Der Mann ohne Eigenschaften. Robert Musil

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Der Mann ohne Eigenschaften - Robert Musil

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das hellenisch war, mit einem bißchen mehr Fleisch, damit das Klassische nicht so starr ist. Es blieb Diotima bald nicht verborgen, daß der Eindruck, den sie in einem Gespräch von zwanzig Minuten Dauer auf einen Mann mit wirklichen Weltbeziehungen zu machen imstande war, gründlich alle Zweifel zerstreute, durch die ihr eigener, doch wohl in etwas veralteten diplomatischen Methoden befangener Mann ihre Bedeutung beleidigte.

      Mit sanftem Behagen wiederholte sie sich dieses Gespräch. Es hatte noch kaum begonnen, als Arnheim schon sagte, er sei in diese alte Stadt nur gekommen, um sich im Barockzauber alter österreichischer Kultur ein wenig vom Rechnen, vom Materialismus, von der öden Vernunft eines heute schaffenden Zivilisationsmenschen zu erholen.

      Es sei eine so heitere Seelenhaftigkeit in dieser Stadt – hatte Diotima erwidert, und sie war es zufrieden.

      »Ja,« hatte er gesagt »wir haben keine inneren Stimmen mehr; wir wissen heute zuviel, der Verstand tyrannisiert unser Leben.«

      Da hatte sie geantwortet: »Ich verkehre gern mit Frauen; weil sie nichts wissen und ungebrochen sind.« Und Arnheim hatte gesagt: »Trotzdem versteht eine schöne Frau weit mehr als ein Mann, der trotz Logik und Psychologie gar nichts vom Leben weiß.« Und da hatte sie ihm nun erzählt, daß ein ähnliches Problem wie die Befreiung der Seele von der Zivilisation, nur ins Große und Staatliche projiziert, hier die maßgebenden Kreise beschäftige; »man müßte –« hatte sie gesagt, und Arnheim unterbrach sie: Das sei ganz wundervoll; »neue Ideen oder, wenn es erlaubt sei zu sagen (hier seufzte er leicht), überhaupt erst Ideen in Machtsphären zu tragen!« Und Diotima war fortgefahren: Man wolle Komitees aus allen Kreisen der Bevölkerung bilden, um diese Ideen zu ermitteln. – Aber eben da hatte Arnheim etwas ungemein Wichtiges, in einem solchen Ton freundschaftlicher Wärme und Achtung hatte er es gesagt, daß sich die Warnung Diotima tief einprägte: Nicht leicht, hatte er ausgerufen, werde auf diese Weise etwas Großes zustande kommen; nicht eine Demokratie von Ausschüssen, sondern nur einzelne starke Menschen, mit Erfahrung sowohl in der Wirklichkeit wie im Gebiet der Ideen, würden die Aktion lenken können! –

      Bis hieher hatte sich Diotima das Gespräch wörtlich wiederholt, aber an diesem Punkt löste es sich in Glanz auf; sie konnte sich nicht mehr erinnern, was sie selbst erwidert habe. Ein unbestimmtes, spannendes Glücks- und Erwartungsgefühl hatte sie die ganze Zeit über immer höher gehoben; nun glich ihr Geist einem ausgekommenen, kleinen, bunten Kinderballon, der herrlich leuchtend hoch oben gegen die Sonne schwebt. Und im nächsten Augenblick zerplatzte er.

      Da war der großen Parallelaktion eine Idee geboren, die ihr bis dahin gefehlt hatte.

      27

      Wesen und Inhalt einer großen Idee

      Es wäre leicht zu sagen, worin diese Idee bestand, aber in seiner Bedeutung könnte es kein Mensch beschreiben! Denn das ist es, was eine ergreifende große Idee von einer gewöhnlichen, vielleicht sogar unbegreiflich gewöhnlichen und verkehrten unterscheidet, daß sie sich in einer Art Schmelzzustand befindet, durch den das Ich in unendliche Weiten gerät und umgekehrt die Weiten der Welten in das Ich eintreten, wobei man nicht mehr erkennen kann, was zum eigenen und was zum Unendlichen gehört. Deshalb bestehen ergreifende große Ideen aus einem Leib, welcher wie der des Menschen kompakt, aber hinfällig ist, und aus einer ewigen Seele, die ihre Bedeutung ausmacht, aber nicht kompakt ist, sondern bei jedem Versuch, sie mit kalten Worten anzufassen, sich in nichts auflöst.

      Dies vorausgeschickt, muß gesagt werden, daß Diotimas große Idee in nichts anderem bestand, als daß der Preuße Arnheim die geistige Leitung der großen österreichischen Aktion übernehmen müsse, obgleich diese eine Eifersuchtsspitze gegen Preußen-Deutschland besaß. Aber das ist nur der tote Wortleib der Idee, und wer ihn unbegreiflich oder lächerlich findet, mißhandelt einen Leichnam. Was dagegen die Seele dieser Idee angeht, muß gesagt werden, daß es eine keusche und erlaubte war, und für alle Fälle hing Diotima ihrem Beschluß sozusagen noch ein Kodizill für Ulrich an. Sie wußte nicht, daß auch ihr Vetter – wenngleich auf einem weit tieferen Plan als Arnheim und durch dessen Wirkung verdeckt – ihr Eindruck gemacht hatte, und sie hätte sich wahrscheinlich verachtet, wenn ihr das klar gewesen wäre; aber instinktiv hatte sie trotzdem eine Gegenmaßnahme getroffen, indem sie ihn vor ihrem Bewußtsein für »unreif« erklärte, obgleich Ulrich älter war als sie selbst. Sie hatte sich vorgenommen, ihn zu bemitleiden, und das erleichterte die Überzeugung, daß es eine Pflicht sei, Arnheim statt seiner für die Führung der verantwortungsvollen Aktion zu erwählen; aber andrerseits, nachdem sie diesen Entschluß geboren hatte, meldete sich auch die weibliche Vorstellung, daß der Zurückgesetzte nun ihrer Hilfe bedürftig und würdig sei. Fehlte ihm irgend etwas, so konnte er es auf keine Weise besser erwerben als durch eine Mitverwendung in der großen Aktion, die ihm Gelegenheit bot, viel in ihrer und Arnheims Nähe zu weilen. Also beschloß Diotima auch noch dies, aber das waren allerdings bloß ergänzende Überlegungen.

      28

      Ein Kapitel, das jeder überschlagen kann, der von der Beschäftigung mit Gedanken keine besondere Meinung hat

      Ulrich saß inzwischen zu Hause an seinem Schreibtisch und arbeitete. Er hatte die Untersuchung hervorgeholt, die er vor Wochen, als er den Entschluß zur Rückkehr faßte, mitten abgebrochen hatte; er wollte sie nicht zu Ende führen, es machte ihm bloß Vergnügen, daß er alles das noch immer zuwege brachte. Das Wetter war schön, aber er hatte in den letzten Tagen nur für kurze Wege das Haus verlassen, er ging nicht einmal in den Garten hinaus, er hatte die Vorhänge zugezogen und arbeitete im gedämpften Licht wie ein Akrobat, der in einem halbdunklen Zirkus, ehe noch die Zuschauer zugelassen sind, einem Parkett von Kennern gefährliche neue Sprünge vorführt. Die Genauigkeit, Kraft und Sicherheit dieses Denkens, die nirgends im Leben ihresgleichen hat, erfüllte ihn fast mit Schwermut.

      Er schob das mit Formeln und Zeichen bedeckte Papier nun zurück und hatte zuletzt eine Zustandsgieichung des Wassers daraufgeschrieben, als physikalisches Beispiel, um einen neuen mathematischen Vorgang anzuwenden, den er beschrieb; aber seine Gedanken waren wohl schon vor einer Weile abgeschweift.

      »Habe ich nicht Clarisse etwas vom Wasser erzählt?« fragte er sich, vermochte jedoch nicht, sich deutlich zu erinnern. Doch das war auch gleichgültig, und seine Gedanken breiteten sich nachlässig aus.

      Es ist leider in der schönen Literatur nichts so schwer wiederzugeben wie ein denkender Mensch. Ein großer Entdecker hat, als man ihn einmal befragte, wie er es anstelle, daß ihm so viel Neues eingefallen sei, darauf geantwortet: indem ich unablässig daran dachte. Und in der Tat, man darf wohl sagen, daß sich die unerwarteten Einfälle durch nichts anderes einstellen, als daß man sie erwartet. Sie sind zu einem nicht kleinen Teil ein Erfolg des Charakters, beständiger Neigungen, ausdauernden Ehrgeizes und unablässiger Beschäftigung. Wie langweilig muß solche Beständigkeit sein! In anderer Hinsicht wieder vollzieht sich die Lösung einer geistigen Aufgabe nicht viel anders, wie wenn ein Hund, der einen Stock im Maul trägt, durch eine schmale Tür will; er dreht dann den Kopf solange links und rechts, bis der Stock hindurchrutscht, und ganz ähnlich tun wir's, bloß mit dem Unterschied, daß wir nicht ganz wahllos darauf los versuchen, sondern schon durch Erfahrung ungefähr wissen, wie man es zu machen hat. Und wenn ein kluger Kopf natürlich auch weit mehr Geschick und Erfahrung in den Drehungen hat als ein dummer, so kommt das Durchrutschen doch auch für ihn überraschend, es ist mit einemmal da, und man kann ganz deutlich ein leicht verdutztes Gefühl darüber in sich wahrnehmen, daß sich die Gedanken selbst gemacht haben, statt auf ihren Urheber zu warten. Dieses verdutzte Gefühl nennen viele Leute heutigentags Intuition, nachdem man es früher auch Inspiration genannt hat, und glauben etwas Überpersönliches darin sehen zu müssen; es ist aber nur etwas Unpersönliches, nämlich die Affinität und Zusammengehörigkeit der Sachen selbst, die in einem Kopf zusammentreffen.

      Je besser der Kopf, desto weniger ist dabei von ihm wahrzunehmen. Darum ist das Denken, solange es nicht fertig ist, eigentlich

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