Der Mann ohne Eigenschaften. Robert Musil

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Der Mann ohne Eigenschaften - Robert Musil

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Härchen aus Diotimas Oberlippe brachen und in ihr mädchenhaftes Wesen sich die männliche Selbständigkeit der gereiften weiblichen Person mischte, kam ihr das als Schrecken zu Bewußtsein. Sie liebte ihren Gatten, aber es mengte sich ein wachsendes Maß Abscheu darein, ja eine fürchterliche Beleidigung der Seele, die man schließlich nur den Empfindungen vergleichen konnte, die der in seine großen Unternehmungen vertiefte Archimedes gehabt haben würde, wenn ihn der fremde Soldat nicht erschlagen, sondern ihm ein sexuelles Ansinnen gestellt hätte. Und da ihr Gatte das weder merkte, noch ebenso darüber gedacht haben würde, ihr Körper aber sie gegen ihren Willen schließlich doch jedesmal an ihn verriet, fühlte sie sich einer Zwangsherrschaft unterworfen; es war wohl eine, die nicht für untugendhaft gilt, aber ihr Ablauf war genau so quälend, wie sie sich das Auftreten eines Tics oder die Unentrinnbarkeit des Lasters vorstellte. Nun wäre Diotima dadurch vielleicht nur ein wenig schwermütig und noch mehr ideal geworden, aber das fiel unglücklicherweise gerade in die Zeit, wo auch ihr Salon begann, ihr seelische Schwierigkeiten zu bereiten. Sektionschef Tuzzi förderte sehr natürlich die geistigen Bestrebungen seiner Frau, da er bald erkannt hatte, welcher Vorteil für seine eigene Stellung sich mit ihnen verband, aber er hatte niemals Teil an ihnen genommen, und man kann wohl auch sagen, er nahm sie nicht ernst; denn ernst nahm dieser erfahrene Mann nur die Macht, die Pflicht, hohe Abkunft und in einigem Abstand davon die Vernunft. Er warnte sogar Diotima wiederholt davor, in ihre schöngeistigen Regierungsgeschäfte zu viel Ehrgeiz zu setzen, denn wenn Kultur auch sozusagen das Salz in der Speise des Lebens sei, so liebe feine Gesellschaft doch nicht eine allzu gesalzene Küche; er sagte das ganz ohne Ironie, denn es war seine Überzeugung, aber Diotima fühlte sich gering geschätzt. Sie fühlte beständig ein Lächeln in der Schwebe, mit dem ihr Gatte ihre idealen Bestrebungen begleitete; und ob er sich zu Hause befand oder nicht, und ob dieses Lächeln falls er wirklich lächelte, was keineswegs immer sicher war – in besonderer Weise ihr galt oder nur zu dem Gesichtsausdruck eines Mannes gehörte, der von Berufswegen jederzeit überlegen aussehen muß, es wurde ihr mit der Zeit immer unerträglicher, ohne daß sie sich von dem infamen Schein von Berechtigung zu befreien vermochte, den es sich anmaßte. Diotima gab zuweilen einer materialistischen Geschichtsperiode die Schuld daran, die aus der Welt ein böses, zweckloses Spiel gemacht hat, zwischen dessen Atheismus, Sozialismus und Positivismus ein seelenvoller Mensch nicht die Freiheit findet, sich zu seinem wahren Wesen zu erheben; aber auch das nützte nicht oft.

      So waren die Verhältnisse im Hause Tuzzi beschaffen, als die große patriotische Aktion die Ereignisse beschleunigte. Seit Graf Leinsdorf, um den Adel nicht zu exponieren, deren Mittelpunkt in das Haus seiner Freundin verlegt hatte, waltete dort eine unausgesprochene Verantwortung, denn Diotima war entschlossen, jetzt oder nie ihrem Gatten zu beweisen, daß ihr Salon kein Spielzeug sei. Se. Erlaucht hatte ihr anvertraut, daß die große patriotische Aktion eine krönende Idee brauche, und es war ihr brennender Ehrgeiz, sie zu finden. Die Vorstellung, mit den Mitteln eines ganzen Reichs und vor den aufmerksamen Augen der Welt etwas verwirklichen zu müssen, was einer der größten Kulturinhalte sein sollte, oder bescheidener eingeschränkt, vielleicht etwas, das die österreichische Kultur in ihrem innersten Wesen zeigen sollte, – diese Vorstellung wirkte auf Diotima, als ob die Türe ihres Salons aufgesprungen wäre und an die Schwelle schlüge wie eine Fortsetzung seines Fußbodens das unendliche Meer. – Es ließ sich nicht leugnen, daß das erste, was sie dabei empfand, eine unermeßliche, augenblicklich sich öffnende Leere war.

      Erste Eindrücke haben so oft etwas Richtiges an sich! Diotima war sicher, daß etwas Unvergleichliches geschehen werde, und rief ihre vielen Ideale auf; sie mobilisierte das Pathos ihrer Geschichtsstunden als kleines Mädchen, wo sie mit Reichen und Jahrhunderten rechnen gelernt hatte; sie tat überhaupt alles, was man in einer solchen Lage tun muß, aber nachdem einige Wochen in dieser Weise vergangen waren, mußte sie beobachten, daß ihr keineswegs etwas eingefallen war. Es wäre Haß gewesen, was Diotima in diesem Augenblick gegen ihren Gatten empfand, wenn sie des Hasses – einer niederen Regung! – überhaupt fähig gewesen wäre; deshalb wurde es Schwermut, und ein bis dahin unbekannter »Groll gegen alles« stieg in ihr auf.

      Das war der Zeitpunkt, wo Dr. Arnheim in Begleitung seines kleinen Negers eintraf und Diotima kurz darauf seinen bedeutungsvollen Besuch empfing.

      26

      Die Vereinigung von Seele und Wirtschaft. Der Mann, der das kann, will den Barockzauber alter österreichischer Kultur genießen Der Parallelaktion wird dadurch eine Idee geboren

      Diotima kannte keine unrechten Gedanken, aber wahrscheinlich verbarg sich an diesem Tag vielerlei hinter dem unschuldigen kleinen Mohrenknaben, mit dem sie sich beschäftigte, nachdem sie ihre Zofe »Rachelle« aus dem Zimmer geschickt hatte. Sie hatte deren Erzählung noch einmal freundlich angehört, seit Ulrich das Haus seiner Großen Kusine verlassen hatte, und die schöne, gereifte Frau fühlte sich jung und wie mit einem klingelnden Spielzeug beschäftigt. Einst hatte sich der Adel, hatte die Vornehmheit sich Mohren gehalten; es fielen ihr reizende Bilder ein, von Schlittenfahrten mit bewimpelten Pferden, federgeschmückten Lakaien und reifgepuderten Bäumen; aber diese phantasievolle Seite der Vornehmheit war längst eingegangen. »Das Gesellschaftsleben ist heute seelenlos geworden« dachte sie. Es war etwas in ihrem Herzen, das für den kühnen Außenseiter Partei nahm, der es noch wagte, sich einen Mohren zu halten, für den inkorrekt vornehmen Bürgerlichen, den Eindringling, der die erbgesessene Macht beschämte, wie der gelehrte griechische Sklave einst seine römischen Herren beschämt hat. Ihr von vielerlei Rücksichten krummgeschlossenes Selbstbewußtsein desertierte ihm als Schwestergeist entgegen, und dieses im Vergleich mit allen ihren anderen sehr natürliche Gefühl ließ sie sogar darüber hinwegsehn, daß Dr. Arnheim – wenn sich auch die Gerüchte widersprachen und verläßliche Nachrichten noch nicht vorlagen – von jüdischer Abstammung sein sollte: von seinem Vater wurde das nämlich mit Sicherheit erzählt, nur die Mutter war schon so lange tot, daß eine Weile vergehen mußte, ehe man Genaues erfuhr. Es wäre übrigens möglich gewesen, daß ein gewisser grausamer Weltschmerz in Diotimas Herz gar nicht nach einem Dementi verlangte.

      Vorsichtig hatte Diotima ihren Gedanken erlaubt, den Mohren zu verlassen und sich seinem Herrn zu nähern. Dr. Paul Arnheim war nicht nur ein reicher Mann, sondern er war auch ein bedeutender Geist. Sein Ruhm ging darüber hinaus, daß er der Erbe weltumspannender Geschäfte war, und er hatte in seinen Mußestunden Bücher geschrieben, die in vorgeschrittenen Kreisen als außerordentlich galten. Die Menschen, die solche rein geistigen Kreise bilden, sind über Geld und bürgerliche Auszeichnung erhaben; aber man darf nicht vergessen, daß es gerade darum für sie etwas besonders Hinreißendes hat, wenn ein reicher Mann sich zu ihresgleichen macht, und Arnheim verkündete in seinen Programmen und Büchern noch dazu nichts Geringeres als gerade die Vereinigung von Seele und Wirtschaft oder von Idee und Macht. Die empfindsamen, mit der feinsten Witterung für das Kommende begabten Geister verbreiteten die Meldung, daß er diese beiden, in der Welt gewöhnlich getrennten Pole in sich vereine, und begünstigten das Gerücht, daß eine moderne Kraft auf dem Wege und berufen sei, einstmals noch die Geschicke des Reichs und wer weiß vielleicht der Welt zum Besseren zu lenken. Denn daß die Grundsätze und Verfahren der alten Politik und Diplomatie Europa in den Graben kutschierten, war ein seit langem allgemein verbreitetes Gefühl, und überhaupt hatte damals in allem schon die Periode der Abkehr von den Fachleuten begonnen.

      Auch Diotimas Zustand ließ sich als Auf Auflehnung gegen die Denkweise der älteren Diplomatenschule ausdrücken; darum begriff sie sogleich die wundersame Ähnlichkeit, die zwischen ihrer und der Stellung dieses genialen Außenseiters bestand. Der berühmte Mann hatte ihr überdies, sobald es nur anging, seine Aufwartung gemacht, ihr Haus war bei weitem das erste, dem diese Auszeichnung widerfuhr, und das Einführungsschreiben einer gemeinsamen Freundin sprach von der alten Kultur der Habsburgerstadt und ihrer Menschen, die der Arbeitsame zwischen unvermeidlichen Geschäften zu genießen hoffte; Diotima fühlte sich ausgezeichnet wie ein Schriftsteller, der zum erstenmal in die Sprache eines fremden Landes übersetzt wird, als sie daraus entnahm, daß dieser berühmte Ausländer den Ruf ihres Geistes kannte. Sie bemerkte, daß er nicht im geringsten jüdisch aussah, sondern ein vornehm bedachter Mann von phönikisch-antikem Typus war. Aber auch Arnheim wurde entzückt,

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