sind wir erst richtig miteinander befreundet. Vor dem ersten Streit ist es nicht das Wahre. Wart mal, wir legen ein Wegblatt auf deine Augen, dann sieht dir nach einer Minute kein Mensch mehr an, daß du eine Wassermüllerin warst. So, nun gieb mir einen Kuß und dann haben wir uns wieder furchtbar lieb!«

      Ja, ich hatte sie jetzt auch furchtbar lieb, und ich will nur gleich sagen, daß mein Gefühl für sie nie wieder rückwärts gegangen ist, sondern seit jener Stunde, in der sie mir erst so kräftig ihre Meinung sagte und dann mich so liebevoll tröstete, unsre Freundschaft wirklich in Kraft trat und eine feste und treue geblieben ist bis zum heutigen Tage.

      Mitten in die Rührung dieses ersten großen Freundschafts- und Versöhnungsfestes klang auf einmal Hundegebell, Stampfen und Laufen, Knistern und Brechen von Zweigen und Gestrüpp und indem Guste mich hastig losließ und ausrief: »Das ist Gretel!« brach auch schon ein mächtiger Bernhardiner, anscheinend der Zwillingsbruder von Mentor, aus dem Gebüsch, und hinter ihm erschien die Gestalt einer jungen Walküre, mit rötlich schimmerndem Goldhaar, das ihr in krauser, mächtiger Fülle über den Rücken fiel und dessen widerspenstige, flimmernde Löckchen ein Gesicht voll blühender Farbenpracht und kraftvoller Frische umrahmten.

      Sie war mindestens einen Kopf größer wie ich und fast noch einmal so breit; trotz des stark fußfreien Kleides vollkommen erwachsen aussehend und nur die runden, welchen Kinderwangen und die lachenden, blauen Kinderaugen, mit denen sie mich von oben bis unten musterte, verrieten ihre noch so sehr jugendlichen Jahre.

      Und das sollte Gretel sein, das kleine, zierliche Etwas, das ich mir unter diesem Namen, unter ihrem Alter und Stande vorgestellt hatte? Diese junge Riesin, an der alles vor Kraft, Gesundheit und Urwüchsigkeit strotzte? Nein, enttäuschter war noch nie ein Mensch wie ich in diesem Augenblick!

      Ich hätte es auch nicht geglaubt, wenn Guste nicht mit dem Jubelruf: »Gretel!« auf sie zugeflogen wäre.

      Mit kurzer Handbewegung schob die Walküre sie zurück. »Laß man, ich muß mir mal erst die Kleine ansehen. Heiliger Strohsack, die ist ja noch winziger und zerbrechlicher wie ich sie mir gedacht habe, die reine Puppe! Niedlich – aber ob sie zu uns passen wird? Solch Porzellanfigürchen!«

      Ich stand brennendrot und tödlich verlegen da. Es war wirklich kein Vergnügen, so wie in der Jahrmarktsschaubude zu stehen und sich kritisieren zu lassen. Natürlich, so ein Riesengeschöpf konnte nicht jeder sein! Ich fand es auch nicht einmal schön, dafür war mein Geschmack doch zu städtisch gebildet, und imponieren ließ ich mir lange nicht davon, bloß, ich fand keine Worte, um mir diese rücksichtslose Kritik meiner Person zu verbitten. Ich war viel zu verblüfft und überrascht, um etwas zu sagen.

      »Ach, sie wird schon anders werden, wenn sie erst eine Weile bei uns ist, sagt Väterchen,« verteidigte mich Guste. »Laß dich nur nicht von Gretel einschüchtern, sie ist kein solcher Eisenfresser, wie sie thut.«

      »Oho,« rief Gretel, »untergrabe nicht meine Stellung! Die kleine Puppe macht solch sanften, stillen Eindruck, mit der mache ich, was ich will. Hoppla, da kann man den Toby gerade als Reitpferd benutzen!«

      Und damit faßte sie mich um die Taille, schwenkte mich lustig in die Luft wie einen Hampelmann und setzte mich dann laut lachend auf dem Rücken des großen Bernhardiners nieder.

      Nun war aber meine Geduld erschöpft und meine Befangenheit verflogen. Dieses Mädchen, das fast ein halbes Jahr jünger war wie ich, also eigentlich geistig tief unter mir stand, wagte es, mich wie ein Wickelkind, wie eine dumme, wehrlose, kleine Puppe zu behandeln! O nein, so etwas ließ ich mir nicht gefallen, davor brach alles, was sonst vielleicht in diesem Augenblick mein Herz bewegt und meine Kräfte gelähmt hätte, die Hochachtung vor der Kammerherrntochter, die Seelenangst vor dem Riesenhunde, die Fremdheit der Verhältnisse.

      Mit einem Satz war ich von meinem unfreiwilligen Reitsitz herabgesprungen und stand nun mit geballten Fäusten, brennenden Wangen und funkelnden Augen vor der noch immer laut und unbändig Lachenden. Auch meine sonstige Thränenseligkeit hatte mich verlassen, für dergleichen blieb mir gar keine Zeit, ich mußte sprechen, ich mußte diesem rotblonden Ungeheuer meine Meinung sagen, gründlich sagen, ohne Einschränkung, ohne Zögern und Stocken.

      Ich dachte auch in diesem Augenblick nicht an das förmliche, vornehme »Sie«, das ich mir für den Anfang unsrer Bekanntschaft vorgenommen und mit dem ich zeigen wollte, wie vollkommen ich mich auf Höflichkeit und Formen verstünde. Höflichkeit und Formen waren mir total abhanden gekommen, ich war nur eins: wütend, wütend wie ein gereizter Tiger.

      Und wie ein solcher brüllte ich denn nun auch los. »Ein ganz unverschämtes, robustes, ekliges Ding bist du – weißt du das? Kräfte wie ein Bär und eine Gestalt wie eine Riesin kann nicht jeder haben – das ist für ein Mädchen auch gar nicht schön – verstehst

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