Ein MORDs-Team - Band 1: Der lautlose Schrei. Andreas Suchanek
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Читать онлайн книгу Ein MORDs-Team - Band 1: Der lautlose Schrei - Andreas Suchanek страница 5
Was Randy wohl gerade tat?
Vermutlich saß er auf der Terrasse, hämmerte irgendwelche Codes in seinen Laptop und vergaß dabei alles um sich herum. Und wie er dessen Tante kannte, bei der Randy lebte, las sie ihm jeden Wunsch von den Augen ab und versorgte ihn mit Brötchen, Nougatcreme und Marmelade.
Mason rollte vorbei am Bäcker, dem Waschsalon, dem Kiosk von Frau Geißen – der er kurz zuwinkte – und bog schließlich in einen kleinen Waldweg ein. Ab hier musste er zu Fuß weitergehen. Er schob das Gestrüpp beiseite und lief über den geheimen Pfad, den er im letzten Sommer entdeckt hatte, seinem Ziel entgegen. Nicht einmal Randy wusste davon.
In den Tagen nachdem das erste Video seines epileptischen Anfalls auf YouTube aufgetaucht war und er zum Stadtgespräch avancierte, hatte er sich oft hier verkrochen.
Er trat aus dem Dickicht hervor. Vor ihm lag eine kleine versteckte Bucht, eingesäumt von Felswänden, die rechts und links in die Höhe wuchsen. Sie verbargen den winzigen Strand in Richtung Meer vor neugierigen Augen. Bisher schien noch kein anderer den Platz entdeckt zu haben – zumindest war er nie auf jemanden getroffen.
Er schlüpfe aus seinen Sneakers, knüllte die Socken zusammen und zog die Jeans hoch übers Knie. Er genoss das Gefühl des Sandes unter seinen Fußsohlen, das Rauschen der Wellen, den Geruch nach Meer. Weiter vorne führte ein alter, verfallener Steg aufs Wasser hinaus. Die Bohlen waren morsch, hielten ihn aber locker aus.
An der letzten Bohle war ein Ring angeschlagen, in dem jemand ein Tau befestigt hatte. Das zugehörige Boot war allerdings schon lange verschwunden.
Mason überlegte gerade, ob er lieber schwimmen oder einfach die Füße ins Wasser hängen sollte, als ein Geräusch hinter ihm erklang.
Er fuhr herum.
Vor ihm stand ein Mädchen in seinem Alter.
»Was machst du hier?«, fuhr er sie an.
*
Irgendwie schaut er traurig aus.
Sie hatte es gar nicht darauf angelegt, leise zu sein. Doch Mason Collister war so in Gedanken vertieft, dass er sie nicht bemerkte. Er stand am Rand des Steges und schaute aufs Meer.
Schnell schoss sie ein paar Bilder. So natürlich wirkend, bekam sie in nächster Zeit niemanden mehr vor die Linse.
Unter dem Kapuzenshirt zeichneten sich breite Schultern ab. Das dichte dunkelblonde Haar war nach hinten gekämmt und sie konnte Muttermale und Leberflecke auf seinem Hals erkennen. Am linken Handgelenk trug er ein kleines Lederbändchen mit einem einzelnen Stahlglied, auf dem die Initialen MC eingestanzt waren.
Mason Collister.
Natürlich kannte sie ihn; wer tat das nicht?
Irgendein Geräusch musste sie verraten haben, denn plötzlich fuhr er herum. Sein nachdenkliches Gesicht verwandelte sich in eine wütende Fratze.
»Was machst du hier?«, fuhr er sie an.
Für einen Moment verschlug es Olivia die Sprache, was wirklich selten vorkam. Ihr Mitleid war wie weggewischt. Stattdessen hätte sie ihm am liebsten eine verpasst. »Ich wusste nicht, dass ich deine Erlaubnis brauche, um ein wenig am Strand zu spazieren.«
»Ähm.«
»Wie geistreich. Das gibt ’ne Eins in Kontern.«
»Kein Grund sich so anzuschleichen«, versuchte er Boden wieder gut zu machen.
»Ich hätte auch mit drei Hunden und einem Elefanten im Schlepptau hier antreten können, du warst gedanklich total weg.«
Der Wind frischte auf und wirbelte ihr Haar umher, brachte die Anhänger ihrer Halsketten zum Klimpern. Olivia trug heute nur ein ärmelloses Shirt, auf ihren Armen entstand eine Gänsehaut.
Ohne Mason weiter zu beachten, betrat sie den Steg. Dieser selbstverliebte Trottel konnte sie mal kreuzweise. Sie nahm ihre Kamera, richtete sie auf das Meer und schoss weitere Bilder.
Die Bohlen hinter ihr knarzten. »Du bist Fotografin?«
Olivia seufzte. »Allein diese Frage!«
»Was? Was habe ich denn jetzt wieder Falsches gesagt?«
Als sie sich umwandte, stand er wie ein begossener Pudel vor ihr. Die Augen aufgerissen, die Schultern in die Höhe gezogen.
»Du weißt wirklich nicht, wer ich bin?«
»Ähm. Sollte ich?«
»Der Artikel für die Schülerzeitung vor zwei Jahren. Der Leitartikel, du weißt schon. Ich war die inkompetente Fotografin, die du unbedingt ausgetauscht haben wolltest, weil sie deine sportliche Seite nicht ausreichend einfangen konnte. Erinnert sich unser Supersportler wieder?«
»Oh.«
»Ja, oh.«
Sie fuhr damit fort, die Felswände, das Wasser und die Bohlen des Steges zu fotografieren. Vor allem Letzteres war interessant. Das Spiel zwischen Licht und Schatten, dazu die organisch gewachsene Struktur des verfallenen Holzes. Dass irgendwelche Teenager sich mit Herzchen, Monogrammen und Sprüchen verewigt hatten, kam auch richtig gut. Mit etwas Glück konnte sie eines der Bilder für den Tourismus-Wettbewerb verwenden.
Die Gazette wird das nicht interessieren. Sei's drum. Der Wettbewerb bringt kein Geld, aber dafür Kontakte.
»Tut mir leid wegen damals«, sagte Mason kleinlaut.
Verblüfft schaute Olivia auf. Hatte er sich wirklich gerade entschuldigt? Der arrogante Übersportler musste verdammt tief gefallen sein, um das Wort ‚Entschuldigung‘ in seinen Sprachschatz aufzunehmen.
»Aber du musst das verstehen«, fuhr er fort. »Die haben gestern Drogen in meinem Spind gefunden. Irgendwer will mich fertigmachen. Und jetzt bist du hier, an meinem Strand und …«
»Wie bitte?!« Olivia hätte vor Wut beinahe ihre Nikon fallenlassen. »Sag mal, geht‘s noch? Gar nichts muss ich verstehen! Ganz ehrlich, es wundert mich, dass nicht die gesamte Schule dich fertigmachen will. Du bist noch genau so arrogant wie früher. Alles dreht sich nur um Mason Collister.«
Mit jedem Schritt, den sie auf ihn zu machte, wich er einen zurück.
»Das hier ist nicht dein Strand! Und anstatt in Selbstmitleid zu baden, könntest du ja auch einfach versuchen, den Verantwortlichen zu finden, hm? Nur so ein Gedanke. Ach was, Daddy wird das bestimmt für dich erledigen. Dann kauft er dir auch gleich ein neues Skateboard, und schon geht es dem kleinen Mason wieder gut.«
Sie versuchte, nicht an ihre Mutter zu denken, deren Alltag darin bestand, die Toiletten im Stadtarchiv zu schrubben. Oder an ihren Dad, der ständig Rückenschmerzen hatte, weil er täglich zwölf Stunden für einen Hungerlohn arbeitete und am Wochenende einen Zweitjob ausübte. Seit einigen Wochen beklagte