Etwas Seltenes überhaupt. Gabriele Tergit
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Etwas Seltenes überhaupt - Gabriele Tergit страница
Inhalt
[Cover]
Titel
Berufssuche und Berliner Tageblatt
Der Stammtisch ›Capri‹ in der Anhaltstraße und Das Wunderbare
Rückkehr zu den deutschen Belangen
September 1930
Roman
Das Jahr 1932
Unser Sohn
Die letzten Monate 1933
Besuch des Sturm 33
Besuch bei Theodor Wolff
ZWEITER TEIL
Wir finden Karl wieder
Erste Reise nach Berlin Mai 1948
Besuch bei Karl
Hamburg 1948
Zweite Reise nach Deutschland
Reise mit Heinz nach Berlin
Nachwort
Nicole Henneberg»Wer sind Sie überhaupt?«
Anmerkungen
Bildnachweise
Namenregister
Autorenporträt
Über das Buch
Impressum
Bild 1
ERSTER TEIL
Vorwort 1
Wir sahen Ravenna an, ich, und, da ich das besitzanzeigende Fürwort in Verbindung mit Mann nicht leiden kann, werde ich in diesem Büchlein über fünfzig Jahre nur allzu oft falsch dargestellter Ereignisse den mir staatlich verbundenen Herrn beim Vornamen Heinz nennen. Er kannte das alles vom Studium her. Wie immer war es das große Glück, auf einer Piazza zu sitzen, einen Espresso zu trinken und dann die unsterblichen Mosaiken vom Glanz eines Hofes zu sehen, Kaiser Justinian mit Gefolge, Kaiserin Theodora mit Gefolge vor anderthalb Jahrtausenden, die Gotik vorgeahnt, alle überlang, aber sonst Menschen wie du und ich, in herrlichen Gewändern mit herrlichem Schmuck, ein prächtiger Vorhang zum Ziehen, ein Sprungbrünnlein in einem Marmorbecken und viel aus dem alten Testament, die Friedenstaube, Abrahams Opfer, die Geschichten Josephs.
»So«, sagte Heinz mit der Heiterkeit, die uns immer auf solchen Reisen beschieden war: »Und nun gehen wir zum Grabmal des Theoderich.« Wir standen, wie vor den Kopf geschlagen, vor etwas unerwartet Kleinem. »Da wundert man sich über Hitler«, sagte Heinz. Ich wußte genau, was er meinte. Keine dicken Bücher nötig, ein Blick genügte. Untergang einer Kultur, Ende einer Epoche. Jämmerlich, ungekonnt. Aus. Vorbei. Eine Kunstgeschichte aus einer verhältnismäßig noch guten Zeit, Anton Springer, 1907 nimmt kein Blatt vor den Mund: »Die große Rohheit fast aller dekorativen Glieder«, »Verwilderung des ornamentalen Sinns« … Er sagts, wie es ist. Diese antike Welt war nach genau tausend Jahren wiederentdeckt worden, Homer und Horaz, Parthenon und Pästum, blieb etwa fünfhundert Jahre mehr oder weniger lebendig, noch in ihren letzten Ausläufern geliebt, Biedermeiermöbel, Häuser von 1800. Hermann und Dorothea. Wann hat die Ablehnung der Antike angefangen? »Vernehmt, ihr Völker, unsern Schritt, wir sind die letzten Goten«, »die große Rohheit«, »die Verwilderung«, von der Anton Springer schreibt. Er benutzte die Worte »Rohheit« und »Verwilderung« für Ästhetisches, aber Ästhetisches ist ja nur Ausdruck einer Gesamtatmosphäre.
Nie sind die Franzosen auf die Idee gekommen, ihre grausamen fränkischen Merowinger zu bewundern. Die Engländer finden es gut, daß sie fünfhundert Jahre von den Römern besetzt waren, »die uns für die zivilisierte Welt entdeckt haben und die zivilisierte Welt für uns«. Und dann kamen die Germanen, doch wahrscheinlich zwei Pferde, wieso sonst »Hengist« und »Horsa«. »Sie machten uns wieder zu Wilden, abgeschnitten vom Rest der Welt, beinahe wie vor der Landung Cäsars«, schreibt Quiller-Couch, ein englischer Literaturhistoriker, und daß er nichts mehr von dem Unsinn hören möchte, daß die englische Literatur von Beowulf herkommt: »Papperlapapp, wir kommen von Virgil und Horaz her. Keats und Shelley sind sehr wohl ohne Beowulf denkbar, aber nicht ohne Ilias und Aeneas.« Auch Goethe und Schiller sind ohne Nibelungen und Gudrun denkbar, aber nicht ohne Horaz und Homer. Der Sieg von Hermann über die Römer war gewiß eine große militärische Leistung, auf lange Sicht eine Katastrophe. Man sollte das Niederwalddenkmal genauso entfernen wie den Peter von Amiens in Amiens. Es ist heute unangebracht, den Erfinder der ersten Pogrome in Europa auf einen Sockel zu stellen.
»Es ist der Geist, der sich den Körper baut«, der Geist, das heißt, die Zeitideen überschreiten jede Landesgrenze. Also wie kam es zu den fünfzig Millionen Toten, die Millionen entwurzelter Menschen, eine Weltterroristenbewegung, kurzum, wie kam es zu Hitler?
Vorwort 2 [1972]
Ich werde nicht reingelassen«, sagte der Herr.
»Ich auch nicht«, sagte ich.
»Sie kommen aus dem Ausland. Sie wissen nicht, was sich hier abspielt. Alles manipuliert.«
»Warum soll denn das manipuliert sein? Es ist überfüllt.«
»Nein, nein. So einfach ist das nicht. Wir haben hier dreizehn Millionen Judenstämmlinge, die haben alles in der Hand.«
»Dreizehn?« sagte ich, »ich dachte, es sind elf.«
Er nahm mich natürlich ernst. »Nein, nein«, sagte er,