Etwas Seltenes überhaupt. Gabriele Tergit

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Etwas Seltenes überhaupt - Gabriele Tergit

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      Inhalt

       [Cover]

       Titel

       ERSTER TEIL

       Vorwort 1

       Vorwort 2 [1972]

       Berufssuche und Berliner Tageblatt

       Die Oldens

       Kunstprozeß

       Der Stammtisch ›Capri‹ in der Anhaltstraße und Das Wunderbare

       Reise nach Griechenland 1927

       Rückkehr zu den deutschen Belangen

       Der Anfang des Endes

       September 1930

       Roman

       Das Jahr 1932

       Unser Sohn

       Die letzten Monate 1933

       Besuch des Sturm 33

       Besuch bei Theodor Wolff

       ZWEITER TEIL

       Wir finden Karl wieder

       Erste Reise nach Berlin Mai 1948

       Besuch bei Karl

       Hamburg 1948

       Zweite Reise nach Deutschland

       Reise mit Heinz nach Berlin

       Nachwort

       Nicole Henneberg»Wer sind Sie überhaupt?«

       Anmerkungen

       Bildnachweise

       Namenregister

       Autorenporträt

       Über das Buch

       Impressum

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      Bild 1

      Wir sahen Ravenna an, ich, und, da ich das besitzanzeigende Fürwort in Verbindung mit Mann nicht leiden kann, werde ich in diesem Büchlein über fünfzig Jahre nur allzu oft falsch dargestellter Ereignisse den mir staatlich verbundenen Herrn beim Vornamen Heinz nennen. Er kannte das alles vom Studium her. Wie immer war es das große Glück, auf einer Piazza zu sitzen, einen Espresso zu trinken und dann die unsterblichen Mosaiken vom Glanz eines Hofes zu sehen, Kaiser Justinian mit Gefolge, Kaiserin Theodora mit Gefolge vor anderthalb Jahrtausenden, die Gotik vorgeahnt, alle überlang, aber sonst Menschen wie du und ich, in herrlichen Gewändern mit herrlichem Schmuck, ein prächtiger Vorhang zum Ziehen, ein Sprungbrünnlein in einem Marmorbecken und viel aus dem alten Testament, die Friedenstaube, Abrahams Opfer, die Geschichten Josephs.

      »So«, sagte Heinz mit der Heiterkeit, die uns immer auf solchen Reisen beschieden war: »Und nun gehen wir zum Grabmal des Theoderich.« Wir standen, wie vor den Kopf geschlagen, vor etwas unerwartet Kleinem. »Da wundert man sich über Hitler«, sagte Heinz. Ich wußte genau, was er meinte. Keine dicken Bücher nötig, ein Blick genügte. Untergang einer Kultur, Ende einer Epoche. Jämmerlich, ungekonnt. Aus. Vorbei. Eine Kunstgeschichte aus einer verhältnismäßig noch guten Zeit, Anton Springer, 1907 nimmt kein Blatt vor den Mund: »Die große Rohheit fast aller dekorativen Glieder«, »Verwilderung des ornamentalen Sinns« … Er sagts, wie es ist. Diese antike Welt war nach genau tausend Jahren wiederentdeckt worden, Homer und Horaz, Parthenon und Pästum, blieb etwa fünfhundert Jahre mehr oder weniger lebendig, noch in ihren letzten Ausläufern geliebt, Biedermeiermöbel, Häuser von 1800. Hermann und Dorothea. Wann hat die Ablehnung der Antike angefangen? »Vernehmt, ihr Völker, unsern Schritt, wir sind die letzten Goten«, »die große Rohheit«, »die Verwilderung«, von der Anton Springer schreibt. Er benutzte die Worte »Rohheit« und »Verwilderung« für Ästhetisches, aber Ästhetisches ist ja nur Ausdruck einer Gesamtatmosphäre.

      Nie sind die Franzosen auf die Idee gekommen, ihre grausamen fränkischen Merowinger zu bewundern. Die Engländer finden es gut, daß sie fünfhundert Jahre von den Römern besetzt waren, »die uns für die zivilisierte Welt entdeckt haben und die zivilisierte Welt für uns«. Und dann kamen die Germanen, doch wahrscheinlich zwei Pferde, wieso sonst »Hengist« und »Horsa«. »Sie machten uns wieder zu Wilden, abgeschnitten vom Rest der Welt, beinahe wie vor der Landung Cäsars«, schreibt Quiller-Couch, ein englischer Literaturhistoriker, und daß er nichts mehr von dem Unsinn hören möchte, daß die englische Literatur von Beowulf herkommt: »Papperlapapp, wir kommen von Virgil und Horaz her. Keats und Shelley sind sehr wohl ohne Beowulf denkbar, aber nicht ohne Ilias und Aeneas.« Auch Goethe und Schiller sind ohne Nibelungen und Gudrun denkbar, aber nicht ohne Horaz und Homer. Der Sieg von Hermann über die Römer war gewiß eine große militärische Leistung, auf lange Sicht eine Katastrophe. Man sollte das Niederwalddenkmal genauso entfernen wie den Peter von Amiens in Amiens. Es ist heute unangebracht, den Erfinder der ersten Pogrome in Europa auf einen Sockel zu stellen.

      »Es ist der Geist, der sich den Körper baut«, der Geist, das heißt, die Zeitideen überschreiten jede Landesgrenze. Also wie kam es zu den fünfzig Millionen Toten, die Millionen entwurzelter Menschen, eine Weltterroristenbewegung, kurzum, wie kam es zu Hitler?

      Ich werde nicht reingelassen«, sagte der Herr.

      »Ich auch nicht«, sagte ich.

      »Sie kommen aus dem Ausland. Sie wissen nicht, was sich hier abspielt. Alles manipuliert.«

      »Warum soll denn das manipuliert sein? Es ist überfüllt.«

      »Nein, nein. So einfach ist das nicht. Wir haben hier dreizehn Millionen Judenstämmlinge, die haben alles in der Hand.«

      »Dreizehn?« sagte ich, »ich dachte, es sind elf.«

      Er nahm mich natürlich ernst. »Nein, nein«, sagte er,

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